Sexualisierte Gewalt: „Kein Land ohne Femizide“
Die Journalistinnen Laura Backes und Margherita Bettoni haben ein Buch über Femizide geschrieben. Ein Gespräch über Ursachen und Prävention.
taz: Wenn eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet wird, ist in der Berichterstattung häufig von „Beziehungstragödien“ oder „Eifersuchtsdramen“ die Rede. Was ist falsch an diesen Formulierungen, Frau Bettoni und Frau Backes?
Margherita Bettoni: Die Ausdrücke sind in erster Linie eine Verharmlosung einer schrecklichen Tat. Sie lassen sie wie ein plötzliches Schicksalsereignis klingen. Damit nimmt man den Täter aus der Verantwortung. Und das trägt dazu bei, dass Femizide als Einzelfälle gesehen werden, verschleiert also die strukturelle Dimension. Dabei gehen die aus ungleichen Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern hervor, also auch aus dem Irrglauben eines Mannes, er würde eine Frau besitzen, wie er ein Haus oder ein Auto besitzt.
Nicht nur Frauen werden aufgrund ihrer Geschlechtsidentität getötet, auch trans Menschen und nicht-binäre Menschen erfahren patriarchale Gewalt. Wäre es nicht besser, von Patriarchatsmorden zu sprechen?
Laura Backes: Theoretisch würde das Sinn machen. Der Begriff „Femizid“ ist in den 70ern entstanden, als es darum, ging ein Gegenteil zum Wort „Homicide“ zu schaffen. Der Begriff legt zumindest mal die strukturelle Dimension offen, aber perfekt ist er sicher noch nicht.
geboren 1987, ist stellvertretende Ressortleiterin bei „Spiegel Kultur“.
geboren 1987, arbeitet als Investigativ-Journalistin zu den Themen Organisierte Kriminalität und sexualisierte Gewalt.
In der Berichterstattung schwingen häufig rassistische Untertöne mit. Wenn der Täter Migrationsgeschichte hat, werden Femizide schnell zu einem Problem der vermeintlich „anderen“ gemacht. Was wissen wir denn über die Täter?
LB: Mehr Täter sind Deutsche ohne Einwanderungsgeschichte, aber im Verhältnis zum Anteil der in Deutschland Lebenden sind Menschen mit Einwanderungsgeschichte überrepräsentiert. Konkreter lässt sich das nicht sagen, da das BKA solche Daten nicht sammelt. Doch ob ein Mann einen Femizid begeht, liegt nicht an seiner Herkunft, sondern an sogenannten Risikofaktoren. Dazu gehören ein patriarchales Menschenbild oder dass Menschen auf Stressfaktoren wie Flucht, Vertreibung oder Gewalt mit Gewalt reagieren.
MB: Auch der familiäre Hintergrund spielt eine Rolle: Komme ich aus einer Familie, in der der Vater alle Entscheidungen getroffen hat und der Mutter alle abgesprochen wurden? Ein patriarchal geprägtes Elternhaus kann dazu führen, dass auch Kinder patriarchale Muster übernehmen. Doch solche Elternhäuser gibt es überall und deswegen gibt es auch kein Land auf der Welt, in der keine Femizide stattfinden.
Gibt es Muster, mit denen Femizid-Täter auffallen?
MB: Nicht alle, aber die Mehrheit der Täter war schon vor dem Femizid psychisch oder physisch gewalttätig in der Beziehung. Die britische Kriminologin Jane Monckton Smith hat ein Stufenmodell entwickelt, aus dem hervorgeht, dass die meisten Täter schon früh begonnen haben, kontrollierendes Verhalten auszuüben. Das kann mit Sätzen, wie „Wir werden für immer zusammen sein“ oder „Du bist mein“ beginnen. In dem Moment, in dem die Frau sich dann von ihrem Partner trennt, ist die Tötung der Frau der ultimative Versuch die Kontrolle wiederherzustellen.
Eine ausweglose Situation: Frauen sollten nicht in gewaltvollen Beziehungen bleiben, aber die Trennung kann ein schlimmer Trigger sein. Sind sie also vollkommen machtlos?
LB: Das Problem ist, dass die meisten Frauen sich der Gefahr nicht bewusst sind. Auch nach einer Trennung lassen sie Ex-Partner für ein klärendes Gespräch oder Ähnliches in ihre Wohnung. Es ist wichtig, dass wir mehr aufklären, damit Frauen besser einschätzen können, was potenziell gefährliche Situationen für sie sind. Außerdem gibt es Studien, die zeigen, dass Männer, die in der Regel keinen Kontakt zur Polizei haben, sich von Gewaltschutzverfahren abschrecken lassen. Wenn also die Polizei vor der Tür steht und sagt: Hey, wir haben Sie im Auge. Dann kann das helfen.
In Ihrem Buch kommen auch Frauen zu Wort, die einen Femizidversuch überlebt haben. In manchen Fällen wurden dem Täter zuvor zweiwöchige Platzverweise von der Polizei auferlegt.
MB: Man muss das Problem allumfassender angehen. Beispielsweise, dass gewalttätige Männer in vielen Fällen noch das Recht haben, ihre Kinder zu sehen und von zu Hause abzuholen. Das setzt Frauen einem unnötigen Risiko aus. Die Polizei alleine kann Femizide auf jeden Fall nicht verhindern, dafür braucht es ein gesellschaftliches Umdenken.
Im März erschien ihr Buch „Alle drei Tage – Warum Männer Frauen töten und was wir dagegen tun müssen“, DVA Verlag, 20 Euro.
Vor einem Umdenken bräuchte es erst einmal ein Bewusstsein dafür, wie allgegenwärtig Femizide in Deutschland sind, wie es das in lateinamerikanischen Ländern gibt. Warum fehlt das hierzulande?
MB: Das liegt auch an Entscheidungsträgern. An Journalist:innen, die noch immer von Familientragödien sprechen und damit den Eindruck vermitteln, es würde sich um Einzelfälle handeln. Und auch die Politik benennt das Problem noch nicht klar genug. Doch wie soll sich dann der Bürger eine fundierte Meinung bilden?
LB: Das lässt sich am Beispiel Frankreichs gut erklären. Dort haben sich vor einigen Jahren Angehörige zusammengetan, haben einen offenen Brief geschrieben und eine Demo organisiert. Das hat bewirkt, dass Präsident Macron am Abend gesagt hat: Meine Damen, wir haben es nicht geschafft, sie zu schützen. Damit hat er klar gemacht, dass er verstanden hat, dass es ein strukturelles Problem ist. Daraufhin musste die Politik reagieren. Was würde wohl in Deutschland passieren, wenn Angela Merkel so etwas sagen würde? Leider ist das unvorstellbar.
In Mexiko spricht man nicht von Femiziden, sondern von Feminiziden. Das Wort soll aufzeigen, dass es nicht nur einen Mörder gibt, der hinter der Tat steht, sondern auch einen Staat und Behörden, die diese Struktur mittragen. Demnach sind Femizide Staatsverbrechen. Trifft das auch in Deutschland zu?
MB: Die Situation dort ist eine andere als in Deutschland. Es gibt Fälle wie in Juárez, wo Behörden bei Femiziden in der Vergangenheit nur schlampig ermittelt haben oder die Schuld auf die Opfer geschoben haben. Dieses Versagen wurde sogar vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht. Natürlich glaube ich auch, dass Deutschland mehr Möglichkeiten hätte. Es wäre etwa wichtig, ein Instrument zur Erfassung von Femiziden zu schaffen, da die polizeiliche Kriminalstatistik nicht ausreicht. Doch von einem Staatsverbrechen kann man nicht sprechen.
In Deutschland kann die Trennung des Opfers vom Täter strafmildernd wirken und der Femizid als Totschlag gewertet werden. Ist das nicht juristisches Versagen?
LB: Prinzipiell ist es ja richtig, dass man sich bei einer Tötung die Vorgeschichte anguckt, wie etwaige psychische Erkrankungen. Und klar, Richter sind auch nur Menschen und entwickeln vielleicht Verständnis für den Täter, deswegen gibt es dieses wegweisende Urteil vom BGH von 2008. Das sagt, wenn der Täter aus Verzweiflung gehandelt hat, weil die Frau sich getrennt hatte, dann kann das strafmildernd sein. Wir finden das falsch, Justizministerin Lambrecht findet das falsch und auch die Istanbul-Konvention findet das falsch. Laut der Konvention, sollten Beziehungstaten eher strafverschärfend gewertet werden. Das sollte umgesetzt werden, doch von Staatsversagen zu sprechen, ist mir zu plump.
Wäre die Einführung von Femiziden als eigenen Strafbestand eine Option?
LB: Finde ich nicht. Femizide sind entweder Mord oder Totschlag, da gibt es keine Gesetzeslücken. Die Einführung eines eigenen Strafbestandes wäre nur Symbolpolitik.
MB: Dann bräuchte es noch mehr eigene Strafbestände, wie beispielsweise einen für rassistisch motivierte Morde. Die aktuelle Rechtsprechung bringt aber noch zu viel Verständnis für patriarchale Denkmuster mit.
Eine Debatte braucht Zeit. Was sind konkrete Maßnahmen, die schnell ergriffen werden könnten, um Femizide zu verhindern?
LB: In Rheinland-Pfalz gibt es runde Tische für Hochrisikofälle von Gewalt in engen Beziehungen. Dafür füllen Betroffene einen Fragebogen aus. Gab es eine Steigerung der Gewalt? Oder: Hat er Sie schon einmal gewürgt? Je öfters eine Frau „Ja“ ankreuzt, desto höher das Risiko. Dann kommt es zu einer Fallkonferenz mit dem Jugendamt, Frauenhäusern, der Krisenintervention, Polizei und Staatsanwaltschaft, die gemeinsam nach den besten Möglichkeiten suchen, die Frau zu schützen.
Bei einer Evaluation des Pilotprojekts kam heraus, dass nach diesen Interventionen nur ein Viertel der Täter wieder gewalttätig wird. Das ist der richtige Weg. Gewalt unterbinden, damit es nicht zur absoluten Eskalation kommt. Das bräuchte es in ganz Deutschland. Das kostet natürlich, doch wir haben auch viel Geld, um gegen potenzielle Terroristen vorzugehen. Das ist richtig, aber es sterben im Jahr mehr Frauen aufgrund ihrer (Ex-)Partner, als es Terroropfer in Deutschland gibt. Deshalb braucht es auch in diesem Bereich mehr Geld für Prävention.
Sie plädieren in Ihrem Buch für einen gesellschaftlichen Wandel, damit Männer Frauen nicht mehr als Besitztümer begreifen. Wie kommen wir dahin?
MB: Da muss man schon bei Kindern ansetzen. Wie oft hört man Sätze wie: Jetzt sei doch kein Mädchen, jetzt weine nicht. Es ist diese ständige Unterdrückung der Gefühle. Diese Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit müssen wir abbauen, und dafür muss man so früh wie möglich ansetzen.
In der aktuellen Debatte werden viele feministische Kämpfe als „Identitätspolitik“ abgetan. Fehlt in der Gesellschaft ein Bewusstsein dafür, dass Unterdrückung der Frauen auf vielen kleinen Ebenen stattfindet?
LB: Wenn es Kämpfe für etwas gibt, das von der bestehenden Norm abweicht, gibt es Widerstand. Das ist klar. Und bis dann ein neues Bewusstsein eintritt, das dauert eben. Doch ich sehe einen generellen Fortschritt in der Gleichberechtigungsfrage. Es wird auch immer mehr Thema unter Frauen, dass es in diesem Land keine Gleichberechtigung gibt.
Seit dem ersten Lockdown berichten Frauenhäuser und Not-Hotlines von mehr Bedarf. Wird sich das auch auf Femizide auswirken?
MB: Es gibt einen Zusammenhang zwischen häuslicher Gewalt und Femiziden, deswegen kann es durchaus sein, dass Femizide durch die Coronakrise zunehmen. Umso drängender, dass das Thema jetzt mehr Aufmerksamkeit bekommt.
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