Serie „Disclaimer“ mit Cate Blanchett: Heiße Affäre, ungeklärte Fragen
Hinter dem Glamour einer erfolgreichen TV-Journalistin stehen unangenehme Wahrheiten. Aber welche genau? Und für wen? Das ist auch eine Klassenfrage.
Es dauert maximal drei Episoden bis man als Zuschauer_in trotz verschiedener Erzählstränge und Zeitebenen das Gefühl hat: Ich habe alles durchschaut.
Catherine (Cate Blanchett) bekommt am Abend, nachdem sie gerade als TV-Journalistin ausgezeichnet worden war, ein noch unveröffentlichtes Buch nach Hause geschickt. Sofort beginnt sie zu lesen und stockt schon beim „Disclaimer“: „Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist kein Zufall.“ Schnell stellt sie erschreckt fest, dass die Geschichte von ihr handelt. Einer Frau, die ihr Kind und ihren Mann vernachlässigt, im Italien-Urlaub eine heiße Affäre mit dem jungen Jonathan (Louis Partridge) beginnt. Am Ende dieses Urlaubs ist Jonathan tot – ertrunken im Mittelmeer.
Niemand sollte jemals davon erfahren, es war ihr am besten gehütetes Geheimnis. Doch auf einmal taucht dieser Roman überall auf: bei ihrem Sohn (Kodi Smit-McPhee) im Elektroladen, bei ihrem Ehemann (Sacha Baron Cohen) auf dem Schreibtisch, bei ihrer Lieblingsbuchhändlerin in der Auslage oder an ihrem Arbeitsplatz für alle Kolleg_innen. Denn Jonathans Vater Stephen (Kevin Kline), ein verbitterter älterer Lehrer, will Jahre später Rache nehmen.
Ungeklärte Fragen gibt es nach der knappen Hälfte der Serie kaum. Nur das Wissen, dass noch vier weitere einstündige Episoden folgen werden, legt den Verdacht nahe, dass doch nicht alles so sein kann, wie es auf den ersten Blick scheint.
Aussagekräftige Settings
Diese fehlende Unklarheit führt dazu, dass der Thriller keine Spannung im klassischen Sinne aufbaut. Umso mehr bleibt beim Zuschauen Raum für die Details: ein teurer Rotwein, der kreisförmig im Glas geschwenkt wird, die Katze, die einen frisch gebratenen Fisch ableckt, oder die Füchse, die durch (un)gepflegte Vorgärten und Straßen spazieren. Details, die nur der ästhetischen Inszenierung oder auch der Handlung dienen?
die ersten zwei Folgen ab 11. Oktober, danach wöchentlich eine neue Folge bei AppleTV
Eine Frage, die nicht immer eindeutig zu beantworten ist, denn beizeiten scheint die Ästhetik der wahre Hauptdarsteller der Serie. Kein Wunder, schließlich ist der Regisseur Alfonso Cuarón („Pans Labyrinth“, „Roma“) die Inszenierung für die große Leinwand gewohnt, „Disclaimer“ ist seine erste Serie. Dafür hat er sich aussagekräftige Settings überlegt: Das Londoner Townhouse des Ehepaars Catherine und Robert ist fast zu schön, um darin zu wohnen. Die Kleidung und die Wohnung voller krabbelnder Insekten des Lehrers Stephen scheinen dagegen fast schon zu dreckig, um sich darin auch nur kurz aufzuhalten
Die Bilder sind stimmig, aber kratzen am Klischee und rutschen manchmal in die Überzeichnung. Wie wenn der betrogene Ehemann mit der Whisky-Flasche im Arm im Auto schläft oder die junge Assistentin von Catherine ihr wütend hinterher schreit: „Du bist gecancelt.“
Doch diese Szenen bleiben in einer ansonsten bemerkenswerten filmischen Umsetzung die Ausnahme. Darüber hinaus besticht sie mit außergewöhnlichen Perspektiven. So, wenn Catherine minutenlang durch den Briefschlitz einer Haustür versucht, mit Stephen zu sprechen und immer nur ihr Mund oder ihre Augen zu sehen sind. Dazu gibt es drei unterschiedliche Erzählerstimmen aus dem Off, die Kameraführung und das Lichtspiel ändern sich je nachdem, welche Protagonist_in gerade zu sehen ist.
Eine Umsetzung, die das Thema der Serie unterstreicht. Denn in dem Thriller geht es nicht um eine klassische Ermittlungsgeschichte, sondern um die Frage der Wahrheit. Denn wer von allen erzählt die Wahrheit? Niemand, alle oder hat einfach jeder und jede seine eigene?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball