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Shitstorm nach Nestlé-ÜbernahmeGuter und böser Kapitalismus

André Zuschlag
Kommentar von André Zuschlag

Beim hippen Hamburger Gewürzunternehmen Ankerkraut übernimmt Nestlé die Mehrheit. Das gefällt der linksliberalen Kundschaft gar nicht.

Steht bald zwischen diesen Nestlé-Produkten: Ankerkraut Foto: Cyril Zingaro/dpa

L etztens war ich mal wieder bei einer Freundin zu Besuch. Wir hatten uns abends nach der Arbeit verabredet und weil wir beide Hunger hatten, wollten wir uns noch fix etwas kochen. Schnell ein bisschen Gemüse schnippeln – Kartoffeln, Brokkoli, Möhren, Zwiebeln und den Rest der im Kühlschrank lagernden Süßkartoffel – und ab damit in den Ofen. Nur schmeckt das natürlich alles ein bisschen fad, wenn's nicht ordentlich gewürzt ist.

Doch ein Glück: Wie in so vielen WGs und Pärchenwohnungen, die ich kenne, war auch in ihrer Küche das Regal neben dem Herd mit diesen schicken klein-dicklichen Gläsern mit dem markanten Korkdeckel bestückt. Die Gewürzmischung „Omas Liebling“ stand da, neben dem „Bratkartoffel Gewürz“, dem „Pizza Gewürz“ und noch weiteren. Die Gewürzmischungen von Hamburgs hippstem Unternehmen „Ankerkraut“ mit seinem hanseatenkitschigen Logo war längst auch hier angekommen. Beim Anblick verdrehte ich achselzuckend die Augen.

Tja, und nun traue ich mich gar nicht bei der Freundin nachzufragen, ob auch in ihrer WG Gewürzgläser wütend im Müll gelandet sind. Denn ich befürchte, auch dort wird Verrat gewittert: Seit 2013 betreibt das Ehepaar Anne und Stefan Lemcke das Gewürz-Start-up „Ankerkraut“ – mit rasanten Wachstumszahlen.

Denn es wirbt mit hübschen Werten, die viele linksliberale Herzen höher schlagen lassen. Entschleunigung, zum Beispiel. Oder: Verantwortung für die Kund:innen, aber auch für die Umwelt. Etwas für „unseren schönen Planeten und die Menschen“ will das Unternehmen mit Charity-Aktionen erreichen.

Amazon ist böse, Nestlé sowieso

Und diese guten Menschen lassen sich nun mit dem Teufel ein?! Der weltgrößte Lebensmittelkonzern Nestlé hat die Mehrheit am super-sympathischen Unternehmen aus Hamburg-Wilhelmsburg übernommen. Die beiden GründerInnen bleiben als „Markenbotschafter“ an Bord, wie sie bekannt gaben.

Doch das half nichts: Es dauerte nach der Bekanntgabe nur Minuten, ehe der digitale Shitstorm losbrach. Das linksliberale Milieu auf Instagram war außer sich. Es wurde zum Boykott aufgerufen. Die sagenhaften 5,49 Euro pro 50-Gramm-Glas wollen viele nun anderweitig ausgeben. Denn: Manche Unternehmen darf man feiern, andere dagegen sind eben das absolut Böse. Amazon ist böse, natürlich. Nestlé ebenso. So einfach kann man sich beim dritten Glas Wein die Welt machen.

Nun also scheint klar: Auch die Ankerkraut-GründerInnen sind plötzlich gierig und geldgeil geworden. Drum ab in den Müll mit ihren Gewürzen! Ich befürchte, darum kreisen gerade die Debatten am Küchentisch vieler Millenials. Vergessen scheint dabei, dass das Unternehmen seinen Aufstieg auch dem Auftritt bei der Grusel-TV-Show „Die Höhle der Löwen“ zu verdanken hat.

Zugeben muss ich übrigens: Lecker war unser Ofengemüse seinerzeit – auch dank „Omas Liebling“ gepaart mit dem „Backbord“ und „Spicy Pumpkin“. Einen Schuss Maggi hätte ich allerdings gern noch dazugegeben, gerade weil es von Nestlé kommt.

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André Zuschlag
Redakteur taz nord
Jahrgang 1991, hat Politik und Geschichte in Göttingen, Bologna und Hamburg studiert. Von 2020 bis August 2022 Volontär der taz nord in Hamburg, seither dort Redakteur und Chef vom Dienst. Schreibt meist über Politik und Soziales in Hamburg und Norddeutschland.
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10 Kommentare

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  • Es ist ein ganz normaler kapitalistischer Akt, immer wieder nach profitträchtigen Anlagen zu suchen und dabei spielen Politik und Demokratie genausowenig eine Rolle wie nachhaltig oder nicht, Hauptsache, es kommt etwas dabei heraus. Im absterbenden Kapitalismus ist jede noch so kleine Klitsche im Visier der Großen, bis es nichts mehr gibt, was sich noch gerade vergolden lässt. Die Großen graben sich in ihrer Fresssucht selbst das Wasser ab, wenn die letzte Quelle nichts mehr hergibt. Start Ups sind immer nur solange erfolgreich, bis ihre Idee entweder kopiert oder gekauft wurde. Da Kapitalisten ja nur ihr Wachstum und nicht die Solvenz ihrer Kundschaft im Focus haben, ist dann alles zu Ende, wenn ihre Kunden nicht mehr in der Lage sind, zu konsumieren. Überschüsse -das hat ein linker Ökonom schon im vorletzten Jahrhundert erkannt führen mit einem Sinken der Profitrate zum Zusammenbruch des Systems. Rette sich wer kann, alles nur eine Frage der Zeit, die Großen sind am Verwundbarsten, wenn wir uns aus der Abhängigkeit so weit wie möglich lösen könnten und das geht nur mit dem Kopf und solidarisch, auch wenn an dieser Einsicht und Umsetzung die gemeinwohlökonomischen Ansätze an einer Kreativität des Wettbewerbs gegenüber kapitalistischen Verlockungen gescheitert sind.

  • Keine Ahnung wie "gut" Ankerkraut ist, aber Nestle und Amazon sind ganz sicher "böse" und den Boykott wert.

  • "Das linksliberale Milieu auf Instagram war außer sich."

    Ich kann mir nicht vorstellen, "linksliberal" zu sein, aber Instagram (oder Facebook oder Twitter) zu nutzen. Die sind doch genauso "böse" wie Amazon oder Nestlé.

    PS: Von dieser Gewürzfirma habe ich noch nie etwas gehört, aber ich gehöre wohl nicht zur Zielgruppe.

  • Nur wo Scheiße drauf steht, ist auch Scheiße drin !

  • Ankerkraut wurde auf Basis eines EBITDAs von in etwa 10 Mio.€ und ein Verdopplung innert 4 Jahre vermarktet, und Nestlé als Stratege hat bestimmt über 10x geboten... Die Lemkes werden (auch nach Transaktionskosten) für jeden verkauften Prozent Anteil (sie hatten 51%, meine ich) eine Million einsacken können... das tröstet sie hoffentlich darüber hinweg, daß einige Leute sie jetzt nicht mehr grüßen.



    Egal wie grün und flauschig, es ist immer noch Kapitalismus hier.

    • @Wurstprofessor:

      D.h. sie verdienen damit genug Geld, um eine neues hippes Startup hochzuziehen...

  • na ja Nestle hat ziemlich üble Geschäftsmethoden...

    was meinte der CEO doch einst zu Wasser und Luft? Alles was Menschen kostenlos konsumieren ist es wert es abzufüllen und es den Menschen zu verkaufen.



    Oder die Berichte aus Afrika, wo Nestle Wasser in Flaschen abfüllt, aber den lokalen Bewohnern mal eben den Zzugang zu Trinkwasser genommen hat.

    Und bez. Bio und so... das wird sicherlich kostenmäßig optimiert. Mit Zutaten aus aller Welt mit Biozertifikaten , die nicht das Papier wert sind auf dem sie gedruckt wurden.

  • Ankerkraut ist Maggi Fix für Poser, die zu viel Geld haben. Wer ein bisschen kochen kann, braucht nicht irgendwelche Gewürzmischungen mit tollen Namen, sondern eine Handvoll Original-Gewürze und nach Bedarf ein paar frische Kräuter und nutzt dann seine eigene Kreativität und Erfahrung oder ein Rezept, wo drin steht was passt

    Ankerkraut ist eine jener Firmen, die ein völlig unnötiges Produkt verkaufen, für das es eigentlich überhaupt keinen Bedarf gibt, aber für das durch geschicktes Marketing ein solcher Bedarf suggeriert wird. Wie man glauben kann, dass sowas weniger kapitalistisch ist als Nestlé ist mir ein Rätsel.

    Es gehört übrigens zum Wesen von Start-Ups, dass sie irgendwann an Investoren gehen. Für die Mitarbeiter ist es meistens gut, wenn es sich dabei um einen großen Konzern handelt, weil sie dann mit etwas Glück einen Betriebsrat und Tarifgehälter bekommen, etwas, dass es in den coolen hippen Start Ups eigentlich nie gibt

    • @Ruediger:

      genau...

      gute Idee von Nestle, das zu kaufen.



      ich brauch das auch nicht.

    • @Ruediger:

      Treffender Kommentar. Genau so ist es.