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Skandal um „Emilia Perez“Keine Heldin ohne Fehler

Doris Akrap
Kommentar von Doris Akrap

Wegen alter rassistischer Tweets wird „Emilia Perez“-Star Karla Sofía Gascón heftig kritisiert. Dabei wird die Botschaft des Filmes ignoriert.

Innerhalb weniger Tage vom Thron unter den Bus geworfen: die spanische Schauspielerin Karla Sofía Gascón Foto: Matthias Nareyek/getty

D ie Giftgrube soziale Medien hat nicht nur Information und Desinformation extrem beschleunigt, sondern auch die Geschwindigkeit des Fallbeils, mit dem wir über Menschen urteilen. Getroffen hat es jetzt die Schauspielerin Karla Sofía Gascón. Eben noch war sie für ihre Rolle im Musicaldrama „Emilia Perez“ umjubelt worden, in dem sie einen millionenschweren, mexikanischen Kartellboss spielt, der sich einer Geschlechtsumwandlung unterzieht und mit neuer Identität zur prominenten Aktivistin gegen die mordenden Kartelle wird. Als erste Transperson überhaupt wurde Gascón für einen Oscar nominiert und als Heldin gefeiert.

Innerhalb weniger Tage aber wurde die Spanierin, den Oscar fast schon sicher, mittels teils zehn Jahre alten Tweets vom Thron und unter den Bus geworfen. Netflix nahm sie aus der PR-Kampagne, geplante Auftritte und Reden wurden abgesagt und selbst ihr Regisseur distanzierte sich von ihr.

Was zum Teufel war passiert? Hatte jemand herausgefunden, dass sie auf Twitter mal einen Mord gestanden hatte? Ist sie ein Fake? Ein Vergewaltiger? Mitglied der SS? Nein, nichts dergleichen. Sie hat Bullshit erzählt.

George Floyd, dessen gewaltsame Tötung durch US-Polizisten „Black Lives Matter“ begründet hatte, hatte sie als „drogenabhängigen Betrüger“ bezeichnet, den Islam als „Infektionsquelle für die Menschheit, die dringend geheilt werden muss“, und über die Oscar-Verleihung 2021 gesagt, dass die mit einem „afrokoreanischen Festival, einer Black-Lives-Matter-Demo oder einer Feminismusgala“ zu verwechseln sei.

Ironie als Angriff

Die Journalistin Sarah Hagi, die diese und andere Tweets ausgegraben hat, unterstellt Gascón deshalb unter anderem, rassistisch, transphob, impf­skeptisch und oscarbeleidigend zu sein. Gascón löschte daraufhin die Tweets und entschuldigte sich mehrfach per Instagram und in TV-Interviews. Sie sei in einer Scheißphase gewesen, erklärte sie. Aber auch, dass ihre Ironie offenbar als Angriff verstanden wurde.

Die Meinungen über „Emilia Perez“ reichen von umwerfendes Spektakel bis totaler Trash, und an allem ist was dran. Am Samstag hat der Film zwar noch Spaniens wichtigstem Branchenpreis Goya in der Kategorie bester europäischer Film gewonnen. Dass die 13 Oscar-Nominierungen allerdings auch der Politisierung dieses Preises geschuldet sind, wird kaum jemand bestreiten.

Insofern ist Gascón, die ohne diese Politisierung weniger Chancen auf eine Nominierung gehabt haben dürfte, jetzt Opfer genau dieser Politisierung geworden. Sie taugt in den Augen vieler nicht mehr zur Heldin. Denn sie ist nicht frei von Fehlern.

Bestimmt gibt es bessere Filme über oder mit Transpersonen, bestimmt gibt es politisch fehlerfreiere Schauspielerinnen als Gascón, die ihre Fingerabdrücke auf Social Media nur unter professioneller Aufsicht hinterlassen. Sicher wäre es auch cooler gewesen, statt die Tweets zu löschen, sie als Zeugnis eigener Verfehlung stehenzulassen, und noch besser wäre gewesen, nicht auch noch von einer Verschwörung der Oscar-Konkurrenz zu sprechen. Aber das ist eben real life.

Der eigenen Vergangenheit entkommen

Es ist doch geradezu erfrischend, dass ein Hollywood-Star eben noch nicht die perfekte Rolle im realen Leben spielt. Von perfekten Entschuldigungen für frühere Verfehlungen wird die Welt sowieso nicht besser, wie wir in den letzten Jahren gesehen haben, in denen „Entschuldigung“ öfter gesagt wurde als „Bitte, ein Bier!“.

Das Allererstaunlichste aber ist, dass ausgerechnet „Emilia Perez“ von der Unmöglichkeit handelt, der eigenen Vergangenheit zu entkommen: Emilia Perez, ehedem Manitas Del Monte, kann zwar ihr Geschlecht umwandeln und zur Aktivistin gegen die Mafia werden, den Zorn, die Besitzansprüche und Gewaltausbrüche, die sogenannte toxische Männlichkeit holen sie trotzdem immer wieder ein.

Dass der Regisseur Jacques Audiard, der sich diesen Plot ja so ausgedacht hat, seiner Hauptdarstellerin nun wegen ein paar dummen Tweets, die sie nicht mal verteidigt, derart in den Rücken fällt – er ließ wissen, dass er nach Aufdeckung der Tweets nicht mit Gascón gesprochen hat und auch nicht mehr mit ihr sprechen will –, ist der größte Skandal in dieser Geschichte. Hat er vergessen, was die Botschaft seines eigenen Films ist?

Dass wir unseren Prägungen nur schwer, wenn überhaupt entkommen können, ist inzwischen kein Thema mehr für freudomarxistische Selbsthilfegruppen in schummrigen Kellern. Umso mehr aber diese Erkenntnis zur Standardaussage geworden ist, umso mehr scheint die Bereitschaft, die auch auszuhalten, zu schwinden.

Wegen irgendeines Schrotts auf Twitter so zu tun, als sei das kurz vor einem Verbrechen gegen die Menschheit, und ständig zu fordern, sich zu distanzieren, sobald irgendwas nicht ganz okay ist, scheint inzwischen zu einem Bild vom Menschen geführt zu haben, das in „Emilia Perez“ unter anderem anhand der Schönheits-OP-Industrie kritisiert wird: Perfektion. Der Fall Gascón ist ein groteskes und trauriges Beispiel dafür.

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Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
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20 Kommentare

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  • Frau Akrap hat schon Recht. Die Unerbittlichkeit, mit der die Zivilgesellschaft über Karla Sofía Garcón herfällt und sie zur Unperson erklärt, ist beunruhigend. Was ist eigentlich aus der guten alten Barmherzigkeit geworden? Allerdings beschreibt der Artikel keinen Einzelfall. Und er wäre glaubwürdiger, wenn man in der taz auch in anderen ähnlich gelagerten Fällen Gnade walten ließe. Es hat einen unguten Beigeschmack, dass hier "erfrischend" sein soll, was sonst vehement verteufelt wird.

    • @Jochen Laun:

      "Die Unerbittlichkeit, mit der die Zivilgesellschaft über Karla Sofía Garcón herfällt und sie zur Unperson erklärt, ist beunruhigend."



      Die Cancel Culture frisst (auch) ihre Kinder...

  • Ich bin kein Fan der Kirche, aber an einem ihrer Leitsätze ist tatsächlich was dran.

    Wer ohne Sünde ist werfe den ersten Stein...

    (Allerdings finde ich auch sowieso, das Worten heutzutage etwas zuviel Bedeutung zugeschrieben wird)

  • Wow Leute, das nenne ich mal messen mit zweiertlei Maß, wenn solche Tweets von irgendjemandem aus der AFD gekommen wäre, wären hier (zurecht) sich empörende Artikel zuhauf rausgehauen worden, kommen solche Tweets aber von einer Trans-Person sind es "nur ein paar dumme Tweets" und sie hat ja nur eine scheiss Phase gehabt....sorry aber sowas schreibt man auch nicht wenn man mal ne scheiss Phase hat, geht garnicht!

    • @PartyChampignons:

      Die AFD muss aber aus grundlegenden Dingen bekämpft werden.



      Menschlichkeit zum Beispiel.



      AFDeppen sind Politiker und keine Schauspieler, die haben moralische Verantwortung - auch wenn sie die nicht wahrhaben wollen (womit sie natürlich nicht allein stehen).



      Schauspieler spielen nach Drehbuch - sie haben also gar keinen Anspruch außerhalb der Boulevardpresse.

      • @Das B:

        Auch Schauspieler haben moralische Verantwortung, haben Fans und Zuschauer die durch sie beeinflusst werden, abgesehen davon: ein jeder von uns hat moralische Verantwortung

        • @PartyChampignons:

          Zuschauer sehen schonmal nur die Filme, daher ist das gesehene Handeln eigentlich dem Regisseur oder Drehbuchautoren geschuldet.



          Moralische Verantwortung hat man nur vor sich selbst.



          Gegen das was die AFD Leute (zB) abziehen sind die paar Tweets von vor 10 Jahren doch ein Witz.



          Und die entschuldigen sich ganz sicher nicht.



          Aber diese Leute dürfen weiter agieren, während hier die berufliche Existenz eines Menschen zerstört wird.



          Das halten sie also für moralisch?



          Vielleicht suchen sich die Leute auch Vorbilder die ihren Muster entsprechen.



          Wenn Sie denen also die Schauspieler nehmen dann bleibt immernoch Donald.



          Was haben wir also erreicht außer selbstberechte Lynchjustiz (im Übertragenen Sinne)?

          • @Das B:

            Erstens sind die Tweets nicht von vor 10 Jahren sondern vier bis fünf Jahre alt und zweitens ist der inhalt dieser Tweets zutiefst rassistisch und beleidigend und lässt ganzschön tief blicken, wie ich finde, sowas haut man nicht einfach raus nur weil man mal ne schlechte Phase hat, würde mir nie einfallen. Berechtigte Kritik daran ist auch keine Lynchjustiz und entschuldigt hat sie sich eben auch nicht, sondern die Tweets gelöscht und von einer Verschwörung gegen sie gesprochen, steht zumindest so im Artikel. Und nur weil andere damit durchkommen, was natürlich nicht richtig ist, ist das nicht automatisch ein Freifahrschein für sie auch damit durchzukommen...aber ich sehe auch sie messen mit zweierlei Maß

            • @PartyChampignons:

              "Gascón löschte daraufhin die Tweets und entschuldigte sich mehrfach per Instagram und in TV-Interviews."



              So stehts drin.



              Niemand hat etwas gegen Kritik, es geht um das systematische canceln.



              Nur vermute ich die taz lässt es wieder nicht durch sie darauf hinzuweisen den Artikel zu lesen bevor sie kommentieren...

  • Tjoa. Die vergangenheit holt einen immer ein. Sieht thilo mischke. Und viele andere.



    Warum das in diesem fall mit anders sein soll, seh ich nicht.

    • @Hannes Petersen:

      Weil das allgemein der Grund ist warum Außenstehende auf das ganze Celebrity-Gedöns eher abgeschreckt und verständnislos reagieren.



      Wenn ein Mensch seine Fehler einsieht, sollten sie ihn vergeben werden sofern es keine direkten Straftaten sind und er solches Verhalten abgelegt hat.



      Machen Sie nie Fehler?



      Macht sie das zu einen besseren Menschen?



      Warum ist es dann an ihnen "zu sehen" ob ein Mensch Vergebung oder Strafe verdient hat?

      • @Das B:

        Hat sie ihre fehler denn eingesehen? ;-)

  • Sie war nur als Heldin etwas wert, jetzt wird sie fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel wegen Äußerungen, mit denen andere Karriere machen und Wahlen gewinnen. Einerseits will die Linke Helden und Heilige vom Thron stürzen, andererseits verzehrt sie sich geradezu nach dem perfekten Menschenwesen, dem sie nacheifern kann.

    • @DieLottoFee:

      Ich möchte Ihnen Recht geben und ergänzen, daß man vielleicht zu sehr und zu oft darauf abhebt, Menschen wahlweise zu verklären oder zu verdammen, was diesen, nach meinem Dafürhalten, meist beides nicht gerecht wird.

    • @DieLottoFee:

      Für solche Aussagen wurden andere angegriffen und Rücktritte gefordert und Karrieren beendet. Aber bei einer T>ransfrau sollen andere Massstäbe gesetzt werden. Außerdem "die Linke" verzehrt sich nicht nach Helden und Heiligen.Verwechseln Sie hier mal nicht die politische Linke mit irgendwelchen pseudo Linken und selbsternannten Moralisten.

      • @v63:

        Ein Unrecht rechtfertigt kein Anderes.



        Fehler sind Menschlich.



        Einsicht und Reue sind bewundernswerter als abzufeiern das niemand die eigenen Fehler entdeckt hat.

  • Liebe Doris Akrap,



    Ihr Artikel macht mich fassungslos. Und läßt mich ernsthaft an ihren journalistischen Fähigkeiten zweifeln. Wie Sie die unerträglichen Aussagen von Gascón so verharmlosen, das ist absurd.

    • @Kanarios:

      Social Media Einträge waren damals noch keine Pressemitteilungen.



      Meinungen und Ansichten konnte man damals noch revidieren und ändern.



      Heute bist du die Person als die man dich ausgräbt.



      DAS ist absurd.



      Quasi Geschichtsschreibung noch zu Lebzeiten.



      Sie hat sich doch dafür entschuldigt und gesagt sie war damals eben dumm drauf und hatte nicht nachgedacht.



      Passiert scheinbar nicht Jeden ab und zu...

  • Die Tweets sind Mist und zeigen, dass man als Trans genauso dumm oder klug sein kann wie andere auch.



    Die kann man auch vom Film trennen, natürlich.

    Genauso wahr ist, dass ein Film, nur weil ein Trans mitspielt, nicht gleich ganz toll und progressiv und wasweißich ist, sondern dass mensch besser genauso scharf hinsieht, nicht mehr, nicht weniger.

    • @Janix:

      Wer hat ihren letzten Satz denn behauptet? Das ist nunmal was im Film passiert, ich fand das aufstehen gegen die Kartelle eher interessant.



      Dafür muss man nicht trans sein, in dem Fall ist es aber so.



      Niemand außer ihnen macht das zu mehr als einen Nebenthema.



      Ich würde mich fragen woher diese reflexhafte Ablegung kommt. Aber das müssen sie mit sich selber ausmachen.



      Jedenfalls sollte man immer den Menschen bewerten der vor einen steht und nicht den welchen man meint aus der Vergangenheit zusammen zu stückeln.



      Jemand der dumm war kann gelernt haben.



      Den Menschen das nicht zuzugestehen ist eher dumm und verurteilend.



      Wenn ich lese: "sorry ich war damals nicht so ganz auf der Höhe und hab Mist geschrieben. (Inhaltlich)"



      Dann ist das Thema für mich erledigt und der Mensch eher besser weil er Einsicht zeigt.