Sexualität für Fortgeschrittene: Die Fuckability jenseits der 50
Wenn mit Fickbarkeit Penetrierbarkeit gemeint ist, dann findet jeder Topf seinen Kochlöffel. Aber begehrt werden nicht alle Körper gleichermaßen.
W enn ich an anderer Stelle behauptet habe, ich würde seit 25 Jahren zu derselben Friseurin gehen, so ist das technisch nicht ganz korrekt. Manchmal lasse ich auch ihre Mitarbeiter:innen ran, weil ich bei ihnen früher einen Termin bekomme. Das bedeutet, dass Jessi und ich uns immer mal wieder mehrere Monate in ihrem Salon zwar sehen, aber nicht sprechen und so wie jetzt bei meinem nächsten Termin am Tag vor dem Heiligen Abend einiges nachzuholen haben.
Was ist nicht alles passiert in den vergangenen fünf Monaten! Eine neue Regierung, Omikron, Klimakonferenz, steigende Meeres-, sinkende Östrogenspiegel, der erste Sex nach der Trennung – und Harry und Meghan haben sich auch noch nicht mit den Rest-Royals versöhnt. Bleiben sie etwa Weihnachten in Kalifornien, fragt die Gala völlig zu Recht, und Jessi und ich werden das alles diskutieren.
Da bleibt kaum Zeit, ausführlich über unsere Fuckability zu sprechen. Fucka-was? Die Älteren unter uns verstehen zwar meistens die englischen Begriffe, mit denen diese freshe Jugend so sweet um sich wirft, aber selten, warum sie das tut. Jetzt also Fuckability, auf Deutsch Fickbarkeit, was nicht zufällig an Haltbarkeit erinnert.
Ich bin kürzlich über dieses Wort gestolpert, in einem Blogbeitrag, in dem die Autorin heterosexuelle Frauen jenseits der 50 dazu aufforderte, nicht über ihre schwindende Fuckability zu jammern, weil sich immer irgendein Mann finde, dem schlaffe Haut und Speckröllchen nichts ausmachten.
Die Natur, diese kurzsichtige Nuss
Dazu fällt mir meine schwer erziehbare Schulfreundin E. ein, deren Repertoire an schlüpfrigen Sprüchen selbst das meines Großvaters bei weitem übertraf. Einer davon lautete „'Loch ist Loch’, sagte der Koch und fickte das Suppenhuhn“, und ich fürchte, dass „fickbar“ genau das meint, also irgendwie penetrierbar.
An dieser Stelle komme ich ins Grübeln, nicht so sehr, weil ich mich über den Zustand der vaginalen Schleimhaut jenseits der Wechseljahre informiert habe. Die hat ihre Funktion dann ja erledigt, weil die Natur, diese kurzsichtige Nuss, nicht die medizinischen und technischen Fortschritte vorausgesehen hat, die vielen noch gute 30 bis 40 Jahre Bonuszeit nach Ende der fruchtbaren Phase bescheren. Ihr war weder klar, dass wir mit ausgetrockneter Scheidenschleimhaut Geschlechtsverkehr wie ein Teenager haben, noch dass wir mit 80 joggen und ohne Fernglas ins Kino gehen wollen.
Deshalb haben sich bis vor wenigen hundert Jahren die meisten weiblich gelesenen Personen wahrscheinlich nicht den Kopf darüber zerbrochen, ob sie nach ihrem 50. Geburtstag noch fickbar sein würden, weil sie zu diesem Zeitpunkt nach zehn Schwangerschaften ihren biologischen Auftrag erfüllt hatten und kurz davor waren, den Löffel abzugeben.
Aber vielleicht haben sie sich gefragt, ob sie noch lovable sind und touchable, ob es noch jemanden gibt, der sich für sie interessiert, sie küssen und berühren möchte, und ich vermute, dass sie das mit 15 schon genau so umgetrieben hat wie mit 55. Oder vielleicht sogar noch mehr, weil sie da noch nicht wussten, dass ihr Glück nicht von der Zuneigung männlich gelesener Personen abhängt und wie viel sie sich selbst davon schenken können, und damit meine ich nicht nur Orgasmen.
Wenn man Fuckability so versteht, also nicht im Sinne des Suppenhuhns, dann ist die eingangs zitierte Behauptung, ein jeder Topf finde seinen Kochlöffel, fragwürdig, weil manche Körper gegenüber anderen bevorzugt würden, wie Alexandra Schwartz in einem Artikel über feministische Sex-Theorien im New Yorker schreibt.
Darin stehen so viele kluge Sätze, dass ich jetzt irgendeinen aussuche und mit diesem ende ich auch, ganz ohne Pointe, weil die sind, wie mein Kollege findet, heteronormativ, und das kommt nicht gut, erst recht nicht in der taz. Und das sagt Schwartz: „Sexuelles Begehren kann ein kreativer Akt sein, eine Einladung, sich etwas vorzustellen.“ Kann.
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