Skandal um AfD-Sprecher Christian Lüth: Nazi-Opa bloß erfunden?
AfD-Sprecher Lüth musste gehen, weil er sich wohl als Faschist sieht. Die Parteispitze will, dass er freigestellt bleibt. Jetzt gibt es neue Wirren.
Doch die Fraktion will das nicht einfach zur Kenntnis nehmen. Sie will mitreden – und entscheiden. Lüth habe sich schließlich vor Jobantritt einer Abstimmung der Fraktion stellen müssen, so die Begründung.
Hintergrund von Lüths Freistellung ist ein Whatsapp-Chat mit einer jungen Frau, die Mitglied der stramm konservativen Werteunion sein soll – und je mehr Details öffentlich werden, desto skurriler erscheint die Sache. In dem Chat, der bereits vom Ende vergangenen Jahres datiert, soll Lüth sich als „Faschist“ bezeichnet, seine „arische“ Abstammung gerühmt und sich positiv auf seinen angeblichen Großvater bezogen haben, einen Korvettenkapitän, der im Zweiten Weltkrieg als U-Boot-Kommandant der Kriegsmarine gekämpft hatte. Dafür wurde er von Hitler mit dem Eisernen Kreuz geehrt.
Lüth soll, so heißt es in der AfD, auch anderen Personen stolz von seinem Großvater erzählt haben. Doch dieser Mann, Wolfgang Lüth, ist anscheinend gar nicht sein Opa. Das stellten direkte Nachfahren im Gespräch mit der Zeit und dem Spiegel klar. Demnach war Wolfgang Lüth lediglich Christian Lüths Großonkel. Warum dieser anscheinend einen Nazi-Opa erfand, ist nur eine der offenen Fragen. Lüth selbst hat sich öffentlich bislang nicht geäußert, auch eine Anfrage der taz ließ er unbeantwortet.
Wer profitiert von Lüths Fall?
Unklar ist auch, in welcher Beziehung AfD-Fraktionssprecher genau zu der Frau stand und wie es zu dem Chat gekommen ist. Zunächst hieß es, die Frau habe sich bei der Fraktion beworben, doch das scheint nicht der Fall gewesen zu sein. Am Ende jedenfalls landete der Chat mitsamt der Drohung, ihn zu veröffentlichen, bei Gauland – der dann vor anderthalb Wochen die Reißleine zog.
Lüth ist für Gauland nicht irgendeine Personalie. Der ehemalige FDP-Mann, der für zwei Bundestagsabgeordnete und die Friedrich-Naumann-Stiftung gearbeitet hat, kam schon 2013 zur AfD und hatte – zunächst als Pressesprecher der Partei – stets ein Gespür dafür, wie sich das Machtgefüge an der Spitze verschob. Gauland aber, dem mächtigen alten Mann der AfD, war er immer verbunden – was sich 2017 auszahlte, als die Partei in den Bundestag einzog. Teile der Fraktion wollten Lüth als Pressesprecher verhindern, weil er als großspurig und unsolide galt und unter JournalistInnen den Ruf hatte, nicht besonders zuverlässig zu sein. Doch Gauland setzte ihn durch.
In Partei und Fraktion wird unterdessen munter darüber spekuliert, wer von der Freistellung des Pressesprechers intern nun profitiert. Manche Rechtsaußen in der Fraktion könnten die Personalie nutzen, um Fraktionschef Gauland und seine Co-Vorsitzende Alice Weidel zu schwächen, ist zu hören. Sie hatten bereits kurz vor Ostern gegen den Willen der Spitze eine Sondersitzung der Fraktion durchgesetzt, weil sie unzufrieden mit dem Corona-Kurs ihrer Führung waren.
Auch für Tino Chrupalla, der seit Dezember gemeinsam mit Jörg Meuthen an der Spitze der Partei steht, könnte ein neuer Fraktionssprecher von Nutzen sein, heißt es. Chrupalla hatte am vorvergangenen Wochenende die Freistellung durch Gauland bestätigt, obwohl er als Fraktionsvize weder für Medien noch für Personalfragen zuständig ist.
Aus der Fraktion ist zudem zu hören, dass völlig unklar sei, ob Lüth am Ende wirklich gehen muss. Möglicherweise werde auch eine „Anschlussverwendung“ gesucht. Ausgeschlossen wird aber auch nicht, dass der Pressesprecher irgendwann auf seinen alten Job zurückkehren wird. „Faschist“ hin oder her.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr