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Sexualstrafrecht in Österreich verschärftKeine Milde mehr für Vergewaltiger

In Österreich sollen Sexual- und Gewaltdelikte härter bestraft werden. Das Gesetzespaket stößt in Fachkreisen auf große Kritik.

Das Gesetz soll mehr Straftäter hinter Gittern bringen. Das bezweifeln Kritiker*innen Foto: ap

Wien taz | Höhere Strafen für Sexual- und Gewaltdelikte stehen im Mittelpunkt eines Pakets, das der österreichische Ministerrat am Mittwoch absegnet hat. Karoline Edtstadler (ÖVP), die zuständige Staatssekretärin im Innenministerium, spricht von drei Säulen: strengere Strafen, niederschwelliger Opferschutz und aktive Täterarbeit. Ihr geht es vor allem darum, mit „null Toleranz“ präventiv zu wirken. Fachleute aus Justiz und Opferbetreuung bezweifeln die Wirksamkeit der geplanten Verschärfungen.

Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags, findet die Maßnahmen „eher populistisch“. Für ihn sind sie „mehr ein Zeichen hin zum Wähler als ein positiver Beitrag“. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) entkräftete diesen Verdacht nicht, als er bemerkte: „Wer in Österreich sich an Frauen und Kindern vergeht, der hat keine Milde verdient.“

Die vorgesehene Erhöhung der Mindeststrafe für Vergewaltigung von einem auf zwei Jahre soll verhindern, dass Täter mit einer Bewährungsstrafe davonkommen können. In der Praxis sei das in der gängigen Rechtsprechung kaum der Fall, wenden Richter ein.

Für Maria Rösslhumer vom Verein autonomer Frauenhäuser liegt das Problem in der niedrigen Verurteilungsrate von nur 13 Prozent. Höhere Strafandrohungen würden die Opfer von Gewalt in der Familie eher davon abhalten, gewalttätige Partner anzuzeigen. Auch Sabine Matejka, Präsidentin der Richtervereinigung, weist darauf hin, dass es „keine wissenschaftlich fundierten Belege“ für die Wirksamkeit höherer Strafen gebe. Kritisiert wird auch, dass die Regierung vorprescht, bevor die jüngste Strafrechtsreform evaluiert ist.

Eine „Taskforce Strafrecht“, an der rund 120 ExpertInnen und PraktikerInnen mitwirkten, hat in einem Jahr mehr als 50 Einzelmaßnahmen vorgeschlagen, von denen viele auch unumstritten sind. Etwa die Erhöhung der Strafandrohung für Stalking oder mehr Investi­tio­nen in Männer- und Antiaggressionsarbeit. Die 2018 von dieser Regierung abgeschafften, aber sehr erfolgreichen „Fallkonferenzen“, bei denen Jugendämter, Polizei und Opferschutzstellen kritische Fälle mit den Tätern aufarbeiten, werden wieder eingeführt.

Die Kritik wies Edtstadler im „Ö1 Morgenjournal“ zurück: „Ich kann das nicht nachvollziehen“. Als ehemalige Richterin habe sie die abschreckende Wirkung hoher Strafen erfahren. Sie will, dass Vergewaltiger, „wenn es zur Anklage kommt, in Haft müssen“. Das Reformpaket soll noch dieses Jahr vom Parlament beschlossen werden und 2020 in Kraft treten.

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9 Kommentare

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  • Unabhängig davon ob höhere Strafen gerechtfertigt sind (ein Jahr für Vergewaltigung erscheint schon wenig), verstärken höhere Strafen praktisch nie die abschreckende Wirkung, weil der Täter ja überhaupt nicht davon ausgeht, dass er erwischt bzw. verurteilt wird und sich vorher schon gar nicht ausrechnet, ob sich das "lohnt" oder eher nicht. Das sind keine rationalen Erwägungen.

    "Hmm, ein Jahr Gefängnis ist ja OK, aber für zwei Jahre lasse ich das lieber" hat sich im Vergewaltigungsfall noch keiner gedacht bzw. wer das täte, der vergewaltigt von vornherein nicht, der will nämlich weder ein noch zwei Jahre in den Knast.

    Was insgesamt immer am Besten abschreckt: Eine hohe Wahrscheinlichkeit, verfolgt, erwischt und verurteilt zu werden und kurze Verfahrenszeiten. Das kriegen diese Leute dann nämlich auch schon mit, bevor sie selber sowas tun, das sind einfach ganz basale Lerneffekte, die auch Männer dann verinnerlichen.

    So zynisch es klingen mag, aber eine (hypothetische) 100% Aufklärungsquote mit einer Verurteilung zu 5000 Euro Geldstrafe innerhalb von fünf Tagen hat bei Leuten mit wackliger Impulskontrolle eine viel nachhaltiger abschreckende Wirkung als eine 10% Wahrscheinlichkeit erwischt zu werden und dann vielleicht nach drei Jahren juristischem Hin und Her zu einem oder zwei Jahren Gefängnis verurteilt zu werden.

    Noch anders gesagt: Gerade Leute, die zu sowas neigen, muss man beibringen, dass auf den Blitz unweigerlich der Donner folgt und das lernen sie nur, wenn der Donner halt immer und unmittelbar auf den Blitz folgt. Die Stärke des Donners ist da fast irrelevant.

    Der typisch rechte Wunsch nach härteren Strafen ist selber irrational weil er nicht der Verringerung der Kriminalität dient, sondern nur der Befriedigung der Rachegefühle des Kriminalitäts-Konsumenten.

  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    Ein Jahr gibt es bei Vergewaltigung?



    Ich fasse es nicht!



    Mal wieder fallen die Opfer durch sämtliche Raster.

    • @98589 (Profil gelöscht):

      Lesen Sie bitte den Text, bevor Sie kommentieren: Die MINDESTSTRAFE wurde von 1 Jahr auf 2 Jahre erhöht.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...was ich nicht verstehe ist, wieso soll eine höhere Strafandrohung bei sog. Stalking Wirkung zeigen, bei Vergewaltigung aber nicht?

  • Es scheint mir ein großes Problem westlicher Demokratien zu sein, dass sie kein Rezept gegen das selbstverursachten Divergieren der Gesellschaft finden. Immer mehr Parteien haben immer weniger Wähler. Am Ende regieren dann – wie etwa in Österreich – die, die mit platten Parolen all jene zusammengefegt haben, die sich sonst nirgendwo wiederfinden konnten.

    Die ÖVP des Sebastian Kurz regiert mit grade mal 31,5% der Stimmen. 68,5% aller Österreicher fühlen sich also womöglich gar nicht angesprochen von der Symbolpolitik ihres jung-dynamischen Chefs. Sie haben vielleicht ganz andere Probleme und stehen nur deswegen nicht auf gegen die Sündenbock-Politik der ÖVP, weil sie sich nicht als Sympathisanten von Kinderschändern outen wollen. Außerdem könnte es ihnen ungerecht vorkommen, dass Vergewaltige (noch) weniger streng bestraft werden können als Leute, die etwa Geld gefälscht haben. Kurz mag das freuen.

    Das Strafrecht existiert, weil Regierungen der Ansicht sind, Rechtsnormen müssten in erster Linie durch abschreckende Strafen geschützt werden, nicht durch sinnvolle Politik. Ich glaube das nicht. Deswegen wird man mich auch nicht mit markigen Law-and-Order-Ansagen beeindrucken. Viele Menschen allerdings haben Zeit ihres Lebens keine andere Erfahrung gemacht als die: Wer Verantwortung hat und ihr nicht gerecht werden kann, bestraft die, die das ausnutzen, Abschreckung hin oder her. Oder er kungelt mit ihnen. Die Nutznießer aber sind Glücksspieler. Ob man ihnen mit einem Jahr droht oder mit zweien, spielt für sie keine Rolle. Sie glauben nämlich weder an ihre Schuld nochdaran, dass sie erwischt werden.

    Brave Untertanen solidarisieren sich nicht mit Straftätern, so viel steht fest. Viel zu riskant. Und genau deswegen brauchen Österreichs kurzer Kanzler und seine Kollegen auch nichts weiter können, als symbolisch auf die Außenseiter ihres Landes einzudreschen. Der durchschnittliche ÖVP-Wähler sieht‘s und freut sich einen Ast: „Mich trifft es nicht! Es trifft die Anderen!“

  • So still hier. Liegt es daran, dass die eher rechtsgewirkten Kommentatoren die Regierung des heiligen Sebastian nicht kritisieren wollen, während für #teamginalisa andererseits bei diesem Thema keine Strafe zu niedrig sein kann?

    Vielleicht lässt sich das Dilemma ja auflösen: Strafverschärfung und Beweislastumkehr ja – aber nur für Beschuldigte mit Migrationshintergrund! Dann klappt's auch wieder mit dem Weltbild.

    • @Zwieblinger:

      Da kann ich Ihnen helfen. Ich empfinde vergleichsweise höhere Strafen grundsätzlich als gerechtfertigt. Allerdings verfolge ich die s.g. Reformen des Strafrechts pp in Österreich nicht, sodass ich, das Räume ich gerne ein, über die Sinnhaftigkeit in diesem geschlossenen System nicht beurteilen kann.



      Tatsächlich noch wichtiger erscheinen mir eine gute Ausstattung der Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden, der Gerichte und eine konsequente zügige Verfolgung.

  • "Höhere Strafandrohungen würden die Opfer von Gewalt in der Familie eher davon abhalten, gewalttätige Partner anzuzeigen. "

    Was ist das denn für eine Logik? Warum Vergewaltigung nicht dann einfach mit einer 500-Euro-Geldstrafe belegen, damit die Leute stärker motiviert werden, sie anzuzeigen?

  • Wenn Strafe Taten verhindern würde, dann lebten wir wahrscheinlich im Paradies. Es sollte doch darum gehen, wie eine Gesellschaft bestimmte Vergehen bewertet. Wenn ich sehe, wie Frauen Kinder unter Missbrauch ihr ganzes Leben leiden können, dann sehe hier immer noch eine ungleiche Gewichtung zwischen Strafe und Wiedergutmachung. Missbrauch ist und bleibt ein massiver Eingriff in die menschliche Selbstbestimmung.