Sieg der Taliban in Nord-Afghanistan: Drogen, Gold und flexible Fronten
Afghanistans Norden haben die Taliban jetzt ohne großen Widerstand erobert – obwohl dort weniger Paschtunen leben und es dort früher viele Gegner gab.
![Bärtiger uniformierte Mann sitzt auf einem Stuhl an einer Straße, dahintr andere teilweise uniformierte Männer. Bärtiger uniformierte Mann sitzt auf einem Stuhl an einer Straße, dahintr andere teilweise uniformierte Männer.](https://taz.de/picture/5033211/14/28186029-1.jpeg)
Nordafghanistan reicht von der Grenze zu Turkmenistan im Westen bis nach Badachschan im Osten, das an Tadschikistan und Pakistan grenzt. Ethnisch dominiert wird es von Usbeken, Tadschiken und Turkmenen. Dazwischen leben zahlreiche Minderheiten. Die größte sind die Paschtunen mit etwa 30 Prozent, die im Süden des Landes wie auch bei den Taliban die Mehrheit bilden.
Die Region kam erst spät, Mitte des 19. Jahrhunderts, zu Afghanistan. Zuvor war sie eher mit dem mittelasiatischen Staat Buchara verbunden, den die Sowjetunion in den 1920er Jahren annektierte. Davor flohen Hunderttausende weitere Tadschiken, Usbeken und Turkmenen. Nicht zuletzt wegen dieser Vergangenheit war in der Region der Widerstand gegen die sowjetische Besatzung (1979–89) besonders stark.
Die damals aufkommenden Warlords wurden dominante Akteure der Region. Nach 2001 waren sie die wichtigsten Bündnispartner der US-geführten Anti-Taliban-Intervention. Auch jetzt richteten sich wieder Hoffnungen darauf, dass sie den Talibanvormarsch stoppen würden. Aber bereits die zweite Provinz, die an die Taliban fiel, war Dschusdschan, Hochburg des usbeko-afghanischen Warlords Abdul Raschid Dostum.
Dostums Führer schlossen sich Taliban an
Während Dostum mit Präsident Aschraf Ghani in Kabul sprach, gaben seine Milizen aber auf. Einige Führer schlossen sich gar den Taliban an. Ob aus Überzeugung oder weil ihnen kein anderer Weg blieb, ist unklar. Dostum und Ghani flogen am Dienstag nach Masar-i-Scharif, um die Verteidigung der Großstadt zu organisieren. Dort wird bereits in den Vororten gekämpft, aber Regierungskräfte schlugen einen Taliban-Angriff zunächst zurück.
Während Nordafghanistan unter dem Talibanregime (1996–2001) lange eine Anti-Taliban-Bastion war, auch wenn sie mit Ausnahme weniger Gebiete – darunter Badachschan – letztlich doch an die Taliban fiel, sind sie dort jetzt besonders erfolgreich. Wichtigste Ursache ist ihre erfolgreiche Mobilisierung unter dortigen Nichtpaschtunen.
Vor allem gewannen sie die örtliche islamische Geistlichkeit mit ihrem Narrativ der ausländischen und gegen den Islam gewandten Okkupation. Da die Geistlichkeit gerade in der ländlichen Bevölkerung großen Einfluss hat, folgten ihr ganze Gemeinden. Zudem installierten die Taliban auf Provinz- und Distriktebene Schattengouverneure und Frontkommandanten aus der Lokalbevölkerung, während vor 2001 ortsfremde Paschtunen dominierten.
Zulauf brachte den nordafghanischen Taliban nach 2001 auch die vom Westen tolerierten Racheakte auf die paschtunische Minderheit, der ihre Unterstützung des Talibanregimes angelastet wurde. Die Warlords schlossen die lokalen Paschtunen weitgehend von öffentlichen Ämtern aus. Es gab Plünderungen und Vertreibungen. Gerade die besonders konservative Nordostprovinz Badachschan hatte aber schon vor 2001 Vertreter in der Führung der Taliban, und diese genossen dort bereits punktuellen Einfluss.
Irrglaube, Norden sei gegen Taliban immun
Bereits 2011 schrieben die Afghanistan-Analysten Christoph Reuter und Antonio Giustozzi, dass in den Hauptstädten der Interventionsmächte lange „der Glaube weit verbreitet war, der Norden sei immun gegen Taliban-Infiltration“. Deshalb wählte die Bundesregierung Kundus als Hauptquartier für ihre seit 2003 dort stationierten Truppen, damals noch Teil der Isaf-Schutz- und Wiederaufbaumission.
Ein krasses Fehlurteil, wie sich bald zeigte. Ab 2005, so die beiden Forscher, bauten die Taliban „Zellen in den sogenannten Paschtunen-Enklaven“ auf, ohne dass diese zunächst militärisch aktiv wurden. Das Bild habe sich aber nach punktuellen „Angriffen, Anschlägen mit selbst gebauten Sprengkörpern und selbst großangelegten Attacken“ auf westliche und Regierungskräfte „drastisch gewandelt“.
Auch die Bundeswehr war betroffen. Im Mai 2007 tötete ein Selbstmordattentäter im Basar von Kundus drei Soldaten, die Kühlschränke für ihr Feldlager kaufen wollten.
Doch sind die Fronten auch im Norden Afghanistans nicht eindeutig. Alle Seiten sind von kriminellen Netzwerken durchdrungen, die nach Opportunität entscheiden, auf welche Seite sie sich wie lange stellen und die oft über Frontlinien hinweg kooperieren.
Militärs verkaufen Munition
Das reicht vom Verkauf von Treibstoff und Munition durch Armee- und Polizeikommandeure an die Taliban bis zum Teilen der Einkünfte aus dem Bergbau. Bei der Goldmine im Distrikt Raghistan in Badachschan läuft das zwischen Taliban und lokalen Unternehmerkommandeuren, die formal auf Regierungsseite stehen.
Zudem führen wichtige Drogenrouten durch Badachschan und weitere Nordprovinzen, um deren Kontrolle die Kriegsparteien streiten. Über diese Route gelangen via Zentralasien große Mengen Heroin und Crystal Meth nach Europa, hergestellt aus afghanischem Opium. Auch Nasri Muhammad, der Hauptkommandeur und langjährige Bürgermeister von Badachschans Hauptstadt Faisabad, gehört zu diesen mafiösen Strukturen.
Die Bundeswehr hatte ihn für die Bewachung ihres dortigen Camps angeheuert, sich aber jahrelang geweigert, seine Verbindungen zur Kenntnis zu nehmen. Seitdem trugen alle Bundesregierungen durch das Ignorieren von Realitäten und Schönfärberei dazu bei, dass nicht zeitig umgesteuert wurde. Diese Fehler gipfeln jetzt im erneuten Siegeszug der Taliban.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!