Silvesternacht in Connewitz: Anwälte erheben Vorwürfe
Nach der Connewitzer Silvesternacht beklagen Anwälte ein überzogenes Vorgehen: Festgenommene würden zu lange festgehalten, Beweise seien mager.
In der Silvesternacht in Connewitz war es zu Angriffen auf Polizisten gekommen. Ein Beamter blieb verletzt und bewusstlos zurück. Auch wenn die Polizei eine behauptete Not-OP nach einem taz-Bericht zurücknahm, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen versuchten Mordes. Tatverdächtige fehlen hier bis heute. Zu Straftaten im Nachgang nahm die Polizei 12 Personen fest. Drei sitzen bis heute in U-Haft, einer wurde bereits in einem Schnellverfahren verurteilt. Augenzeugen berichten indes auch von Übergriffen von Polizisten, die ebenfalls zu Bewusstlosen geführt hätten.
Anwalt Daniel Werner vertritt einen 30-Jährigen, der bis heute in Haft sitzt. Laut Staatsanwaltschaft wird ihm ein tätlicher Angriff, vorsätzliche Körperverletzung und Gefangenenbefreiung vorgeworfen – rund 45 Minuten nach der Tat, die als versuchter Mord eingestuft wird. Werner hält die Beweislage indes für dürftig. Es gebe bislang nur die Aussage zweier Polizisten. Und diese seien nach den „Unwahrheiten“ der Polizei über die Silvesternacht „mit gebotener Skepsis zu beurteilen“.
Zudem kämen die Beamten selbst als Tatverdächtige in Betracht, weil sie seinen Mandanten bei der Festnahme verletzt hätten, so Werner. „In dieser Konstellation gibt es wohl ein Sonderinteresse an der Verurteilung meines Mandanten.“ Denn auch der 30-Jährige sei bewusstlos gewesen, musste im Krankenhaus behandelt werden. „Er sah sehr lädiert aus. Auf seiner Kleidung war ein riesiger Blutfleck.“ Auch die behauptete Fluchtgefahr sieht der Anwalt nicht: Sein Mandat befinde sich in einer Ausbildung und sei chronisch krank.
Nicht rasch genug dem Haftrichter vorgeführt
Werner hält den Haftbefehl auch formell für rechtswidrig. Denn der Mann sei erst 40 Stunden nach der Festnahme einem Richter vorgeführt worden. „Ein Verstoß gegen das Unverzüglichkeitsgebot.“ Zudem sei der Richter „von Anfang an überzeugt gewesen, dass mein Mandant in Haft geht“. Werner stellte inzwischen einen Befangenheitsantrag gegen den Richter. Zudem hat er eine Haftprüfung beantragt und einen Freilassungsantrag eingereicht. Beides aber werde seit Tagen verzögert, sagt Werner. „Mein Mandant ist aber sofort freizulassen.“
Ein Sprecher der Leipziger Staatsanwaltschaft beteuerte, bei dem 30-Jährigen werde in „Übereinstimmung mit den einschlägigen strafprozessualen Vorschriften“ vorgegangen. Diese erlaubten ein Festhalten eines vorläufig Festgenommenen bis zum Folgetag. Im konkreten Fall sei eine frühere Vorführung wegen „notwendiger Ermittlungen“ nicht möglich gewesen. Auch die Fluchtgefahr sieht die Staatsanwaltschaft weiter. Diese sei durchaus weiter gegeben, deshalb habe der Haftbefehl Bestand, so der Sprecher.
Dürftige Beweislage
Auch der Anwalt Jürgen Kasek, der für die Grünen aktiv ist, erhebt indes Vorwürfe. Er vertritt drei Personen, die in der Silvesternacht vorübergehend festgenommen wurden. Auch hier sei die Beweislage sehr dürftig, teils gehe es wohl schlicht um Verwechslungen, sagt Kasek. Auch vorbestraft sei das Trio nicht. Dennoch seien seine Mandanten bis zu 38 Stunden festgehalten worden, isoliert in Einzelzellen. Ihre Handys seien bis heute beschlagnahmt.
Kasek hat inzwischen Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft eingelegt. „Ich habe bis heute keine Begründung, warum meine Mandaten so lange festgehalten wurden“, kritisiert der Anwalt. „Damit bleibt der Anfangsverdacht einer Freiheitsentziehung im Amt.“
Neben einigen Festgenommenen hatten auch weitere Anwesende in der Silvesternacht den Polizeieinsatz kritisiert: Sie seien von Beamten geschlagen, getreten oder umgerannt worden. Die Staatsanwaltschaft prüft auch dazu nun von Amts wegen, ob ein Anfangsverdacht auf Straftaten vorliegt. Die Behörde rief Betroffene auf, Anzeigen zu erstatten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Tod von Gerhart Baum
Einsamer Rufer in der FDP-Wüste
+++ Nachrichten zur Ukraine +++
Gespräche bei der Sicherheitskonferenz