: „Sex ist ein Luxusgut“
Sexarbeit sollte nicht verboten werden – notwendig ist sie aber auch nicht, findet Autorin Antje Schrupp. Sexworkerin Undine de Rivière entgegnet: Sexuelle Zufriedenheit sei wichtig für die Gesundheit
InterviewPatricia Hecht
taz: Frau Schrupp, würde es für Sie infrage kommen, Ihren Lebensunterhalt mit Sex zu verdienen?
Antje Schrupp: Ich arbeite gern am Schreibtisch. Das würde sich im Markt der sexuellen Dienstleistungen nicht so gut verkaufen. (lacht)
Frau de Rivière, warum sind Sie Sexarbeiterin?
Undine de Rivière: Ich mag den Job einfach sehr gern. Ich habe Spaß daran und ein Talent dafür, ich verdiene gutes Geld und habe eine gute Work-Life-Balance.
Ist Sexarbeit für Sie eine ganz normale Arbeit?
Schrupp: Es ist zumindest nichts, wozu jemand unter Androhung von Hartz IV verpflichtet werden kann. Aber es sollte eine akzeptierte Tätigkeit sein, die Menschen offensteht, ohne dass ihnen dafür unnötig Steine in den Weg gelegt werden.
De Rivière: Jemanden zu diesem Job zu verpflichten würde dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung widersprechen. Auch kein Kunde, keinE BordellbetreiberIn darf uns zu irgendetwas verpflichten.
Laut Schätzungen arbeiten in Deutschland bis zu 400.000 Frauen als Sexarbeiterinnen. Tut ein relevanter Teil das Ihrer Erfahrung nach freiwillig, Frau de Rivière?
De Rivière: Da muss man zwischen Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung differenzieren. Der Großteil der Sexworkerinnen sagt nicht: Das ist mein Traumjob. Aber verschleppt und gezwungen werden die meisten auch nicht. Was oft nicht okay ist, ist nicht der Job an sich, sondern sind die Umstände: die rechtliche Situation, die gesellschaftliche Stigmatisierung, auch das internalisierte Stigma.
Was meinen Sie damit?
Undine de Rivière
Jahrgang 1973, ist Physikerin und seit mehr als zwanzig Jahren Sexdienstleisterin. Sie nennt sich „Bizarr-Lady“, bewegt sich zum Teil im Domina-Bereich und ist Autorin des Buchs „Mein Huren-Manifest“, das im Juni erschienen ist. Sie lebt in Hamburg.
De Rivière: Viele Kolleginnen sagen, das ist ja gar kein richtiger Job, ich mache das nur vorübergehend. Dann machen sie es aber jahrelang und investieren zum Beispiel nicht in eine Rentenversicherung. Das Stigma wird also verinnerlicht und führt zu ganz konkreten Nachteilen. Wir machen den Job, weil er für uns die jeweils beste Wahl ist, das heißt aber nicht immer, dass alle von uns damit glücklich sind.
Beispiel Altenpflege: totaler Knochenjob, viele Frauen arbeiten schwarz und verdienen schlecht. Das ist gesellschaftlich aber weitgehend akzeptiert.
Schrupp: Altenpflege braucht man, Sexarbeit nicht. Sex ist ein Luxusgut. Ohne Sexarbeit würde die Welt auch nicht untergehen. Wenn wir nicht wollen, dass die Leute vor sich hinvegetieren, müssen wir als Gesellschaft sicherstellen, dass sich jemand kümmert. Aber ich muss mich nicht darum kümmern, dass Männer sexuell befriedigt werden.
De Rivière: Ich sage natürlich auch ganz gern, ich bin Luxus. (lacht) Aber ich glaube, dass sexuelle Zufriedenheit ein großer Teil von Gesundheit ist. Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn alle Menschen sexuell ausgeglichen wären. Hat, wer keinen Partner hat, einfach Pech gehabt? Hat er oder sie etwas falsch gemacht, ist nicht liebens- oder begehrenswert? Dann könnte man auch sagen, ein alter Mensch hat Pech gehabt, wenn er es nicht geschafft hat, sich eine Familie aufzubauen, die ihn liebt und pflegt. Ich finde beides nicht richtig.
Schrupp: Pflege aus Liebe wurde im Feminismus lange diskutiert und problematisiert. Auch das ist wie Sexarbeit ein Grenzbereich, in dem es nicht nur um eine Dienstleistung geht, sondern immer auch um Beziehung. Patriarchale Verhältnisse haben ermöglicht, dass sich vor allem Frauen freiwillig um die Pflege kümmern. Wir können das Thema Frauen und Sexarbeit ganz offensichtlich nicht von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen lösen, wie sie auch viele andere Jobs prägen.
Was schlagen Sie vor?
Schrupp: Erst einmal verschiedene Bezeichnungen für verschiedene Jobs. Wir könnten, wenn es um patriarchale Geschlechterverhältnisse geht, in denen sich Männlichkeit durch den Besitz schöner Frauen definiert, von Prostitution sprechen. Das äußert sich zum Beispiel in sexistischen Anzeigen oder darin, dass sexuelle Dienstleistungen für Männerrituale von Firmen gebucht werden. Sexarbeit ist hingegen der Begriff, der viel stärker auf Selbstbestimmung zielt.
De Rivière: Ich würde wegen der Stigmatisierung, die der Begriff Prostitution enthält, nur den Begriff Sexarbeit verwenden. Aber eine Unterscheidung an sich kann ich nachvollziehen.
Schrupp: Wir müssten grundsätzlich und auch in anderen Berufen unterscheiden, was eine Frau aus Selbstbestimmung macht und was aus Konvention.
Angenommen, eine Frau arbeitet selbstbestimmt in der Sexarbeit. Ein Problem, haben Sie mal geschrieben, Frau Schrupp, sei dennoch, dass weibliche Lust dabei keine Rolle spiele. Frau de Rivière, sehen Sie das auch so?
Undine de Rivière
De Rivière: Meine Lust spielt nicht keine Rolle, sie ist aber nicht zwingend nötig. Ich habe durchaus öfter authentisch Lust in der Begegnung mit meinen Kunden. Wenn ansonsten die Bedingungen stimmen, ist es für mich aber auch okay, wenn das nicht so ist. Für Menschen, die das nicht so sehen können, wird es echt schwierig in der Branche.
Schrupp: Andererseits sehen das doch alle Frauen so: Welche Frau hat denn noch keinen Orgasmus vorgetäuscht? Das ist ja auch in Nicht-Sexarbeitsbeziehungen ein ziemlich häufiges Phänomen. Ich finde das sogar okay: Wenn’s in einer halben Stunde rum ist, ist das oft die bessere Alternative als stundenlange Diskussionen. (Gelächter)
Sie problematisieren aber, dass weibliche Lust generell keine so große Rolle spielt, egal ob im kommerziellen oder privaten Bereich?
Schrupp: Schon die Idee, dass sexuelle Befriedigung gekauft werden kann, ist in eine Art von Beziehung eingebettet, bei der es nicht so darauf ankommt, ob es der Frau jetzt Spaß macht oder nicht. Sexarbeit ist da aber nur ein Symptom, nicht die Ursache von dysfunktionalen Geschlechterbeziehungen. Die marginale Rolle, die die Befriedigung der Frau spielt, kriegen wir ja nicht dadurch weg, dass wir Sexarbeit abschaffen.
Wenn wir Sexarbeit nicht abschaffen, sondern sie für die Sexworkerinnen verbessern wollen: Was müsste passieren?
De Rivière: Ich wünsche mir eine rechtliche Gleichstellung von Sexarbeit mit anderen Berufen. Eine Anerkennung als Freiberuf, eine Eingliederung von Bordellbetrieben oder Escort-Agenturen in ganz normales Gewerbe. Dadurch würde auch die gesellschaftliche Stigmatisierung abnehmen.
Schrupp: Es gibt jede Menge Frauen, die einfach keine bessere Möglichkeit haben als diesen Job. Da spielen gesellschaftlicher Druck und Armut eine große Rolle. Über diese Grauzone müssen wir reden. Wir brauchen vor allem ein Bedingungsloses Grundeinkommen und die Option auf Bleiberecht für Migrantinnen. Das würde die Rahmenbedingungen für alle Jobs verbessern, aber vor allem für die Sexarbeit.
De Rivière: Das Prostituiertenschutzgesetz, das seit Januar gilt, geht da in die völlig falsche Richtung. Es ist kein Schutz, sondern ein Kontroll- und Überwachungsgesetz, das ich in Gänze ablehne. Allein die Registrierungspflicht ist ein enormer Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Kolleginnen können damit viel zu leicht geoutet werden.

Gibt es noch mehr Schwierigkeiten mit dem Gesetz?
De Rivière: Dass Bordelle jetzt grundsätzlich als störend gelten, ist völlig unsinnig. Wo es eine Physiotherapiepraxis oder eine Strafrechtskanzlei geben darf, sollte es auch ein kleines Wohnungsbordell geben dürfen. Eine Strafrechtskanzlei zieht auf jeden Fall mehr Kriminalität an als ein kleiner Puff.
Schrupp: Der Staat sollte überhaupt aufhören, Sexarbeit zu regulieren. Auch die Polizei ist keine gute Instanz, um das Leben für Sexarbeiterinnen besser zu machen. Man bringt PolizistInnen ja nicht per Gesetz zu einem fortschrittlichen Frauenbild.
De Rivière: Die Zuständigkeit der Polizei für unsere Branche begründet sich aus einer Tradition der angeblichen Gesellschaftsschädigung durch Sexarbeit. Die polizeilich registrierten „Kontrollmädchen“ der wilhelminischen Ära waren der Staatswillkür schutzlos ausgeliefert, und auch später wurden wir noch lange mit Berufsverbrechern gleichgestellt.
Wer sollte zuständig sein?
De Rivière: Das Arbeits- und Wirtschaftsministerium.
Antje Schrupp
Jahrgang 1964, ist Politikwissenschaftlerin, Theologin, Autorin und Bloggerin. Von ihr erschien unter anderem: „Was wäre wenn? Über das Begehren und die Bedingungen weiblicher Freiheit“ und die „Kleine Geschichte des Feminismus“.
Schrupp: Und falls jemand aussteigen will, StreetworkerInnen. Leider gingen alle Gesetze, die Prostitution reglementiert haben, bisher zuungunsten der Frauen aus. Bei diesem Thema versagt die Frauenbewegung gerade: Wir schaffen es nicht, darüber zu sprechen und zu gemeinsamen Positionen zu kommen, sondern haben uns in zwei Lagern verbarrikadiert, die sich bekämpfen – die Abolitionistinnen, die Sexarbeit ganz abschaffen wollen, und die Hurenbewegung. Ich stehe irgendwo dazwischen.
Wegen der verhärteten Fronten zieht das Thema an uns vorbei?
Schrupp: Wir lassen uns da von Leuten über den Tisch ziehen, denen es nicht darum geht, den Frauen zu helfen, sondern die eine repressive Ordnungspolitik machen wollen. Es ist eine strategische Niederlage der Frauenbewegung, keine vernünftige Auseinandersetzung zu diesem Thema hinzubekommen.
Woran liegt das?
Schrupp: Ich finde tatsächlich, dass die Abolitionistinnen sehr destruktiv vorgehen. Die Art und Weise, wie da auf einer Ideologie beharrt wird, ist schädlich und schwächt den Feminismus. Wir könnten ja trotz unterschiedlicher Zielvorstellungen auch erst mal gemeinsam gegen die Registrierungspflicht sein. Das wäre schon ein großer Fortschritt.
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