Sinnesverluste bei Covid-19: Kaffee war nur würziges Wasser
Nur noch matschig oder kross: Wenn Infizierte nichts mehr schmecken und riechen. Drei Protokolle.
„Chips sind übrigens doof, wenn man nichts schmeckt. Die splittern nur im Mund“
Anfang Dezember ging es mir nicht gut. Mir war schlecht, ich meinte, eine Grippe zu bekommen. Nach ein paar Tagen hatte ich abends starke Halsschmerzen. Die waren am nächsten Morgen zwar verschwunden, aber beim Kaffee habe ich gemerkt: Ich rieche nichts. Und schmecke nichts. Der Kaffee war nur würziges Wasser. Auf der Zunge konnte ich süß, sauer und salzig noch unterscheiden. Der Rest war weg. Da war mir klar, ich hab Corona. Die Nervenzellen sterben durch das Virus in der Nase ab.
Ich habe erst mal ein paar Sachen getestet, frischen Meerrettich gerieben, aber von seiner Schärfe nichts gemerkt, nur eine leichte Bitterkeit. Chili, Knoblauch: null Geschmack. Rohe Zwiebelscheiben aufs Brot esse ich sonst nicht. Ich dachte, es hilft. Meine Zunge war danach wie verbrannt, aber in der Nase tat sich nichts.
Ich koche gerne für die Familie. An Weihnachten gab es Kartoffelklöße, Rotkohl und Gans. Die ist mir sehr gut gelungen, sie war außen knusprig und innen weich, nicht trocken. Mehr habe ich aber nicht gemerkt, denn der Geschmack fehlte.
Aber mir fiel plötzlich auf, wie faserig die geriebenen Klöße sind, das war nicht so lecker. Auch Chips sind übrigens doof, wenn man nichts schmeckt. Die splittern nur im Mund. Kekse sind zwar süß, aber unangenehm krümelig. Stattdessen habe ich viel Schokolade gegessen.
Geruch hat noch andere Funktionen. Gerade bei Fisch schnuppere ich normalerweise an den Kiemen, ob er noch gut ist. Man riecht auch, wenn etwas anbrennt. Oder dass man einfach mal lüften muss. Ist blöd, wenn man das nicht merkt.
Ich hatte gelesen, dass ein Arzt seine Patienten ohne Geruchssinn mit ätherischen Ölen trainiert. Ich habe dann immer an einem Rosenöl geschnüffelt, zur Kontrolle. Und schließlich, Anfang Januar, habe ich unten an der Nase was gemerkt, ganz wenig, aber es wurde mehr. Inzwischen kann ich wieder riechen und schmecken, zwar schwächer, aber es geht.
Mir ging es nicht schlecht wegen Corona. Aber die Angst, der Geruch könnte für immer weg sein, die war schlimm.
Anonym, 55, EDV-Techniker, Berlin
Protokoll: Antje Lang-Lehndorf
„Das Knackige hat mir dann gut geschmeckt, beziehungsweise: gemundet“
Der Geruchsverlust kam über Nacht. Ich habe neben dem Bett ein Körperöl stehen, mit dem ich mir morgens gern die Hände einreibe, das ist eigentlich so lecker zitronig – doch auf einmal konnte ich es nicht mehr riechen. Danach hab ich noch mein Lieblingskissenspray ausprobiert und dann war’s klar. Dass ich an Covid-19 erkrankt bin, wusste ich zu diesem Zeitpunkt bereits.
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Ich bin gleich in die Küche und habe mir einen starken Kaffee gemacht, doch auch der war fahl und kaum als Kaffee zu erkennen. Insgesamt war der Geruchsverlust eindeutiger, schmecken konnte ich noch ein paar Dinge ein wenig. Vor allem Zwiebeln und Knoblauch, die ich exzessiv genutzt habe. Dabei war mir ganz egal, wie sehr ich stinke. Ich war ja in Quarantäne.
