Siegeszug der Handyfotografie: Ich möchte kein Influencer sein
Handys haben das Fotografieren demokratisiert. Aber es wird immer schwieriger, Bilder zu machen, die nicht dem Kommerzdenken entsprechen.
E s hätte etwas Boomerhaftes, sich nach den alten Zeiten zu sehnen, als es die Rolle des Vaters war, Familienurlaube fotografisch zu begleiten. Wer die daraus resultierenden Diaabende nie erlebt hat, möge sich glücklich schätzen. Nicht nur in den Familien ist die Autorität der Person mit der Kamera (in der Vergangenheit zumeist ein Mann) dadurch aufgelöst worden, dass jedes Handy eine Kamera hat und seine Besitzer:in in die Lage versetzt, ohne technisches Know-how problemlos fotografieren zu können.
Die nicht nur in der Kunstszene weit verbreitete Meinung, dass Leute, die ihr Mittagessen fotografieren oder einen Konzertbesuch auf sozialen Medien teilen, dadurch ihr Essen oder Konzert weniger genössen, als wenn sie nicht fotografierten – diese Idee fand ich immer zu einfach. Zum einen unterscheidet sich die Geste, bildlich andere Menschen am eigenen Genuss teilhaben lassen zu wollen, nicht von den Diaabenden der Vergangenheit.
Davon abgesehen ist es schwer zu verstehen, dass Menschen ein Interesse daran haben sollen, mit Absicht ihren eigenen Genuss zu mindern. Als ich zum Beispiel vor vier Jahren den Großen Buddha in Kamakura, Japan besuchte, gehörte ein Selfie natürlich mit zum Programm. Geschmälert hat das mein Erlebnis auf gar keinen Fall. Und ich gucke mir das Foto immer wieder gerne an – als könnte ich es immer noch nicht begreifen, dass ich wirklich an diesem magischen Ort war.
Es wäre aber fatal zu glauben, dass es keine Probleme mit der Handyfotografie gäbe. Handykameras haben das Fotografieren einfach gemacht. Aber es gibt das Problem, dass gerade in sozialen Netzwerken oft sehr ungesunde Körperbilder kommuniziert werden, was zu erheblichen psychologischen Problemen führen kann.
ist Fotograf und Autor und lebt in Northampton, Massachusetts/USA. Er bietet Fotoseminare an und betreibt den Blog cphmag.com.
Fluch und Segen von KI
Und die Firmen, die Handys produzieren, können es nicht lassen, ihre Kamerafunktionen ständig zu verbessern oder zunehmend zu verschlimmbessern. In zunehmendem Ausmaße greifen Handy-Hersteller auf künstliche Intelligenz (KI) zurück. Auf der einen Seite kann das sinnvoll sein: Im Vergleich zu Profikameras sind die Sensoren und Optiken in Handys einfach zu klein, um vergleichbare Ergebnisse zu liefern. Versprochen und erwartet werden diese aber. Dadurch müssen die Rohdaten, die die Hardware liefern kann, mit Software aufgebessert werden, ob nun durch Kombination verschiedener Einzelbilder oder durch Extrapolationen, also Schätzungen, oder durch KI.
Wie genau das Endergebnis gemacht wurde, ist oft nicht klar. Und welche:n Verbraucher:in kümmert das schon? Dass mittlerweile aber Handyfotos oft so aussehen, als wären sie mit einem Filter versehen worden – das ist nicht unbedenklich. Für mich als Fotografen und Kritiker ist die reguläre „Camera“-App des iPhones zu problematisch, um sie zu benutzen. Wir könnten uns lange darüber streiten, in welchem Ausmaß Fotos wirklich die Realität abbilden. Interessant wird so eine Debatte nur, wenn wir nicht fragen, ob ein Foto eine Realität abbildet, sondern wessen Realität es abbildet. In meinem Foto des Großen Buddha ist die über 13 Meter hohe Bronzestatue dezent grün-blau-grau unter einem von Wolken verhangenen Himmel.
Damals hatte ich noch ein viel älteres iPhone-Modell als heute. Was mein iPhone 12 aus der Szene gemacht hätte, mag ich mir nicht ausdenken. Vermutlich gäbe es mehr Kontraste, das Zartgrün-Blaugraue der Patina wäre knalliger und weniger dezent. Dieses Handy macht keine Fotos, die von einem ruhigen, wolkenverhangenen Tag zeugen. Stattdessen liefert es mir Bilder, die mich an Werbeanzeigen erinnern oder an die immer so intensiven Fotos, mit denen Influencer:innen zeigen, wie unnatürlich schön es doch überall ist. Aber wie gesagt, mich interessiert nicht, welche Ästhetik angebracht ist, mich interessiert, wessen Ästhetik mir hier verkauft werden soll. Als Benutzer meines Handys beharre ich darauf, dass es meine eigene ist.
Ich habe kein Problem damit, einen Filter zu benutzen, wenn ich es für angemessen halte. Ich habe auch kein Problem damit, dass andere Leute Filter benutzen oder ihre Fotos auf eine Weise bearbeiten, die ich selber nicht besonders attraktiv finde. Was mich allerdings beunruhigt: Für viele Handys ist die Ausgangsbasis für ein Foto nicht mehr etwas, das vielleicht einer Nachbearbeitung bedarf (ob nun mehr oder weniger Kontrast, buntere oder dezentere Farbe zum Beispiel).
Apps machen uns zu Influencern
Die Ausgangsbasis ist stattdessen oft ein Foto, das schon sehr weit in eine bestimmte Richtung gedreht wurde: die Welt des Kommerzes, in der alles, aber auch wirklich alles am Ende nur die Frage aufwirft, was hier verkauft werden soll. Mit anderen Worten: Wenn die Apps in unseren Handys uns alle zu Influencern machen, ob wir es wollen oder nicht, dann ist das ein Riesenproblem. Natürlich lassen sich solche Funktionen oft abschalten – aber eben nur für die Leute, die wissen, wie das geht, und die nötige Geduld aufbringen. Im Falle meines iPhones 12 bleibt mit nur, eine andere App als die von Apple zu benutzen – was eine nicht unaufwändige Recherche erforderte.
In zunehmendem Maße wird es schwieriger, mit Handys Fotos zu machen, die nicht aus der Welt des Kommerzes zu kommen scheinen. Die Welt, von der wir unsere Bilder machen, sieht nicht so aus, wie es unser Handy zeigt. Aber es sind auch am Ende nicht unsere Fotos, die wir machen. Stattdessen bekommen wir „eine Anschauung der Welt“, so der Filmemacher Guy Debord, „die sich vergegenständlicht hat“: die Welt als kapitalistisches Spektakel.
Ohne unsere Zustimmung werden wir zu Teilnehmer:innen dieses Spektakels. Interessanterweise versagten Handykameras dann aber, als in den USA der Himmel durch Rauch und Feinstaub von Waldbränden orangerot wurde. Dieses Spektakel, verursacht durch die Klimakrise, die eine Ausgeburt des Kapitalismus ist, konnte bildlich nicht erfasst werden. Die Symbolik dieser Tatsache brauche ich sicher nicht zu erläutern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja