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Skandal um Rechercheplattform OCCRPInvestigativjournalismus am Geldhahn der US-Regierung

Einer Recherche zufolge übt die US-Regierung Einfluss auf die größte Investigativplattform aus. Auch der NDR ist von den Enthüllungen betroffen.

US-Regierungen wie die künftige von Donald Trump haben von der OCCRP nicht viel zu ­befürchten Foto: T.J. Kirkpatrick/Redux/laif

Der Skandal begann mit der Enthüllung eines offenen Geheimnisses. Das Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), das größte internationale Netzwerk für Investigativjournalismus, wird rund zur Hälfte von der US-Regierung finanziert, berichtete die französische Plattform Mediapart. Das ­OCCRP hatte diese Finanzquellen zwar in seinen jährlichen Berichten offengelegt, war damit aber nicht hausieren gegangen.

Das Neue an den Enthüllungen von Mediapart waren die Anforderungen und Bedingungen, die mit der Finanzierung einhergehen. So zeigte Mediapart, dass sich die US-Regierung im Gegenzug vorbehält, über den jährlichen Arbeitsplan von OCCRP mitzubestimmen und bei der Ernennung von „wichtigem Personal“ ein Veto einzulegen.

Auch auf die Recherchen hat sie wohl Einfluss. „Nicht nur wird die US-Regierung von der Berichterstattung des OCCRP weitgehend verschont, sie kann auch die Themensetzung der NGO steuern, indem sie Mittel bereitstellt, die das OCCRP für Recherchen über bestimmte Länder verwenden muss“, schreibt Mediapart. Die Gründung der Organisation sei mit Geldern aus dem US-Außenministerium erfolgt.

Das OCCRP wurde 2007/08 von dem Amerikaner Drew Sullivan und dem Rumänen Paul Radu in Sarajevo ins Leben gerufen. Der Fokus lag zu Beginn auf Recherchen in osteuropäischen Ländern. Seitdem war das OCCRP an großen Investigativgeschichten beteiligt, etwa am „Panama Papers“-Skandal, der massiven Steuerbetrug öffentlich machte, oder an „Cyprus Confidential“, einer Recherche zu russischen Oligarchen. Die Organisation hat ein jährliches Budget von rund 20 Millionen Euro, zu dem auch europäische Regierungen und die EU beitragen.

Das OCCRP wehrt sich gegen Vorwürfe der Einflussnahme. Sullivan sagt, die gezahlten Gelder hätten keinen Einfluss auf die Berichterstattung.

Sullivan gesteht Probleme ein

Die Enthüllungen über das Netzwerk gehen ursprünglich auf eine Recherche von NDR-Journalisten zurück – obgleich der Sender in der Vergangenheit selbst mit dem OCCRP kooperierte. Die Journalisten hatten 2023 Interviews mit Sullivan und Mitarbeitern der US-Entwicklungsbehörde USAID geführt, die freimütig über die Finanzierung des OCCRP sprachen.

Sullivan gestand laut Mediapart damals ein, dass diese Art der Finanzierung ein strukturelles Problem darstelle, weil es möglich sei, dass die Gelder gestrichen würden, wenn eine Recherche für Unmut sorge. „Wir müssen die Zahl der Regierungsgelder in unserem Portfolio reduzieren“, habe Sullivan dem NDR gesagt. Schon 2015 hatte der bekannte Investigativreporter Lowell Bergmann OCCRP den Rücken gekehrt, als er vom Ausmaß der Beteiligung durch die US-Regierung erfuhr.

Die Debatte über das OCCRP wirft Fragen zur öffentlichen Finanzierung von Journalismus auf. Für Sullivan ist sie eine Existenzgarantie, laut ihm gäbe es das OCCRP ohne US-Gelder nicht. Die Qualität der Recherchen selbst will auch Mediapart nicht in Abrede stellen.

Das Medium zeigt aber, wie der Einfluss der Regierung auf das OCCRP wirkt. Mal subtil, wenn OCCRP-­Journalisten im Hinterkopf haben, dass sie unangenehme Recherchen über Verstrickungen der US-Regierung die Hälfte ihrer Finanzierung kosten können. Enthüllungen à la Wikileaks über massive Überwachungsprogramme oder Kriegsverbrechen der US-Regierung wären auf dieser Arbeitsgrundlage kaum denkbar. Zu recherchieren gäbe es genug, bezeichnete das Internationale Netzwerk Investigativer Journalisten die USA 2022 doch als weltweit größte Steueroase.

Mal ist der Einfluss der Geber unmittelbarer, etwa wenn gewisse Gelder direkt an die Bedingung geknüpft sind, dass das OCCRP damit zu geostrategischen Gegnern der USA wie Venezuela oder Russland recherchiert.

Mediapart wirft NDR Zensur vor

Ein weiterer Teil der Enthüllungen betrifft den NDR. Obwohl Interviews von NDR-Journalisten die Recherche angestoßen hatten, entschied sich der öffentlich-rechtliche Sender dafür, die Ergebnisse nicht zu veröffentlichen. Der OCCRP-Vorsitzende Sullivan versuchte laut Mediapart, die Glaubwürdigkeit eines beteiligten NDR-Investigativjournalisten zu diskreditieren und Druck auf die Führung auszuüben. Mediapart spricht von Zensur – ein Vorwurf, den der NDR zurückweist.

Der Sender teilte auf taz-Anfrage mit, mehrere Redaktionen des NDR hätten sich „unabhängig und autonom gegen die Fortführung oder Veröffentlichung der Recherche entschieden“, da sie „in keinem veröffentlichungsreifen Stadium“ gewesen sei. Die NDR-Führung sprach laut Mediapart von einer fehlenden Relevanz des Themas.

Das NDR-Medienmagazin „Zapp“ schrieb im Anschluss in einem Artikel zur Causa, man habe sich stattdessen vorbereitet, im Nachgang zur Veröffentlichung „über die Recherche und ihre möglichen Auswirkungen zu berichten“ – was ja so klingt, als sehe man doch eine grundsätzliche Relevanz. Für diese Bewertung spricht auch, dass sich die NDR-Führung laut Mediapart entschieden hat, die eigene Kooperation mit dem OCCRP auf Eis zu legen, nachdem sie die Interviews mit USAID-Beamten und Sullivan gesehen hatte.

Auch andere deutsche Medienhäuser kooperierten mit dem OCCRP. Die Süddeutsche Zeitung teilte auf taz-Anfrage mit, sie habe über die Finanzierung Bescheid gewusst, sei aber gerade in keine gemeinsamen Projekte involviert. Der Spiegel teilte mit, für künftige Kooperationen sei entscheidend, „dass die Rechercheergebnisse eines Partners unserer journalistischen, dokumentarischen und rechtlichen Prüfung standhalten“.

Der NDR will die Ergebnisse erst intern bewerten. Dann würden die Redaktionen entscheiden, „ob und wie sie sich wieder an OCCRP-Projekten beteiligen.“

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