In die Salatsoße habe ich mir etwa kleine rote Zwiebelwürfelchen gemacht, das war recht befriedigend. Und ich konnte sie identifizieren. Denn das Seltsamste ist, wenn man etwas isst und es nicht erkennt. Einmal habe ich im Salat auf irgendwas rumgekaut und mich gefragt: Ist das jetzt eigentlich Fenchel oder Rettich?
So fünf Tage ging das Ganze. In der kurzen Zeit habe ich meine Ernährung nicht groß umgestellt, aber das Gemüse eher etwas kürzer gegart. Einmal habe ich Rote Bete ziemlich al dente gekocht, sie mir ganz fein geschnitten, wie ein Carpaccio, und das mit Zwiebelsud übergossen. Durch das Knackige hat es mir dann gut geschmeckt, beziehungsweise: gemundet. Nicht gegessen habe ich allerdings die Weihnachtsplätzchen von meiner Mutter. Das wäre Perlen vor die Säue gewesen.
Zurückgekommen ist der Geschmack nicht über Nacht, sondern nach und nach. Granatapfelsaft konnte ich als Erstes wieder bewusst genießen. Den habe ich auch getrunken, als ich krank war, aber nur eine Nuance Säuerlichkeit geschmeckt. Als dann das Fruchtige mit dazu kam, das war schon geil.
Julia Baier, 49, Fotografin, Berlin
Protokoll: Michael Brake
„Meine Freundin verträgt kein Ei, auch der Geruch von rohem Fleisch ist nicht zu ertragen“
An den ersten Happen Matsch erinnere ich mich genau: ein Burrito. Der Reis, der Brotfladen, das Bohnenmus – ich wusste, sie waren da, schmeckte aber nichts.
Als ich mich mit Corona ansteckte, gab es in Hamburg erst hundert Infizierte. Meine Freundin hatte das Virus Anfang 2020 aus dem Skiurlaub mitgebracht. Erst glaubten wir noch an eine Erkältung. Eine Woche und zwei Presseerklärungen dauerte es, bis wir verstanden, was los ist.
Unsere Geruchs- und Geschmackssinne waren sofort weg. Zu Hause desinfizierten wir alles mit Chlorreiniger. Wir schnüffelten an der Tube: nichts. Es muss bei uns wie in einem Freibad gerochen haben. Als der erste Lockdown kam, waren wir schon fast wieder genesen. Das Virus ging, die Geschmacksveränderung blieb – bis heute.
Für mich ist das tragisch: Ich bin Italiener, gute Küche steckt in meiner DNA. Nebenher habe ich ein Food-Label und arbeite als Creative Director für große Lebensmittelmarken. Früher habe ich gerne für Gäste gekocht. Jetzt ist mein Geschmackssinn verschoben: Das Olivenöl ist bitter, der Espresso igitt und Salatdressing geht nicht mehr, da ich keinen Senf schmecken kann. Meine Freundin verträgt kein Ei, auch der Geruch von rohem Fleisch ist nicht zu ertragen. Wir haben eine Hypersensibilität für einige Duftstoffe entwickelt: Wenn jemand parfümiert ist, löst das manchmal Brechreiz aus.
Wir haben unsere Ernährung umgestellt. Ich begann, nach Texturen zu kochen: Kross. Matschig. Fest. Wenn man schon nichts schmeckt, soll es sich wenigstens interessant anfühlen. Kartoffelpüree (matschig) mit Bacon (kross), Champignons (bissfest) und Soße (flüssig). Oder Rote-Bete-Carpaccio mit Ziegenkäse, Walnüssen und Honig – der Honig bringt sogar noch eine klebrige Komponente.
Mittlerweile ist mein Geschmackssinn zu 90 Prozent wieder da, bei meiner Freundin sind es erst 70 Prozent. Wieder gute Gerichte zu servieren, ein guter Gastgeber zu sein – das ist mein großes Ziel. Denn Essen ist ein Segen! Man sollte dankbar sein, dass man schmecken kann.
Alessandro Tramontana, 34, freier Creative Director, Hamburg
Protokoll: Amonte Schröder-Jürss
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