Serie Digitale Spiele, Teil 6: Mystery vom Flughafenkiosk
"Neuartig", "episch", "bestes Social-Game aller Zeiten": "TwinKomplex" ist der neue Hype in Sachen Online-Spiele. Warum eigentlich?
In der Welt der Videospielentwicklung gilt Deutschland als das Land der Aufbausimulationen und Fußballmanager. Für große Innovationen war man bislang nicht bekannt, dafür lieferte man solides Handwerk. Doch nun kommt eine der großen Hoffnungen im Bereich der Online-Spiele aus Berlin: "TwinKomplex".
Entwickelt haben das Spionage-Spiel nicht irgendwelche Nerds, sondern der Kulturtheoretiker Martin Burckhardt und seine Firma "Ludic Philosophy". Die Kritiken in den Medien waren bislang überragend: "Neuartig", "bahnbrechend" und "episch" wurde das Spiel genannt. Der WDR vergab sogar den Titel "bestes Social-Game aller Zeiten". Doch was ist wirklich dran an diesem Spiel, das nach eigener Aussage gar kein Spiel sein will – sondern eine "Living Novel".
"TwinKomplex" wird im Browser gespielt. Eine kurze Registrierung genügt, schon geht es los: Zu Beginn wird in kurzen Videos mit realen Schauspielern die Handlung angerissen. Die Story dreht sich um einen verschollenen Agenten, der von seinem Geheimbund vermisst wird - der Decentral Intelligence Agency. Nach einigen Tests wird der Spieler selbst zum DIA-Agenten und hilft bei der mysteriösen Spurensure. Spannung kommt dabei aber leider selten auf.
"TwinKomplex" will von der ersten Sekunde an maximal-nebulös, verschwörerisch und undurchschaubar sein, versprüht dabei aber den Thrill einer Kriminalgeschichte aus dem Flughafenkiosk. Mit grobkörnigen und verzerrten Videoaufnahmen, schiefen Kamerawinkeln und Protagonisten, die ganz offensichtlich einen an der Klatsche haben, scheuen sich die Entwickler nicht, ausnahmslos jedes Klischee schlechter Mystery-Filme mitzunehmen.
Heillos überfordert
Doch "TwinKomplex" scheitert nicht allein an seiner fehlenden Glaubwürdigkeit, sondern vor allem an seinem Spielprinzip. Gespielt wird nämlich im Team, mit je drei weiteren menschlichen Ermittlern. Der Idealfall sieht vor, dass man sich untereinander abspricht: Ein Spieler checkt die Laborergebnisse, einer geht auf Beweissuche und ein weiterer Spieler überprüft die Datenbanken. Doch die Realität sieht anders aus.
Viele Spieler sind inaktiv oder heillos überfordert. So muss man Aufgaben allein bewältigen, die eigentlich für die Gruppe konzipiert sind. Zu Beginn soll man beispielsweise gleich 15 verschiedene Adressen in Berlin überprüfen, die man nacheinander mit Google Maps abklappern muss. Doch jedes "Scannen" der Karte kostet Energiepunkte, die sich nur langsam regenerieren.
Schnell steckt man in einer Sackgasse, wenn man sich nicht zusätzliche Energie mit seiner Kreditkarte kaufen will. Das Spiel wird so bereits in den ersten Stunden zäh und demotivierend. Dabei könnte TwinKomplex spannend sein, wenn seine Erzählweise stringenter wäre.
Die freien Assoziationsmöglichkeiten – vor allem das ständige Kokettieren mit dem Verschwimmen von Realität und Fiktion – mögen auf den ersten Blick intelligent und herausfordernd wirken, doch genauso schnell nerven sie. Schon manch anderes Spiel mit großem Potential ist an seiner Unverständlichkeit gescheitert, wie das Endzeit-Adventure Pathologic. Nachvollziehbarkeit war schon immer eines der entscheidenden Kriterien für ein gutes Rätselspiel.
Zudem ist "TwinKomplex" auch nicht so wahnsinnig innovativ, wie jetzt überall behauptet wird. Letztlich ist es nur eine logische Weiterentwicklung der interaktiven Web-Dokumentationen wie "Prison Valley", das letztes Jahr von Arte produziert wurde. Bereits dort hatte man das Problem, dass der Aufwand in keinem Verhältnis zur Resonanz des Publikums stand. Ein ähnliches Schicksal dürfte auch "TwinKomplex" blühen.
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