Serie „The Dropout“ bei Disney+: Falsche Helden des Silicon Valley
Die Disney+-Serie „The Dropout“ handelt vom Skandal um Tech-Unternehmerin Elizabeth Holmes. Sie nährt den Silicon-Valley-Mythos.
Eine junge, in einen schwarzen Rollkragenpullover gekleidete Frau blickt nachdenklich zu Boden, dann richtet sie ihre weit aufgerissenen Augen direkt in die Kamera und sagt: „Gläserne Decken? Ich sage immer: Neben jeder gläsernen Decke gibt es eine eiserne Lady!“ Die Worte stammen von Elizabeth Holmes, der Gründerin des Biotechnologie-Unternehmens Theranos. Sie äußert sie auf dem Scheitelpunkt ihrer Karriere, in einem Werbespot, der die beruflichen Chancen von Frauen in ihrer Firma unterstreichen soll.
Den kometenhaften Aufstieg des Start-ups, das 2015 – nur zwölf Jahre nach seiner Gründung – mit stolzen 9 Milliarden US-Dollar bewertet wird, begleitet die Medienwelt mit regem Interesse. Noch größere Aufmerksamkeit bringt sie allerdings der Geschäftsführerin selbst entgegen, die Theranos mit nur 19 Jahren gründete und schnell zu einer feministischen Ikone im männerdominierten Silicon Valley avanciert.
Das renommierte Magazin Time zählt Holmes im selben Jahr zu den 100 einflussreichsten Personen der Welt, Forbes bezeichnet sie als jüngste und wohlhabendste weibliche Selfmade-Milliardärin der USA. Nur kurze Zeit später folgt allerdings eine spektakuläre Enthüllung: Das zentrale Produkt des Unternehmens funktioniert nicht – und tat es auch nie.
Der Bluttest-Apparat Edison, der anhand weniger Blutstropfen bis zu 240 Krankheiten diagnostizieren sollte, erkannte tatsächlich nur Herpes treffsicher.
Mit verstellter Stimme
Die nun auch in Deutschland erscheinende Miniserie „The Dropout“ erzählt vom Aufstieg und Fall der Elizabeth Holmes. Basierend auf dem gleichnamigen Podcast von Rebecca Jarvis, richtet die Serie ihr Augenmerk beinahe ununterbrochen auf das Handeln der Gründerin.
Empfohlener externer Inhalt
So werden öffentliche Auftritte von Holmes nachgestellt, etwa wie der oben beschriebene Werbeclip. Und gerade dann, wenn sich im Laufe der acht Episoden das Gefühl einstellt, dass es Hauptdarstellerin Amanda Seyfried in ihrer bisweilen grotesk anmutenden Darstellung der Geschäftsführerin übertreiben könnte, wird man durch einen Abgleich mit der realen Vorlage eines Besseren belehrt: Holmes verstellte tatsächlich ihre Stimme, um Autorität auszustrahlen, wiederholte tatsächlich die immer gleichen Phrasen über ihre Person und ihr Unternehmen.
Reproduzierter Mythos
„The Dropout“ belässt es allerdings nicht dabei: Als ein persönliches Porträt angelegt, versucht die Serie gleichsam Holmes’ Psychologie zu verstehen, beispielsweise durch eine Analyse ihrer Biografie oder der turbulenten Beziehung zum beinahe 20 Jahre älteren Softwareentwickler und Multimillionär Ramesh „Sunny“ Balwani (Naveen Andrews).
Dabei überträgt die Serie fatalerweise das Bild, das Holmes in der Öffentlichkeit von sich schuf, auf ihr Privatleben. Sie übernimmt Anekdoten wie etwa die, dass Holmes bereits in jungen Jahren lieber Milliardärin als Präsidentin habe werden wollen; dass sie den Lauf der Welt durch eigene Erfindungen statt Politik habe verändern wollen; aus dieser Entschlossenheit heraus mit nur 19 Jahren ihr Studium in Stanford abgebrochen habe, um Theranos zu gründen.
So leistet die Serie vor allem eines: Sie reproduziert den Mythos, den Holmes selbst um sich erschaffen hat. Ausgerechnet jener Mythos, der maßgeblich dazu beigetragen hat, dass sie die Öffentlichkeit so lange blenden konnte, soll nun auch das Serien-Publikum faszinieren.
Genies außerhalb der Strukturen
Für Adrian Daub, Professor für vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Stanford, hat dieser Mythos vor allem mit dem Genie-Narrativ des Silicon Valley zu tun, das Elizabeth Holmes früh für sich beanspruchte. Wie Daub in seinem Buch „Was das Valley denken nennt: Über die Ideologie der Techbranche“ analysiert, haben vor ihr unter anderem Mark Zuckerberg, Bill Gates und Steve Jobs ihr Studium abgebrochen und diesen Schritt nicht nur als Geste der eigenen Risikobereitschaft inszeniert, sondern auch als Beweis für das eigene Genie, das es nicht nur trotz, sondern gerade wegen der Abkehr von etablierten Strukturen zu Erfolg bringt.
Elizabeth Holmes wurde nicht nur als weiterer genialer „Dropout“ gefeiert. Auch die Haltung, mit der sie ihre vermeintliche Erfindung gegenüber der Geschäfts- und Medienwelt als „bahnbrechend“ anpries, orientierte sich am Gestus der Techbranche. „Holmes lieferte eine gute Story: Sie erklärte, den Markt für Bluttests revolutionieren zu wollen und kombinierte das mit wolkigen Versprechen, das Leben der Menschen zu verbessern“, so Daub. Die eigenen Entwicklungen als weltverändernd, gar -verbessernd zu präsentieren, sei typisch für das Silicon Valley.
Adrian Daub, Universität Stanford
„The Dropout“ reiht sich ein in den Reigen an neuen Serien, deren Protagonist*innen den Nimbus des Valley für ihren Erfolg zu nutzen wussten. Mit „Super Pumped“ ist in den USA sogar eine ganze Anthologie-Serie um disruptive Unternehmen gestartet. In deren erster Staffel geht es mit Uber und dessen Gründer Travis Kalanick (Joseph Gordon-Levitt) um eines der namhaftesten Start-ups des Silicon Valley.
Bislang aber eignet sich dieser sich abzeichnende Serientrend nicht, um ein kritisches Bewusstsein gegenüber besagtem trügerischen Genie-Kult zu entwickeln – obwohl sich die Macher*innen oft bemühen, ihre Protagonist*innen als Antiheld*innen zu präsentieren. „Durch Serien wie ‚The Dropout‘ werden aus guten immerhin böse Genies. Der eigentliche Punkt aber ist: Es sind keine Genies. Man muss Menschen in ihrer Banalität ernst nehmen, wenn man sie kritisieren möchte. Und das gelingt nicht durch eine achtteilige Serie, die sich allein um sie dreht“, erklärt Daub.
Und tatsächlich: Obgleich Holmes als berechnende Narzisstin dargestellt wird, zeigt sie „The Dropout“ letztlich doch als eine auf verquere Art bewundernswerte Gestalt, die es qua ihrer Willensstärke und ihres Charismas zumindest kurzzeitig zu Ruhm und Reichtum gebracht hat.
Abschied von falschen Held*innen
Im Grunde spiegelt die Serienwelt damit das ambivalente Verhältnis der Öffentlichkeit zum Silicon Valley. Schließlich haben auch Personen wie Elon Musk und Mark Zuckerberg bei aller punktueller Kritik nicht mit ernsthaftem Widerspruch zu rechnen – trotz zweifelhafter unternehmerischer Praktiken und an Allmachtsfantasien grenzender Megaprojekte wie „SpaceX“ oder dem „Metaverse“. Trotz einer gewissen Portion Wahnsinn haftet ihnen weiterhin das Bild eines Genies an. Sie können teilweise sogar auf eine treue Schar an Bewundernden zählen.
Um den übermächtigen Konzernen und ihren Gründer*innen nicht noch den Anschein von Brillanz zu attestieren, wäre es an der Zeit, dass sich Serien von derart falschen Held*innen verabschieden.
Ein erster Schritt fiktionaler Produktionen könnte laut Daub darin bestehen, den Fokus von den CEOs abzuwenden. So hätte „The Dropout“ beispielsweise die Perspektive der zwei jungen Whistleblower*innen Erika Cheung (Camryn Mi-Young Kim) und Tyler Shultz (Dylan Minnette) einnehmen können, die maßgeblich zur Aufdeckung der Machenschaften von Theranos beitrugen. Anstatt einer verurteilten Betrügerin, die aktuell nur noch auf die Verkündung des Strafmaßes wartet, erneut eine Bühne zu geben und so den Mythos des Silicon Valley noch ein wenig länger am Leben zu halten.
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