Social-Media-Beef nach TV-Kritik: Neue gegen alte Mediengeneration
Comedian Enissa Amani wehrt sich gegen eine Kritik bei „Spiegel Online“ – und keilt gegen die „Mächtigen“. Das Gezanke zeigt die neuen Verhältnisse.
Anja Rützel, freie Journalistin und Spezialistin für oft liebevolle Texte übers Privatfernsehen, schrieb am Osterwochenende bei Spiegel Online eine Kritik über eine Preisverleihung für Instagrammer. Dort hielt die Comedian Enissa Amani eine Laudatio, in der sie vor allem über sich selbst sprach. Sie könne es nicht ertragen, dass die „alteingesessene Presse“ den Begriff Komiker verwende, statt Comedian. „Immer wenn ich diesen Begriff höre, denke ich: Alter, ich schwöre, ich schmeiß alles hin, ich geh nach Nicaragua und züchte Papayas oder so was.“
Anja Rützel fand die Pointe mäßig und schrieb, fettgedruckt: „Nur noch mal zur Sicherheit: Komikerin.“
Das nahm der AfD-Politiker Andreas Winhart als Gelegenheit, Amani bei Facebook aufzufordern, das Land zu verlassen – und im selben Zug Rützels Text zu loben. Dazu muss man wissen: Amani und der AfD-Politiker sind seit Längerem im Streit, weil Amani ein Lied gegen Winhart und die AfD veröffentlicht hatte, woraufhin Winhart Amani anzeigte. Amani begleitet den Streit seit Wochen bei Instagram, ihre Community spricht ihr Mut zu. Vor diesem Hintergrund spielt der Streit mit Rützel.
Am Wochenende veröffentlichte Amani eine Instastory, in der sie sich über Rützels angeblich herablassenden Ton aufregt. Amani verbindet das mit einer wirren Medienkritik: Der Spiegel habe mal einen anspruchsvollen Ruf gehabt, inzwischen seien sich „alle Intellektuellen Deutschlands“ einig, dass es „quasi ein Schrott Klatschblatt mit ein paar politischen Alibi Themen“ sei. Nur noch die „Vorkriegsgeneration“ setze sich mit dem „undifferenzierten Geschreibsel“ auseinander.
„Menschen mit Reichweite“
Klingt so, als hielte sie Journalismus für überflüssig – zumindest für ihre Altersgruppe. Enissa Amani twitterte: „Tja ,wir' sind eben die neue Presse, nur mit mehr Reichweite.“
Wer dieses „wir“ ist, ließ sie offen. Stand-up Comedians und/oder Influencer? Leute also, die ihr Geld unter anderem damit verdienen, im Internet Werbung zu machen? Bei allem Respekt für Influencer und Stand-up-Comedians – von Journalismus sind beide weit entfernt. Enissa Amani mag lustig sein, ihre Instastorys mögen kritisch sein. Mit ihren Posts gegen die AfD erreicht sie viele junge Leute, die wahrscheinlich kein gedruckter Leitartikel (mehr) erreicht. Eine „neue Presse“ ist sie deswegen aber nicht.
Amani hat den Tweet gelöscht und unterscheidet inzwischen zwischen Presse und „Menschen mit Reichweite“. Womit sie ja gar nicht so falsch liegt: Öffentlichkeit stellen längst nicht mehr nur klassische Medien her. Der Schriftsteller, dessen Werk früher im Feuilleton verrissen wurde, konnte sich nicht so laut wehren wie Influencer es heute können. Martin Walser musste dafür noch eigens einen Roman schreiben.
Heute ist Amani längst nicht die Einzige, die dafür die sozialen Medien nutzt. Im Sommer mobilisierte Capital Bra, der derzeit erfolgreichste deutsche Rapper, seine Follower gegen einen Redakteur der Rheinischen Post. Der Journalist hatte geschrieben, dass er den Hype um Capital Bra nicht verstehe. Capital Bra nannte den Journalisten daraufhin bei Instagram „hater aus Mönchengladbach“ und endete mit „ich gib dir was du brauchst“, was als Gewaltaufruf verstanden wurde. Capital Bra hat drei Millionen Follower auf Instagram, der Text aus der Rheinischen Post dürfte weniger Leute erreicht haben.
Dass Leute wie Capital Bra oder Enissa Amani, die in den klassischen Medien kaum vorkommen, mit den sozialen Medien groß werden und dort auf Kritik reagieren können, hat ja auch etwas Demokratisches.
Nur steckt dahinter mitnichten das, als das Amani es verkauft: Sie wolle „den Mächtigen“ die Stirn bieten, schrieb sie am Montag. „Die Mächtigen“, das sind für sie Spiegel Online und die Bild. Da tönt eine Form der Elitenkritik, die man sonst eher aus der rechten Ecke kennt. Allerdings sind „die da oben“ und „wir hier unten“ eben nicht mehr so leicht voneinander zu trennen, wenn man, wie Amani, bei Instagram über eine halbe Million Menschen erreicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren