Solidarität am Arbeitsplatz: Zu viel Strebsamkeit ist unkollegial
Unsere Kolumnistin findet es gut, dass weniger Überstunden gemacht werden. Workaholics sind ihrer Meinung nach unsolidarisch.
Q uiet Quitting bedeutet, dass Arbeitnehmer*innen nur noch das leisten, was im Vertrag steht. Nicht mehr und nicht weniger. Ich muss zugeben, ich habe dieses Konzept unterschätzt. Als der Begriff 2022 erstmals aufkam, dachte ich: Das soll Widerstand sein? Heute denke ich: Ist vielleicht gar kein schlechter Anfang – wenn man bedenkt, wo wir bezüglich Arbeitszeitmanagement stehen.
Die Leistungsgesellschaft hat uns fest im Griff. Daran können auch #worklifebalance und all die Bemühungen um eine 4-Tage-Woche nichts ändern. Als ich noch in Vollzeit angestellt war, notierte ich akribisch meine Überstunden. Doch als ich sie einreichen wollte, wies mich eine Kollegin vorsichtig darauf hin, dass das eigentlich niemand tue.
Dabei war ich nicht die Einzige, die Überstunden machte – aber offenbar die Einzige, die sie wieder abfeiern wollte. Mittlerweile arbeite ich nicht mehr Vollzeit. Dafür führe ich Diskussionen mit Freund*innen, wenn ich sie dabei erwische, wie sie in ihrer Freizeit arbeiten. Bei so was könnte ich ausrasten.
Insbesondere, wenn das auch noch mit „Liebe zur Arbeit“ verteidigt wird. Weil es zeigt, wie subtil Unternehmen ihre Angestellten ausbeuten – und weil ich es unerträglich finde, wenn Menschen freiwillig ihre Freizeit opfern und Überstunden unter den Tisch fallen lassen. Wenn das Liebe ist, dann ist die Beziehung toxisch.
Hinter meinem Unmut steckt mehr als anekdotische Evidenz. „Viele Arbeitsplätze in deutschen Unternehmen sind mittlerweile so designt, dass die Aufgaben in 40 Stunden kaum zu schaffen sind“, schreibt Teresa Bücker in ihrem Buch „Alle Zeit“. Die Arbeitsintensität, also die Aufgabenmenge pro Zeiteinheit, steigt. Laut DGB-Jahresbericht 2024 fühlten sich 52 Prozent der befragten Arbeitnehmer*innen sehr häufig oder oft Zeitdruck ausgesetzt und jede*r Dritte empfand „in hohem bis sehr hohem Maß“, dass die Arbeitsintensität im Vergleich zum Vorjahr zugenommen hat.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Nein, das ist keine Privatsache
Zwar sinkt die Gesamtzahl der Überstunden von deutschen Arbeitnehmer*innen seit der Coronapandemie kontinuierlich – trotzdem arbeiteten Beschäftigte hierzulande im Jahr 2023 immer noch etwa 1,3 Milliarden Stunden zu viel. Mehr als die Hälfte der Zeit unbezahlt. Liegt die Schuld also allein bei den Unternehmen? Das finde ich zu einfach.
Denn auch übertrieben Strebsame sind in der Verantwortung: Workaholics, denen eine Vollzeitstelle immer noch nicht genug ist, die nach Feierabend ungefragt weiterarbeiten und frühmorgens bereits E-Mails beantworten.
Die immer Ja und Amen zu jeder neuen Aufgabe sagen und am Wochenende schuften, damit sie montags beweisen können, dass sie alles und noch viel mehr geschafft haben. Die Urlaubstage verfallen lassen, weil ihnen Freizeit nichts bedeutet und die selbst beim Joggen erreichbar sind.
Und nein, das ist keine Privatsache. Wer heimlich Überstunden macht, trägt dazu bei, dass sich die Arbeitsbedingungen für alle verschlechtern. Es ist unsolidarisch und unkollegial. Weil dadurch eine unrealistische Leistungserwartung entsteht. Unternehmen können die Arbeitsintensität schließlich nur dann weiter steigern, wenn Beschäftigte Kapazitäten vorgaukeln, die es gar nicht gibt. Beschäftigte, die andere Kolleg*innen zu Unrecht unproduktiver erscheinen lassen.
Außerdem, und wenigstens das sollte auch auf politischer Ebene interessant sein, nehmen sie anderen Menschen Arbeit weg. Aus den 2023 geleisteten Überstunden könnten ganze 835.000 Vollzeitjobs geschaffen werden.
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