Sigmar Gabriel in Nordkorea: Ein Weltpolitiker aus Goslar
Sigmar Gabriels Reise nach Nordkorea erregt viel Aufsehen – und Misstrauen in der SPD. Plant der Ex-Außenminister ein Comeback?
Eigentlich war Gabriel ja weg. Kein Parteichef mehr, kein Ministeramt, nur noch einfacher Abgeordneter für den Wahlkreis Wolfenbüttel, Salzgitter und Vorharz. Mehr Zeit für die Töchter. Aber Gabriel erweckt nicht den Eindruck, sich mit Grillfesten der örtlichen SPD zufriedenzugeben. Das Bundestagsmandat, eigentlich ein Job, der auch das Wochenende füllt, ist für einen Weltpolitiker wie ihn zu eng. In der SPD beäugen sie den Aktionismus des 59-Jährigen misstrauisch: Plant er ein Comeback?
Gabriel, der einen Autorenvertrag bei der Holtzbrinck-Gruppe hat, publiziert nahezu im Wochentakt Beiträge im Tagesspiegel oder anderswo. Gabriel erklärt, warum Berlin und Paris Initiativen für eine Sicherheits- und Industriepolitik starten müssten (5. März). Warum der Umgang mit Diktatoren wie im Iran oder Saudi-Arabien nicht mit Moral zu regeln ist (15. Februar). Oder warum das Zeitalter des Eurozentrismus vorbei ist (9. Februar). Was immer auf der Welt passiert, eins ist sicher: Gabriel hat eine Meinung dazu. Das Ende des nordkoreanischen Atomprogramms kann eigentlich nur noch eine Frage der Zeit sein.
Er installiert eine Art Nebenaußenpolitik, getragen von interessierten Medien. SPD-Außenminister Heiko Maas muss das fürchterlich nerven, aber er ist professionell genug, sich das nicht anmerken zu lassen. „Das ist von jedem Abgeordneten selber zu entscheiden, was er tut und was er nicht tut“, kommentiert Maas die Nordkoreareise knapp. Dabei ist Gabriels Besuch dort keinesfalls so „privat“, wie er tut. Er traf immerhin den Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses der Obersten Volksversammlung in Pjöngjang, Ri Su Yong – und überreichte auch ein Geschenk für Machthaber Kim Jong Un. Ganz staatsmännisch, nur ohne große Eskorte.
Manche in der SPD vermuten Ambitionen
Ist man Gabriel freundlich gesinnt, könnte man sagen, er habe seine Rolle als Elder Statesman noch nicht gefunden. Doch manche in der SPD vermuten, dass er Ambitionen hat, wieder ganz vorne mitzuspielen. Es ist kein Geheimnis, dass er in der Neuauflage der Großen Koalition gerne als Außenminister weitergemacht hätte. Das neue Führungsduo Andrea Nahles und Olaf Scholz servierte ihn im März 2018 ab, weil sie keinen Unruhestifter im Kabinett haben wollten.
Gabriel rächt sich auf seine Weise – und macht keinen Hehl daraus, dass er nichts von seiner Nachfolgerin im Parteivorsitz hält. Dabei genießt er es, von einigen wieder als Hoffnungsträger gehandelt zu werden. Ex-Kanzler Gerhard Schröder empfahl seiner Partei Anfang Februar im Spiegel, stärker auf Gabriel zu setzen. Er sei „vielleicht der begabteste Politiker“, den die SPD habe. Gleichzeitig brach Schröder den Stab über Nahles. Jene habe „Amateurfehler“ gemacht, verfüge nicht über ökonomische Kompetenz und sei nicht für die Kanzlerkandidatur geeignet.
Statt das Urteil über seine Intimfeindin still zu genießen, legte Gabriel nach. Und belegte so einmal mehr seine größte Schwäche: mangelnde Selbstkontrolle. Als Arbeitsminister Hubertus Heil kurz nach Schröders Interview sein Konzept einer Grundrente vorstellte, gratulierte Gabriel via Twitter. Heil bringe das Sozialministerium auf Kurs, „das noch vor zwei Jahren die Grundrente gemeinsam mit dem Kanzleramt verhindert hatte“. Sozialministerin vor zwei Jahren war: Andrea Nahles.
Genug Gelegenheiten für Putsch gegen Nahles
Im Nahles-Lager hatte man besorgt beobachtet, wie die Einschläge näher kamen. Aber nach Gabriels Tweet machte sich Erleichterung breit. „Das war too much“, sagte eine Nahles-Unterstützerin. „Diese Aktion hat Gabriel isoliert.“ Seine Optionen, noch einmal mitreden zu können, sind sehr überschaubar. Zwar ist es keine ausgemachte Sache, dass sich Nahles an der Spitze halten kann. Die SPD könnte bei der Europawahl am 26. Mai untergehen – und bei den ostdeutschen Landtagswahlen im Herbst sowieso. Gelegenheiten für einen Putsch gegen die wenig charismatische Chefin gibt es genug.
Aber Gabriel hat sich in den sieben Jahren als SPD-Chef viele Feinde gemacht. Die GenossInnen litten unter seinem Zickzackkurs, seiner Unzuverlässigkeit und seinem mitunter brüsken Ton. Dass ihn ein SPD-Parteitag erneut zum Vorsitzenden wählen würde, ist kaum vorstellbar. Gleiches gilt für die Abgeordneten, falls es um den Fraktionsvorsitz ginge.
Bleibt die Kanzlerkandidatur im Falle einer Neuwahl. Manche SPDler mutmaßen: Falls sich die SPD dafür entschiede, die Kandidatur über eine Urwahl aller Mitglieder zu entscheiden, könnte Gabriel gegen den drögen Scholz antreten – und sich durchsetzen. Aber selbst ein solcher Pakt mit der Basis wäre ein Irrsinnsprojekt. Ein SPD-Kanzlerkandidat, den nicht nur die komplette Parteiführung hasst, sondern auch der größte Teil der Fraktion? Da ist es wahrscheinlicher, dass Kim Jong Un die Reisefreiheit verkündet. Aber einem wie Gabriel wäre die „Ich habe keine Chance, aber ich nutze sie“-Strategie durchaus zuzutrauen.
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