Söders Stegreifpopulismus: Kommissar Ex kläfft nur
Unser Bildungssystem ist spitze, meint man in der Bayerischen Staatskanzlei. Und so kämpft Söder gegen die Abschaffung unangekündigter Tests in Schulen.
F ür die Inhaber eines Berliner oder nordrhein-westfälischen Abiturs, die sich bei der Erwähnung der Ex an alles Mögliche, aber nicht ihre Schulzeit erinnert fühlen, muss man vielleicht noch mal etwas weiter ausholen, um zu erklären, was da gerade in Bayern vor sich geht. Eine Ex, das ist die Kurzform für das Extemporale (man beachte den Wechsel des Genus). Und das wiederum ist zu Deutsch eine Stegreifaufgabe und meint einen unangekündigten schriftlichen Test, der den Inhalt von bis zu zwei vorangegangenen Schulstunden abfragt. Im eher bürokratisch angehauchten Schuldeutsch gehört er zu den – horribile dictu – kleinen Leistungsnachweisen.
Keine große Sache also. Möchte man meinen. Hierzulande jedoch gibt es darum gerade ein Getöse, als ginge es um was wirklich Wichtiges, so etwas wie Biergartenöffnungszeiten. Angefangen hatte es mit der Onlinepetition einer Münchner Schülerin, die gefordert hatte, die Exen hierzulande – so wie in den meisten anderen Bundesländern – abzuschaffen. Die Kultusministerin, eine Freie Wählerin namens Anna Stolz, schien zunächst ein offenes Ohr für das Anliegen zu haben und kündigte eine Debatte darüber an.
Doch eine Frage solcher Tragweite geht im Verständnis des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder freilich weit über die Kompetenzen einer Ministerin hinaus. Ex ist top, findet nämlich der und erhob das Thema umgehend zur Chefsache:
„Die Exen bleiben natürlich“, stellte er klar. Ein unangekündigtes Machtwort des Ministerpräsidenten, das für seine Kultusministerin ähnlich motivierend gewirkt haben mag wie für eine Fünftklässlerin ein unangekündigter Leistungsnachweis.
Franz Josef Strauß nicht verstanden
Nun muss man wissen – und so mancher Norddeutsche hat es im Gespräch mit bayerischen Zeitgenossen schon leidvoll erfahren dürfen –, dass der gemeine Bayer sehr stolz auf sein Bildungswesen ist. Mit Sätzen wie „Wir wollen kein bayerisches Abi auf Bremer Niveau!“ lässt sich’s hier noch immer punkten, weshalb sie Markus Söder immer wieder gern raushaut.
Steckt doch in jedem von uns Bayern ein kleiner Franz Josef Strauß (und in Markus Söder seiner Selbstwahrnehmung zufolge sogar ein ganz großer). Strauß, der Metzgerbub aus der Münchner Maxvorstadt, ließ besonders gern seine humanistische Bildung aufblitzen, indem er diesen oder jenen lateinischen Satz zitierte, besonders gerne diesen: „Extra Bavariam non est vita et si est vita non est ita“, was, liebe Bremer, ungefähr so viel heißt wie: „Außerhalb von Bayern gibt’s kein Leben, und wenn doch, verdient es den Namen nicht.“ Gibt’s inzwischen auch auf T-Shirts gedruckt. Sicher, man könnte schon dieses und jenes abwägen, sich über die Pros und Contras der Ex Gedanken machen. In der Tat suchen nun auch Menschen, die sich zwar im Bildungswesen gut, im Politikbetrieb aber wohl nicht ganz so gut auskennen, eine sachliche Diskussion und kritisieren Söder – etwa in einem offenen Brief von 40 Verbänden – scharf, sprechen von einem völlig überholten Leistungsverständnis.
Wissenschaftlich sei erwiesen, dass Exen keinen höheren Lernerfolg brächten, so etwa die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, Simone Fleischmann. Und wenn nun Söder basisdemokratische Bemühungen von Schülern schon im Ansatz mit einem Machtwort auszuhebeln versuche, „dann können wir uns auch die ganze Demokratiebildung an unseren Schulen sparen“.
Über all dies ließe sich diskutieren, auch über das Argument, Schüler müssten befähigt werden, spontan und adäquat auf herausfordernde Situationen zu reagieren, das sich die Kultusministerin nach dem lauten Gebell ihres Chefs, des selbsternannten Kommissars Ex, schnell zurechtlegte. Doch wer das tut, begeht einen Denkfehler. Sie oder er nimmt an, beim Söder’schen Machtwort gehe es um Schulpolitik, gar um die Frage, was das Beste für Bayerns Schüler sei.
Gegen gendernde Veganer geht immer
Wer den Machtpolitiker Söder lang genug beobachtet, braucht aber nicht viel Willen zur bösen Unterstellung, um ihm zu attestieren, dass es ihm bei solchen Inszenierungen auf politischen Nebenschauplätzen nicht um die Sache geht – sei es nun ein Kreuzerlass oder ein Feldzug gegen gendernde Veganer.
Was zählt, ist hier der vermutete Beifall der eigenen Wählerklientel. Populismus nennt man das, kommt von lateinisch populus (einfachste o-Deklination, hier kriegt selbst der Bremer noch den Ablativ hin). Es ist genau das, wovor Strauß warnte: dem Volk nicht nur aufs Maul schauen, sondern nach dem Mund reden.
In Wirklichkeit ist es ja ohnehin längst so: Ob an einer Schule in Bayern Exen geschrieben werden oder nicht, darüber entscheidet aktuell weder Kultusministerin noch Ministerpräsident. Die Schulen dürfen selbst entscheiden. Und oft überlassen sie diese Entscheidung den einzelnen Lehrkräften und diese richten sich manchmal sogar nach den Wünschen der Schülerinnen und Schüler.
Ach ja, die Schüler, die gab’s ja auch noch.
Und sie könnten nun angesichts Söders plötzlichen Interesses am Prüfungswesen befürchten, künftig auch noch unter der persönlichen Beobachtung des Ministerpräsidenten zu stehen. Nein, liebe Schüler, seid völlig unbesorgt: Für euch interessiert sich der Ministerpräsident nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge