piwik no script img

Simon Reynolds über Glamrock„Boogie ist das Schlüsselwort“

In seinem Buch „Shock and Awe“ taucht neben David Bowie auch Donald Trump auf. Simon Reynolds über Rockstars in Drag und den Showcharakter von Politik.

Für die Performance: Glamrock-Stiefel aus den 70ern Foto: imago/Metodi Popow
Julian Weber
Interview von Julian Weber

taz: Simon Reynolds, in Ihrem neuen Buch „Shock and Awe. Glamrock and its Legacy“ taucht neben Popstars wie David Bowie auch der kommende US-Präsident Donald Trump auf. Sie vergleichen ihn mit Tony DeFries, Bowies einstigem Manager. Diesem bescheinigen Sie ein Charisma „leicht jenseits des Rationalen“. Können Sie das bitte erläutern?

Simon Reynolds: Während der Niederschrift meines Buchs fanden die Vorwahlen der Republikaner statt, Trumps Kandidatur schlug Wellen. Also habe ich mir sein Buch „The Art of the Deal“ vorgenommen. Daraus ist zu erfahren, dass er sich als Showman begreift, ein Performer und gnadenloser Selbstdarsteller, weit mehr als nur Geschäftsmann. Für mich ist es bezeichnend, dass Trump Geschäftemachen als Kunst ansieht, was stets mit Tricksen und magischer Beschwörung einhergeht, zumindest, wenn man etwas verkauft, was es noch nicht gibt. Trump behauptet, dass er Übertreibung wie Wahrheit nutzt. Ähnlich im Pop, wenn ein Stil oder eine Künstlerin so lange gehypt werden, bis die Leute sie kaufen.

Was hat dieses Geschäftsgebaren mit Bowies Exmanager zu tun?

Exakt dieselbe Methode hat er in den Siebzigern angewandt, um den britischen Popstar in den USA berühmt zu machen: Er ließ Bowie flankiert von zwei überflüssigen Bodyguards in einer Limousine durchs Land fahren. Wer sich wie ein Star geriert, wird irgendwann einer. Auf der Ebene von Showbusiness ist das harmlos, auf der politischen Bühne wird es gefährlich.

Müssen wir Vermarktungsstrategien von Glamrock im Licht der Erfolge von rechtspopulistischen Politikern anders beurteilen? Sie drucken in Ihrem Buch ein Foto, das Bowie beim Hitlergruß zeigt.

In diesem Kontext sind autoritäre politische Führerfiguren sicher von Interesse. Bei einigen ist der Unterschied zwischen Show und Politik verwischt. Neben Trump war Berlusconi so eine Figur, die zunächst durch ihr TV-Imperium aufgefallen ist. Weiter zurück in der Geschichte ist auch Evita Peron in Argentinien erwähnenswert, die Populismus mit Nationalismus und autoritärer Macht verband und theatralisch vor die Massen trat. Auch Ihrem Diktator Hitler wurde einst bescheinigt, die Massen durch sein Gebrüll in den Bann zu ziehen.

Ist die Theatralik von Glamrock Vorbild für Inszenierungsstrategien von rechtspopulistischen Politikern?

Bei der Beschäftigung mit Glam, fielen mir Analogien zum Konzept des politischen Theaters auf: Ein Rockkonzert ist immer Massenspektakel, die Zuschauermenge wird sozusagen eins mit der Emotion auf der Bühne. Oft vermuten Anwesende, das sei eine Stimmung wie einst bei den Nürnberger Reichsparteitagen. Das ist verstörend. Auch Showbiz hat immanente autoritäre Potenziale. Auf der Bühne erhöht ist eine außergewöhnliche Figur zu sehen. Viele Fans betrachten sie als höheres Wesen, das eine Fantasie für die Zuschauer auslebt.

Im Interview: Simon Reynolds

geb. 1963 in London, hat acht Bücher über Pop veröffentlicht. Er schreibt unter anderem für die New York Times und den Guar­dian. „Shock and Awe. Glamrock and its Legacy“, Faber & Faber, London, 2016, 687 Seiten, ca. 14,95 Euro. Die deutsche Übersetzung ist in Vorbereitung.

Höchste Zeit über Marc Bolan zu sprechen, mit dem Sie Ihr Buch beginnen, einen jüdischen Londoner Künstler, der Ende Sechziger vom Hippie zur ersten Glamrock-Ikone wurde. Wie kam das?

Bolan lebte die Hippieidentität der Sechziger zunächst aus. Er saß mit Klampfe im Schneidersitz auf der Bühne und sang von Elfen und Feen. Aber er liebte auch simplen Rock’n’Roll, und 1969 transformierte er sich und sein Folkprojekt Tyrannosaurus Rex zu T. Rex. Auf der Bühne spielt Bolan von da an nur noch im Stehen, benutzte eine E-Gitarre und begann zu tanzen, das Schlüsselwort ist Boogie. Im Falle von Marc Bolan und T. Rex ist Boogie gleichbedeutend mit groovy Teenage-Spaß und einprägsamen Songhymnen. Bolan erfand Rock’n’Roll für das Posthippie-Zeitalter neu: Die Produktion war fett und psychedelisch, aber die Songs an sich simpel, wie es in den Fünfzigern ursprünglich geklungen hatte.

Auch Fans von Bolan und T. Rex begriffen sich als Teil von Glamrock.

Als es mit der „T. Rextasy“ in England losging, kamen sofort Vergleiche mit der Beatlemania auf. Bei den T.-Rex-Konzerten wurde geschrien ohne Ende, aber die Fans waren viel selbstbewusster und cooler als die der Sechziger. Viele Bolan-Fans zogen sich an wie ihr Idol: Sie schmückten ihre Haare mit Konfetti, trugen Make-up auf und hatten die typischen Satinjacketts und Seidenschals, wie sie auch Bolan trug.

Ihr Buch heißt „Shock and Awe“. Glam wird auch als „Shockrock“ bezeichnet, was war schockierend?

Als David Bowie berühmt wurde, kamen viele Fans geschminkt zu den Konzerten, mit dem Blitz, den er sich auf dem Cover seines Albums „Aladdin Sane“ ins Gesicht gemalt hatte. Er wurde Bowies Markenzeichen. Um Blitzeinschlag geht es auf verschiedenen Ebenen. Zum einen zeige ich, wie Glamstars elektrisieren, denken Sie an Bolans Meisterwerk, das T.-Rex-Album „Electric Warrior“. Mit Schock meine ich zum anderen auch die Ebene von Horror, wie sie Glamrock erzeugte. Die Stars waren berüchtigt für ihre Inszenierungen, etwa, dass sie Frauenklamotten trugen wie die New York Dolls oder wie David Bowie öffentlich sagten, sie seien schwul.

David Bowie hat ein letztes Album kurz vor seinem Tod im Januar 2016 veröffentlicht. Auch das eine gelungene Inszenierung. Warum gilt seine Glamrockphase als besonders künstlerisch?

Bowie sprach von sich als Schauspieler. Glamrock war nur eine von vielen Rollen, er spielte sie auf den Alben „Ziggy Stardust“, „Aladdin Sane“ und „Diamond Dogs“. Er war auch am Broadway engagiert, wirkte in vielen Filmen mit. Er begriff sich als Entertainer. Seine Verbindung zur Rockszene war lose. Er nutzte sie, um damit an bestimmte Orte zu gelangen, danach kam wieder etwas Neues. Seine Karriere war geprägt von selbst zu gefügtem Drama: Er nutzte Ruhm als Medium, um sich in der Öffentlichkeit zu inszenieren. 1975 ging er nach Los Angeles, dort dreht er ab. Dann kam er nach Berlin, um den Expressionismus der 1920er Jahre zu erkunden. Auf psychologischer Ebene macht er viel durch, um künstlerisch das zu erreichen, was er will.

Hat das Crossdressing von Glamrock mit der sexuellen Befreiung Ende Sechziger zu tun?

Schon vorher, Mitte der Sechziger, gab es androgyne Popstars wie Brian Jones und Ray Davies von den Kinks. Lange Haare bei Männern galten als feminin. Es gab Kurzfilme, in denen die Rolling Stones geschminkt auftraten. Auch Frank Zappa und die Mothers of Invention trugen bereits Frauenkleider, sahen aber nicht glamourös aus, sondern irre seltsam. Glamrock ist die nächste Stufe: Popstars in Drags, die verwegen aussehen, begeistern die Fans. Die Inspiration durch die schwule Subkultur kommt im Glam zum Vorschein. David Johansen, Sänger der New York Dolls, war vorher beim schwulen Theatre of Ridiculous in New York involviert. Interessant erscheint mir, dass die Glamrocker fast alle straight waren, aber Einflüsse aus der schwulen Szene begeistert angenommen haben. Durch Frauenkleider wirkten sie rebellischer, aufgeklärter und sexuell fluider.

Außer Suzy Quatro gibt es keine weiblichen Glamrockstars. Warum?

Durch Make-up aufzufallen, wie es die Männer gemacht haben, hat bei Frauen keinen Sinn gemacht, die Gesellschaft verlangte ohnehin von ihnen, dass sie glamourös aussehen. Also wäre es darum gegangen, weniger auffällig auszusehen. Suzy Quatro hat eine Gratwanderung geschafft, sie sah hart aus, trug einen Lederanzug, wie die Anführerin einer Gang, kam dabei auch niedlich rüber. Erst Punk hat Mitte Siebziger den Weg für andere Inszenierungen geebnet. Dann gab es Künstlerinnen, die glamourös aussahen und unheimlich zugleich.

Ihr Buch endet mit „Aftershocks“, Nachbeben, die sie im Pop der Gegenwart erkunden. Wer macht heute Glam?

Bei Lady Gaga sehe ich eine direkte Linie zu Bowie, sie hat ihm mehrmals gedankt und gesagt, ihr Image basiert auf seiner Wandlungsfähigkeit. Ich höre aber auch aus dem HipHop der Gegenwart das Echo von Glam. Eine Künstlerin wie Nicki Minaj nutzt Dutzende Personae, um sich zu inszenieren. Es gibt viele Glamsongs, die die Dekadenz des eigenen Stardaseins thematisieren, ähnlich im zeitgenössischen HipHop, speziell bei Drake und Kanye West. Wenn Pop nur noch Nabelschau betreibt, finde ich das auch bedenklich, obwohl Kanye West einige tolle Songs gemacht hat.

Ist die wichtigste aktuelle Bedeutung von Glamrock, Ruhm als Ideologie?

Glamrock ist eine aufregende Phase des angloamerikanischen Pop, die Alben aus den frühen Siebzigern verkaufen sich noch immer. Davon abgesehen, Donald Trump hat Glam neue Relevanz gegeben. Er ist geradezu besessen von Ruhm, wie einst Bolan und Bowie. Die beiden finde ich bewundernswerte Figuren, wobei schon auffällt, dass sie sich ständig gewandelt haben. Dafür haben sie sogar gelogen. Glamrock hat Fake News erfunden. Um es mit einem Titel von Lady Gaga zu sagen, Trump ist ein „Fame Monster“, er hat Showbiz-Tricks angewandt, um der mächtigste Mann der Welt zu werden. Er folgt keiner bestimmten Ideologie. Er entscheidet Dinge spontan. Eine Politik, die einzig auf Images und Tweets beruht, ist fragwürdig. Wir brauchen aber jemand, der langfristig denkt und Lösungen für die großen Probleme findet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!