Siedler in Jerusalem: Hass auf alles Nichtjüdische
Siedler wollen Jerusalems Altstadt judaisieren. Davon bedroht sind Palästinenser, Araber und Armenier. Sie erleben nahezu täglich Gewalt.
D as weiche Licht des frühen Abends lag über dem griechisch-orthodoxen Friedhof am Rande der Jerusalemer Altstadt. Das schwere Tor war geschlossen. Doch als ich meinen Wunsch durch die schwere graue Eisentür rief, das Grab von Shirin Abu Akleh sehen zu wollen, öffnete sich das Tor wie von Zauberhand. Den Wärter freut’s, wenn die Königin seines Friedhofs Besuch bekommt. Die Al-Jazeera-Reporterin, erschossen vom israelischen Militär, hat ein prächtiges Marmorgrab, mit einem Foto, als spräche sie noch vom Bildschirm, und einem marmornen Mikrofon.
Als sie beerdigt wurde, vor gut einem Jahr, läuteten die Kirchenglocken der Altstadt, selbst die tiefe Glocke der deutschen Benediktinerabtei, die an den Friedhof grenzt, stimmte ein. Das Läuten erinnerte daran, dass die Altstadt an ihren Bewohnern gemessen überwältigend palästinensisch ist – und ausgestattet mit israelischen Überwachungskameras auf Schritt und Tritt.
Die Annexion Ostjerusalems mitsamt der Altstadt vor 44 Jahren war für den Rest der Welt immer null und nichtig, und nun steht seit dem Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs obendrein fest: Die Besatzung an sich ist völkerrechtswidrig. Man bewegt sich also in der Altstadt zwischen allerlei fröhlich-touristischem Tand in einem doppelt illegal überschriebenen Raum.
Von Shirin Abu Aklehs Grab war es ein kurzer Fußweg zum armenischen Viertel, wo Aktivisten in einem Protestcamp ausharren, zum eigenen Schutz ihrerseits mit Überwachungskameras nach allen Seiten. Wie andere christliche Gemeinden zuvor kämpfen die Armenier gegen aggressive Siedlergangs, die Geschäftsleute bedrohen und Priester bespucken. Länger als ein halbes Jahr besteht schon das Camp, ein Unterstand aus Pressplatten mit Sofas, Fernseher, allerlei Slogans und einer historischen Karte, auf der die Fluchtrouten des Genozids verzeichnet sind – eine führte nach Jerusalem. Draußen aus Bauschutt ein kleiner symbolischer Berg Ararat.
„Ich bin Jerusalemer“
Manche der Aktivisten betrachten sich als armenische Palästinenser, bei Israels Staatsgründung 1948 wurden auch viele Armenier vertrieben. Andere sagen, so wie Hagop Djernazian, der Sprecher des Camps: „Ich bin Jerusalemer, Jerusalem ist meine Identität.“ Der 24-Jährige spricht armenisch, arabisch, hebräisch, englisch, ein Mitkämpfer am Tisch obendrein Französisch. „Als kleine Minderheit kommunizieren wir mit allen, so funktioniert Jerusalem.“ Die Siedler, sagt Hagop Djernazian, wollen hingegen die Altstadt judaisieren. Und die aggressiven Jungen, die sogenannte Hügeljugend, seien dazu erzogen worden, vor niemandem Respekt zu haben.
Mein Rundgang führt mich weiter in die Kettentorstraße, eine schmale Gasse, in der sich kurz vor einem bewachten Durchgang zum Tempelberg die Khalidiyya-Bibliothek befindet. International bekannt beherbergt sie eine der weltgrößten Sammlungen alter islamischer Handschriften. Der US-palästinensische Historiker Rashid Khalidi, dessen Buch „Der Hundertjährige Krieg um Palästina“ soeben auf Deutsch erschien, entstammt dieser Familiendynastie und hat hier geforscht.
Beim Anblick brüchiger Manuskripte denke ich an meine Besuche in Timbuktu, wo vor Jahren wertvolle Handschriften vor Islamisten gerettet wurden. Hier droht ein Fanatismus anderer Art: Er zielt auf die Immobilie, nicht die Schriften. Siedler besetzten einen Flügel des Khalidiyya-Komplexes, indem sie mit gefälschten Besitzdokumenten wedelten und unter den Augen der Polizei Türschlösser aufbrachen. Es bedurfte eines Gangs zum Gericht, um die Hooligans loszuwerden. Sie ließen ihre Tora-Bände zurück, kletterten auf die Dächer und spuken weiter bedrohlich herum.
Die Khalidis stellten über Jahrhunderte Richter an osmanischen Gerichtshöfen, eine Familie von Notabeln und Intellektuellen, so erklärt sich das immense Schrifterbe. Ich versuche, mit den Polizisten am nahen Checkpoint über diese Geschichte zu reden, immerhin stehen sie jeden Tag vor den Gebäuden. Beim Stichwort Gerichte sagen sie interessiert: „Unsere Gerichte?“ Nein, arabische! Sie lächeln überlegen. Sich etwas jahrhundertealtes Arabisches vorzustellen, noch dazu in Schriftform, fügt sich nicht in ihr Weltbild. Annektierte Subjekte haben keine zu respektierende Kulturgeschichte.
„Möge es niederbrennen“
Beim Siedlerterror paart sich dieses Gefühl kultureller Überlegenheit mit der Phantasie eines ultimativen Berechtigtseins – beides zusammen macht skrupellos. „Brennt es nieder“, der Schlachtruf gilt mal einem Dorf in der Westbank, mal einer UN-Vertretung in Jerusalem. „Möge es niederbrennen“ wurde dieser Tage auch beim Überfall auf die Armenian Tavern gerufen, ein alteingesessenes Restaurant in der Nähe des armenischen Konvents, wenige Meter vor einer Polizeistation. Mit Hoodies über Schläfenlocken versprühten sie Pfefferspray und zerschlugen Mobiliar. Sie kamen zweimal in einer Woche.
Jeder einzelne dieser Vorfälle wirkt obskur, kaum des Berichtens wert. Doch sie verbinden sich zu einem Mosaik, einem Mosaik des Hasses auf alles Nichtjüdische. Und da dies alles ja jüdisches Territorium sei, wie Netanjahu sagt, fühlen sich die jungen Hasstäter befugt zu vertreiben, wer da nicht hingehört. Einige israelische Menschenrechtsverteidiger nennen diese Mentalität faschistisch.
Ein Solidaritätsdinner neben dem symbolischen Berg Ararat, weiches Abendlicht. Die armenischen Aktivisten bekommen Unterstützung aus der jüdischen wie der palästinensischen Zivilgesellschaft, denn sie stehen für ein humanes, multikulturelles Jerusalem. Dem Haager Völkerrecht zu Macht verhelfen kann wohl nur Druck von außen. Aber nichts geht ohne gemeinschaftliches Handeln von unten. Ein Moment der Hoffnung neben dem Ararat aus Bauschutt.
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