Skeptiker auf dem Vormarsch: Krieg gegen die Wissenschaft
Die Antiaufklärung formiert sich und bedroht auch die Demokratie, warnt der Wissenschaftsjournalist Shawn Otto in den USA.
Wissenschaft in den USA ist unter Beschuss, aber nicht nur dort. Das Lager der Skeptiker wächst: von Kreationisten, die in der Schule die Evolutionslehre durch den Schöpfungsbericht der Bibel ersetzen wollen, über Impfgegner, die sich der Schulmedizin verweigern und damit Masern-Epidemien in der breiten Bevölkerung auslösen, bis zu den Leugnern des vom Menschen ausgelösten Klimawandels. Vor allem wollen die Wissenschaftsverweigerer nicht länger passiv in ihrem Winkel der Ignoranz verharren, sondern aktiv und aggressiv auf Forschung und Lehre Einfluss nehmen.
Der US-amerikanische Wissenschaftsjournalist Shawn Otto hat diese Bewegungen der Gegenaufklärung jetzt in einem Buch zusammengefasst, dem er den etwas martialischen Titel „The War on Science“ (Krieg gegen die Wissenschaft) gegeben hat. Was Otto alarmiert: „In den letzten 20 Jahren ist die antiwissenschaftliche Haltung in der Politik völlig akzeptabel geworden“.
Die Medien haben ihren Anteil an dieser Entwicklung. Gemäß der Tradition des US-Journalismus, jede Position um eine Gegenrede anzureichern, werden etwa die neuesten Befunde der Klimaforschung zur Erderwärmung immer mit der Einlassung der Skeptiker garniert, dass überhaupt nichts bewiesen sei. Wissenschaftliche Fakten werden so zu Meinungsäußerungen degradiert, die man teilen könne oder nicht.
Auch der deutsche Wissenschaftler Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hatte kürzlich auf der Berliner Konferenz „Blackout Planet“ darauf hingewiesen, dass es zwar in der Wissenschaft einen 97-prozentigen Konsens über die Realität des Klimawandels gebe. „Aber die Öffentlichkeit ist darüber dramatisch falsch informiert“, sagte Rahmstorf. Die meisten Mediennutzer seien der Meinung, die Wissenschaftler wären in dieser Frage 50:50 gespalten. „Hier liegt ein Medienversagen vor, wenn das beim Publikum so ankommt.“
Ähnlich verhält es sich mit anderen Themen, die Shawn Otto auflistet: von den vermeintlichen Gehirntumoren durch Handystrahlung bis zur Volksvergiftung durch Fluor im Trinkwasser. Je mehr Wissenschaft die Gesellschaft durchdringt, desto stärker wird auch die Schar der Zweifler. Eine Entwicklung, die Otto weltweit feststellt und die sich bisweilen sogar in regierungsamtliches Handeln umsetzt, wie in Israel, wo Fluor im Trinkwasser zur Kariesprophylaxe landesweit verboten ist. Für die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC dagegen ist der Fluor-Einsatz „einer der größten Fortschritte im öffentlichen Gesundheitswesen im 20. Jahrhundert“.
Mit großem Kapitaleinsatz
Zweifel an der Wissenschaft werden von bestimmten Interessengruppen systematisch und mit großem Kapitaleinsatz geschürt. Ein Markstein war 1962 das Buch der amerikanischen Umweltautorin Rachel Carson, die in ihrem Buch „Der stumme Frühling“ nachwies, wie das Insektizid DDT im Agrargürtel der USA zu einem großen Artensterben führte.
„Das war die Geburtsstunde der Umweltforschung und der Umweltbewegung in mehrfacher Weise“, stellt Otto fest. Die Chemiekonzerne konterten mit einer massiven PR-Kampagne und versuchten, Carson und ihre wissenschaftlichen Mitstreiter zu diskreditieren. „Diese Attacken haben viele Parallelen zu den Angriffen auf die Klimaforscher heute“, sagt Otto, für den die Reaktion auf Rachel Carsons Buch „den Beginn des modernen Kriegs gegen die Wissenschaft“ darstellt.
Den Journalisten Shawn Otto treibt der Autoritätsverfall der Wissenschaften gerade in seinem Heimatland, den USA, schon länger um. Regelmäßig startet das von ihm initiierte Internetportal „ScienceDebate“ zu den Präsidentschaftswahlen eine Kampagne, bei der die Bürger Fragen mit Wissenschaftsbezug an die Kandidaten richten können. Für ihn haben die moderne Wissenschaft und die Demokratie in den Vereinigten Staaten die gleiche Wurzel: die Abkehr von alten Autoritäten kirchlichen Glaubens und monarchischer Macht, hin zu Aufklärung und demokratischer Selbstbestimmung des Volkes.
Ottos Lieblingszitat stammt von Thomas Jefferson, Verfasser der Unabhängigkeitserklärung der USA: „Nur wenn die Menschen gut informiert sind, kann ihnen ihre eigene Regierung anvertraut werden.“ Mit wachsender Wissenschaftsskepsis nehme auch die demokratische Orientierung Schaden. „Wenn wir über die beste Politik nicht mehr auf der Basis von Wissen, sondern von Dogmen und Glaubenssätzen debattieren“, so Otto, „dann kann das die Demokratie in einen neuen Autoritarismus verwandeln“.
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