Show „MJ – Das Michael Jackson Musical“: Die Wucht des Werks
Für ein mitreißendes Michael Jackson-Musical braucht es Konfliktvermeidung und hervorragende Darsteller. Mit beidem kann die Hamburger Show aufwarten.
Ein Michael Jackson-Musical ist ein Wagnis, keine Frage. Jede*r hat ein Bild von Michael Jackson im Kopf, kennt seine Songs, seine Art zu Tanzen, sein Aussehen, seine Klamotten. Jede*r kennt seine Geschichte, zumindest grob, vom schwarzen Jungen, der mit seinen Brüdern als Jackson Five schon als Elfjähriger den ersten Hit landete, später zum King of Pop wurde, dem Superstar der 80er, dann abstürzte, mit einem von Schönheitsoperationen entstellten Gesicht, Vorwürfen von Kindesmissbrauch, Drogen und einem ominösen Tod im Jahr 2009.
Michael Jackson ein Musical zu widmen bedeutet, auszuwählen zu müssen. Erzählt man die Geschichte von der Lichtgestalt oder vom Monster? Oder gar von beidem? Und wer soll ihn verkörpern, diesen genialen Sänger und Tänzer? Ist die Aufgabe, als Michael Jackson auf eine Bühne zu gehen, nicht grundsätzlich eine Nummer zu groß?
In der Hamburger Inszenierung des 2022 am Broadway uraufgeführten Musicals „MJ – Das Michael Jackson Musical“ gibt es auf diese Fragen klare Antworten. Das Stück ist angesiedelt im Jahr 1992, Michael Jackson probt gerade für seine „Dangerous“-Welttournee und ein Kamerateam von MTV bekommt die Chance für ein Interview zum bisherigen Leben von MJ. In dem ist Jackson kein Täter, sondern Opfer – vom ehrgeizigen Vater mehr getrieben als geliebt und von den Medien gehetzt. Das Stück endet mit dem ersten Konzert der Tour. Die unangenehmen Jahre danach spart es sich.
In Rückblenden geht es um die Anfänge mit den Jackson Five, den Start als Solokünstler, den Aufstieg zum King of Pop. Für jede Lebensphase gibt es einen Jackson-Darsteller und jeder von ihnen ist der Rolle auf beeindruckende Art gewachsen.
„MJ – Das Michael Jackson Musical“. Stage Theater an der Elbe
Luan (die Nachnamen der Kinderdarsteller werden nicht veröffentlicht) ist der 12jährige Michael Jackson im Sinne einer frappierenden 1:1-Kopie. Prince Damien der aufstrebende Solokünstler mit wenig physiognomischer Ähnlichkeit, aber einer Akzentuierung der Athletik des Tanzes. Benét Monteiro der Superstar von 1992, der jenseits seiner Auftritte so zerbrechlich und kindlich daherkommt, dass man ihn in den Arm nehmen und trösten möchte, wenn ihm sein Manager den Raketenrucksack bei der Show streichen will.
Benét Monteiro schafft es, nicht nur die Tänze, sondern auch die Stimme von MJ perfekt zu imitieren. Das Einzige, was ihm fehlt, ist Jacksons sexuelle Aggressivität beim Tanzen. Dafür tritt bei ihm der fragile Jackson in den Vordergrund.
Und dann kommt die Musik zum Tragen, die Songs, denen sich niemand entziehen kann, der empfänglich ist für Pop und Funk: „ABC“, „Blame It on the Boogie“, „Beat It“, „Thriller“, „Bad“, „Black or White“ usw. Oft werden die Songs nicht ausgespielt, damit mehr Platz bleibt für etliche weitere Hits von denen Jackson bzw. seine Produzenten wie der kürzlich verstorbene Quincy Jones so viele hatten.
Die so simple wie wirksame Idee ist, die Songs so originalgetreu wie möglich wiederzugeben. Die Band, nur teilweise auf der Bühne sichtbar, macht das bestens. Hinzu kommen die erwartbar opulenten Kostüme und Lichteffekte sowie eine Dance Company, wie man sie aus den Jackson-Videos und -Shows kennt. Also keine Experimente, dafür der volle Effekt des Bewährten.
Fragwürdig bleibt die Entscheidung, Michael Jackson als Opfer darzustellen. Der Vater und die Medien werden als die Schuldigen ausgemacht für eine beginnende Tablettensucht. Die Lichtgestalt bekommt Dellen, aber sie ist nicht selbst schuld. Damit ist zwar nichts zu den Missbrauchs-Vorwürfen der späteren Jahre gesagt. Aber doch eingeworfen, dass der vermeintliche Täter selbst ein Opfer war.
Und alle weiteren Fragen verdrängt die Wucht des Werks.
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