Serdar Somuncu bei n-tv: Elitepolizisten statt Satire
Wie viel Mitdenken kann man dem Fernsehpublikum abverlangen, wenn es um Falschinformationen geht? Der TV-Sender sagt: Lieber nicht so viel.
Wem mitdenken und hinterfragen zu anstrengend ist, kann sich bei n-tv gut aufgehoben wissen. Der Sender hat eine Sendung des Satirikers Serdar Somuncu abgeblasen, weil sie zu „verwirrend“ war.
„So! Muncu!“, eine Talkshow, die das Talkshowformat an sich persifliert, läuft seit Ende 2015 auf dem Nachrichtensender, der zur Mediengruppe RTL gehört. Die Folge, die am Dienstag ab 23.10 Uhr hätte ausgestrahlt werden sollen, war mit dem Titel „Alternativlos schmutzig: wie extrem wird der Wahlkampf?“ angekündigt gewesen.
Somuncu hatte bei der Aufzeichnung am Montag in Berlin unter anderem mit FDP-Chef Wolfgang Kubicki und dem Komiker Wigald Boning über Falschmeldungen und Desinformation diskutiert.
Am Dienstag gab der Sender dann kurzfristig bekannt, dass „So! Muncu!“ gestrichen und durch eine Dokumentation über Elitepolizisten in Frankreich ersetzt werde. Beim Sichten des fertigen Produkts habe man festgestellt, dass die Show „mehr für Verwirrung als für Aufklärung sorgt“, sagte eine Sprecherin des Senders der taz.
Somuncu lehnt Tabus ab
Serdar Somuncu ist für provokante Aktionen und Äußerungen bekannt. Beleidigungen und Beschimpfungen gehören für ihn zur Marke, Tabus sowie Sprechver- und -gebote lehnt er ab. In den 1990er Jahren ging Somuncu mit einer szenischen Lesung aus Adolf Hitlers „Mein Kampf“ auf Tournee – 20 Jahre bevor in Deutschland das Buch wieder im Handel erschien. Einige Jahre später trug er eine Rede des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels vor KZ-Überlebenden vor.
Bei redaktionellen Eingriffen in seine Arbeit versteht wiederum Somuncu keinen Spaß. Im November beschuldigte der Satiriker bei einem öffentlichen Gespräch mit der Autorin Mely Kiyak den WDR der Zensur, weil dieser Teile eines Auftritts bei der Ausstrahlung herausgeschnitten hatte. Bei dieser Gelegenheit nannte Somuncu die verantwortliche Redaktion „Arschlöcher“ und „Keimzelle des Faschismus“. Eine Redakteurin, die Somuncu dabei namentlich erwähnte, reichte daraufhin im Januar Klage ein.
Dass nun „So! Muncu!“ bei n-tv aus dem Programm genommen wurde, hat wohl nichts mit Ausfälligkeiten des Gastgebers zu tun, sondern vielmehr mit einem satirischen Einspieler in der Sendung, mit dem Somuncu auf die Problematik von Breaking News hingewiesen wollte. Das berichtet die Redaktion von Spiegel Online, die die Sendung offenbar in der Mediathek gesehen hat, bevor sie auch dort entfernt wurde.
In einem gefälschten Nachrichtenbeitrag berichtete demnach ein „Reporter“ aus Washington, ein deutsches Konsortium aus deutschen Firmen wolle die Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen, Trump werde die Nato verlassen und Muslimen den Strom abdrehen.
Eile vor Qualität
Das Problem an Breaking News – also Großnachrichtenlagen – ist, dass einerseits schnell reagiert werden muss, andererseits sensationelle Behauptungen oft größere Tragweite entwickeln als sauber recherchierte Fakten. Ein Dilemma, das vor allem im vergangenen Jahr wiederholt diskutiert wurde. Somuncus Satireaktion sollte diese Vorfälle wohl aufgreifen.
n-tv war das anscheinend zu sehr um die Ecke gedacht. Es ist anzunehmen, dass der Nachrichtensender sich einerseits mit Somuncu schmücken will, andererseits aber um seine Seriosität fürchtet. Moderator Somuncu jedenfalls sagte gegenüber Spiegel Online, er sei „konsterniert“ und „sprachlos“ darüber, dass der Sender nach anderthalb Jahren feststelle, dass er seine Sendung nicht mehr wolle.
Bei n-tv hält man sich hingegen bislang offen, die Show weiterzuführen. Das sollen Gespräche mit der Produktionsfirma ergeben. Allerdings ist fraglich, ob Somuncu einer ist, der sich sagen lässt, wann seine Satire zu „verwirrend“ für das Publikum ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Krieg in Gaza
Kein einziger Tropfen sauberes Wasser