Social Media aus Sicht einer 50-Jährigen: Influencer und andere Krankheiten
Dämliche Youtube-Selbstdarsteller, Beauty-Schrott, Pöbelei und tausende Follower – tut mir leid, ich kann mich einfach nicht an Social Media gewöhnen.
I ch weiß wirklich nicht, ob ich mit 50 Jahren schlichtweg zu blöd für das ganze Social-Media-Gedöns bin oder doch umgekehrt. Ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen. Bei dem Wort „Status“ denke ich immer noch an Epilepsie – obwohl mein Kind seit mehr als dreizehn Jahren keinen Anfall mehr hatte – und nicht an die Fotos von den Latte macchiatos anderer Leute auf Whatsapp.
Wenn ich höre, dass soundso viele Tausend oder Millionen Menschen jemandem auf Instagram oder Ex-Twitter „folgen“, fehlt mir dafür jegliche Anerkennung. Im Gegenteil, ich denke: „Führer befiel, wir folgen Dir“. Und auf YouTube abonniere ich noch weniger als sonst im Leben.
Besonders schwer fällt es mir, das Phänomen der Influencer nachzuvollziehen. Ich denke bei dem Wort unwillkürlich an Influenza – also an die Grippe. Ich hab’s mal gegoogelt: tatsächlich leiten sich beide Wörter vom lateinischen „influentia“ ab, was so viel wie „Einfluss nehmen“ bedeutet. Ich kann es kaum glauben, wie unverhohlen schon mit der Bezeichnung Influencer zugegeben wird, dass es darum geht, zu manipulieren und ganze Menschenscharen strecken begeistert die Daumen hoch.
Wie kann man sich denn mit Ansage beeinflussen lassen und diesen Narzissten freiwillig virtuell hinterherlaufen, ihre Produkte kaufen oder sogar ihre politische Propaganda glauben? Das ist doch noch viel kranker als Grippe!
Von meinen Verlagen und Kolleginnen höre ich seit vielen Jahren, dass es die Verkaufszahlen von Büchern enorm hebt, wenn Autoren auf Social-Media-Plattformen aktiv sind. Manche behaupten sogar, ohne ginge es heute gar nicht mehr. Das stimmt aber wohl genauso wenig wie meine Annahme, dass sich gute Bücher immer durchsetzen, auch ohne Tamtam. Dass Tiktok nun einen relevanten Verkaufsfaktor auf dem Buchmarkt darstellt, frustriert mich – wenigstens solange es dort nicht um meine Bücher geht. Und dass Verlage mittlerweile angesagte Influencer anfragen, ob sie mit ihnen Bücher veröffentlichen wollen, pisst mich regelrecht an.
Aber wahrscheinlich ist das alles gar nichts Neues: Ich war schon immer neidisch, dass jeder noch so blöde Promi jedes noch so blöde Buch machen konnte, worüber dann massenhaft berichtet wurde, sodass es massenhaft gekauft wurde. Die Influencer sind eben die Popstars von heute, die ich genau so wenig kenne oder ernst nehme, wie meine Eltern früher die Gesichter aus meinen Bravo-Heften.
Dämliche Youtube-Selbstdarsteller und Beauty-Schrott
Ich fläze mich gerne mal ein Weilchen zu meiner Tochter und ihrem Tablet aufs Sofa, um zu schauen, was sie so schaut. Zum Glück schaut sie nicht den ganzen Beauty-Schrott. Es bleibt mir trotzdem ein Rätsel, welchen Reiz es hat, anderen Leuten zum Beispiel beim Spielen von „Minecraft“ zuzuschauen. Menschen beim Werken zu beobachten gefällt mir dagegen – es nervt mich nur total ab, dass in den Videos selbst das komplizierteste Projekt super einfach wirkt – jedenfalls solange man eine Drehbank, einen Winkelschiefer und 100 Liter Epoxidharz zur Hand hat.
In letzter Zeit schaut Olivia Animationen, die aus Daumenkinos entstanden sind. Das sind sehr nette Filme, aber ich verstehe trotzdem nicht, warum sie nicht lieber selber welche macht – ich meine Daumenkinos, nicht Youtube-Filme. Ich persönlich würde Social-Media-Inhalte wahrscheinlich letztlich noch lieber selber kreieren, als sie zu konsumieren. Wenigstens solange, bis in den Kommentaren gepöbelt wird. Also nicht lange.
Zum Glück bin ich viel zu handyfaul und viel zu blöd, um zu kapieren, wie alles geht. Anders natürlich als die meisten Jugendlichen. Sie antworten auf die Frage nach ihrem Berufswunsch in großer Zahl: „Influencer“. Das gibt Hoffnung! Wenn bald alle selber den Larry machen, werden nicht mehr genug Follower da sein und der Hype geht endlich vorbei.
Fragt sich nur, wie sie es in den Schulen schaffen, die vielen egozentrischen Selbstdarsteller bis dahin zu ertragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja