Gewalt gegen Sport­le­r:in­nen: Wie wäre es mit einer Strategie?

Im Kampf gegen physische, psychische und sexualisierte Gewalt gehen Ath­le­ten­ver­tre­te­r:in­nen in die Offensive. Der DOSB hat Vorbehalte.

Man sieht nur die Schatten von einem Trainer und einer Gewichtheberin

Enges Verhältnis: Sportlerinnen stehen oft in großer Abhängigkeit zu ihrem Trainer Foto: Agencia EFE/imago

Unterschiedlicher könnten die Einschätzungen kaum sein. Beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) sieht man sich im Kampf gegen physische, psychische oder sexualisierte Gewalt auf einem guten Weg. Viel habe sich allein in den letzten zwei Jahren getan, befindet die DOSB-Vizepräsidentin Petra ­Tzschoppe gleich zu Beginn der Sportausschusssitzung am Mittwochmittag mit Blick auf die eigenen Aktivitäten.

Maximilian Klein wiederum, der ebenfalls zu den zehn geladenen Sachverständigen zählt, verliert nach gut einer Stunde etwas die Geduld: „Was wir hier alles hören, sind zerfaserte, kleinschrittige Dinge, die dieses ganze Themenfeld nicht strategisch angehen.“ Und er macht auf die akute Not der Sport­le­r:in­nen und die häufige Untätigkeit der Verbände aufmerksam, bemerkt zu den jüngsten Vorfällen etwa im Boxen und Schwimmen: „Die Sachen sind bekannt, aber es passiert nichts. Das ist ein Riesenskandal.“

Klein spricht im Paul-Löbe-Haus des Bundestags für Athleten Deutschland e. V., eine erst drei Jahre alte Organisation, die sich zum Unwillen des DOSB aus dessen Strukturen herausgelöst und sich nun staatlich finanziert seine Unabhängigkeit erkämpft hat. Eine unabhängige Organisation braucht es nach Ansicht von Klein auch, um Sport­le­r:in­nen vor Gewalt schützen zu können.

Die vermehrt geschaffenen Anlaufstellen des organisierten Sports würden oft gar nicht in Anspruch genommen, weil sie als Organisationen der „Täter“, als nicht vertrauenswürdig wahrgenommen werden. Missbrauchsbeauftragte von Sportverbänden könnten den Interessen ihres Arbeitgebers und der Schutzbedürftigen nicht in gleichem Maße gerecht werden.

Bescheidene Impulse

Seit vergangene Herbst kümmert sich Athleten Deutschland intensiv und sehr offensiv um Gewalt und Missbrauch im Sport. Anstoß war ein öffentliches Hearing der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, das den Sport in Augenschein nahm.

Im Februar 2021 veröffentlichte die Athletenorganisation ein auch von Experten aus der Wissenschaft viel gelobtes Impulspapier, dessen Kernanliegen die Schaffung eines unabhängigen Zentrums für Safe Sport ist. Dies soll im Bereich Prävention, Intervention und Aufarbeitung tätig sein und gegebenenfalls mit „Durchgriffs- und Sanktionsmöglichkeiten“ ausgestattet werden. Deutschland könne eine weltweite Vorreiterstellung im Bereich Safe Sport einnehmen, heißt es in dem Papier.

Die Impulse, die der DOSB nach dem Hearing im vergangenen Herbst beim DOSB gesetzt hat, sind deutlich bescheidener, wenn auch von praktischer Natur. In der Ausschusssitzung im Bundestag erklärt DOSB-Vertreterin Tzschop­pe, man habe personell in diesem Arbeitsbereich um eine halbe Stelle aufstocken können. Halbtags wird sich künftig beim Dachverband von 27 Millionen Menschen jemand mit dem Thema Aufarbeitung von Gewalt im deutschen Sport beschäftigen.

Außerdem wird der DOSB, wieder in den beim Bundesfamilienministerium angesiedelten Fonds, das sogenannte Ergänzende Hilfesystem einzahlen, aus dem Opfer des Sports dann wieder beispielsweise Gelder für Therapien beantragen können. Einen „erheblichen Betrag“, wie Tzschop­pe sagte, werde man investieren, ohne genauere Angaben zu machen. Zwischenzeitlich hatte der DOSB diese Zahlungen eingestellt.

Schwieriger Interessenkonflikt

„Kleinschrittige Dinge“ würde das vermutlich Athletenvertreter Klein nennen. Er warb im Sportausschuss für eine Großoffensive: „Es gibt eine nationale Strategie für Sportgroßveranstaltungen. Warum gibt es keine nationale Strategie gegen Gewalt und Missbrauch?“ In einer Stellungnahme für den Sportausschuss warnt der DOSB vor solch einem groß angelegten Versuch. Ein bundesweites unabhängiges Zentrum sei „nicht der Königsweg“. Sportverbände und -vereine müssten selbst Verantwortung für den Schutz von Sport­le­r:in­nen übernehmen, die regionalen Anlaufstellen des Sports weiter gestärkt werden.

Auch hier zeigt sich möglicherweise ein Interessenkonflikt, der auf dem Rücken der Betroffenen von Gewalt im Sport ausgetragen wird. Die Sicherung der Autonomie des Sports ist schon im Leitbild des DOSB als ein elementarer Auftrag festgeschrieben. Ist man dieser Logik verpflichtet, kann man ein unabhängiges Zentrum für Safe Sport schon grundsätzlich nicht gut finden. Es erinnert an die Katholische Kirche, die bei der Aufklärung ihrer Missbrauchsfälle ebenfalls gern die Eigenregie behält.

Allerdings ist man beim DOSB unterdessen bereit, zumindest externe Expertise hinzuzuziehen. Dafür sprach sich am Mittwoch auch Petra Tzschop­pe etwa bei der immer noch fehlenden Evaluierung der eigenen Präventionsarbeit aus. „Ganz tolle Ansätze“ seien darunter, lobte Katrin Schwedes, Leiterin der Bundeskoordinierung spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF). Bei der Umsetzung der Schutzkonzepte fehle es aber an sachkundiger Begleitung von außen.

Als Beispiel nannte sie einen Verein, der nach Ansicht der Leitfäden des DOSB und der Deutschen Sportjugend bei der Beurteilung einer sexuellen Beziehung zwischen einer minderjährigen Sportlerin und ihrem Trainer noch zu dem rechtfertigenden Schluss kam: „Sie war doch so verliebt in ihn.“ Ein Verein also, der glaubte, auf Grundlage eines Schutzkonzepts zu handeln.

Leicht wird das mit der Hilfe von außen allerdings nicht. 90.000 Sportvereinen stünden 360 Fachberatungsstellen in Deutschland gegenüber, stellte Schwedes klar. „Die Kapazitäten reichen vorne und hinten nicht.“

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