Sexualisierte Gewalt im Sport: Das Schweigekartell brechen
Sexualisierte Gewalt ist im Jugendsport weit verbreitet. Die Vereine müssen endlich dazu verpflichtet werden, für mehr Schutz zu sorgen.
T urnen, Schwimmen, Wasserspringen, Fußball, Judo, Reiten, Handball – es gibt keine Sportart und kaum einen Sportverein, in dem Kindern und Jugendlichen keine sexuelle Gewalt angetan wird. Die jetzt veröffentlichte Missbrauchsstudie, die die Sportsoziologin Bettina Rulofs im Auftrag der Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs erstellt hat, zeigt das erneut auf eindrückliche Weise. Und wie immer, wenn neue Beweise vorliegen, wird heftig Betroffenheit bekundet sowie der Wille, die Fälle umfassend und schleunigst aufzuarbeiten. Doch was passiert tatsächlich?
Die Ampelregierung hat sich verpflichtet, noch in diesem Jahr ein Zentrum für „Safe Sport“ zu schaffen, eine Anlaufstelle für Betroffene von sexualisierter, physischer und psychischer Gewalt. So steht es im Koalitionsvertrag und darauf haben sich das Innen- und das Familienministerium, die Missbrauchsbeauftragte, der Deutsche Olympische Sportbund (DSOB) und andere Sportfunktionär:innen geeinigt.
So weit, so gut. Aber wer soll das Zentrum finanzieren? Der DOSB sagt: Wir auf keinen Fall, das muss der Bund machen. Und was ist mit Prävention und Aufarbeitung? Auch da hat der DOSB eine klare Haltung: Die „originäre Verantwortung“ haben die einzelnen Verbände und Vereine. Es ist infam, wie die Dachorganisation des deutschen Sports die Verantwortung von sich schiebt. Hätten die Athleten Deutschland, ein Interessenverein aktiver Kadersportler:innen, nicht intensiv um das Zentrum Safe Sport gerungen, stünde es vermutlich bis heute nur auf dem Papier.
Das erinnert an das Verhalten der Kirchen, die erst nach Jahren und immer neuen Skandalen allmählich anerkennen, was hinter den unzähligen Gewalttaten steckt: ein System aus Machtmissbrauch und Straftaten, begangen an Kindern und Jugendlichen. Beim Sport kommt eine besonders krasse Form der Abhängigkeit hinzu: Die Sportler:innen wollen nach ganz oben, sie wollen Spitzenleistungen und Medaillen erringen – und sie wissen, dass ihre Sportkarriere ein jähes Ende hat, sobald sie sich offenbaren. Dieses Schweigekartell, in das nicht selten Eltern mit hineingezogen werden, wissen manche Trainer – Täter sind in der Tat fast ausschließlich Männer – perfide zu nutzen.
Ist Schutz vor sexualisierter und psychischer Gewalt im Sport also unmöglich? Nein. So wie jede Kita und jede Schule ein Schutzkonzept haben muss, sollte auch jeder Sportverein eines vorlegen. Tut er das nicht, sollten ihm finanzielle Zuwendungen wie die staatliche Sportförderung verwehrt bleiben. Und Eltern sollten ihre Kinder nur Vereinen anvertrauen, die ein fundiertes Schutzkonzept haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen