Serbisch-orthodoxe Kirche: Patriarch Irinej stirbt an Corona
Selbst innerhalb der Kirche wurde Irinej für seinen engen Kontakt zum Regime Vučić kritisiert. Angesteckt hat er sich offenbar auf einer Trauerfeier.
Nach zehn Tagen verschlechterte sich der Zustand des Neunzigjährigen. Am Donnerstag dementierte die serbisch-orthodoxe Kirche die Meldung einiger Medien, dass das Kirchenoberhaupt gestorben sei, bestätigte jedoch sein kritisches Befinden. Freitagmorgen erreichte die Serben die Nachricht, dass der 45. serbisch-orthodoxe Patriarch Irinej um 07.07 Uhr gestorben sei.
Überraschend war, dass noch vor der Kirche Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vučić über Instagram als Erster offiziell den Tod des Patriarchen mit den Worten bestätigte: „Es war mir eine Ehre, Sie gekannt zu haben. Solche wie Sie vergehen nie …“
Selbst innerhalb der Kirche wurde Irinej dafür kritisiert, „zu engen“ Kontakt mit dem autoritären Präsidenten zu hegen. Vučić kämpfe „wie ein Löwe“ für das Kosovo, verkündete der Patriarch einst und verlieh dem Staatsoberhaupt den höchsten kirchlichen Orden des Heiligen Sava. Irinej verurteilte auch vor einem Jahr bürgerliche Massenproteste gegen die Alleinherrschaft Vučić' und die Gleichschaltung der Medien. „Was wir heute auf den Straßen sehen, ist nicht gut … Das macht unsere Feinde stark“, sagte der Patriarch.
Verflechtungen mit dem Regime Vučić
Im Gegenzug erfreute sich die Kirche so mancher finanzieller Unterstützung des Staates, etwa bei dem Bau der Kathedrale des Heiligen Sava, die mit ihren monumentalen Umrissen das Zentrum Belgrads dominiert. Kritiker der „zu weltlichen“ Politik des Patriarchen meinen, Irinejs Erbschaft wäre auch die Verflechtungen mit dem Regime Vučić, das auch Einfluss auf die Wahl des neuen Patriarchen haben könnte.
Den serbischen Patriarchen wählt die Bischofskonferenz, doch das letzte Wort hat der Heilige Geist: Drei Kuverts mit Namen der drei Bischöfe mit den meisten Stimmen werden in das Evangelium gesteckt, das älteste Mitglied der Konferenz zieht dann wie bei einem Glücksspiel den Namen des neuen Patriarchen aus dem heiligen Buch. Diese in der Kirchenverfassung festgeschriebene Regel sollte im sozialistischen Jugoslawien zu große Einmischung der Kommunistischen Partei in die Wahl des Patriarchen verhindern.
Vor dem höchsten serbisch-orthodoxen Hirten erlagen auch die serbisch-orthodoxen Bischöfe Milutin und Amfilohije dem Coronavirus. Seit dem Beginn der Pandemie geriet die serbisch-orthodoxe Kirche in die Kritik, weil sich Popen während der Gottesdienste nicht an die Maßnahmen der physischen Distanz hielten.
Der Metropolit von Montenegro, Amfilohije (1938-2020), war der härteste Gegenspieler des Patriarchen. Im Gegensatz zu Irinej bezeichnete Amfilohije den serbischen Präsidenten Vučić wegen seiner Kosovo-Politik als einen „Verräter“.
Trauerfeier mit Folgen
Auch der montenegrinische Metropolit mischte fleißig in der Politik mit: Er führte monatelang die Protestliturgien gegen den montenegrinischen Staatspräsidenten Milo Đukanović an, die maßgebend zu der Niederlage von Đukanović' Demokratischer Partei der Sozialisten (DPS) bei den Parlamentswahlen Ende August beigetragen hatten. Die DPS herrschte zuvor drei Jahrzehnte lang. In Montenegro sagen manche, dass der „Metropolit den Präsidenten besiegt hatte“, dabei den Kontakt mit den Demonstranten nicht gemieden und den Preis dafür bezahlt hätte.
Patriarch Irinej verabschiedete sich in Podgorica von Amfilohije am 1. November. Über 100.000 Gläubige kamen, um sich vor den irdischen Überresten des Metropoliten zu verbeugen. Es wird angenommen, das sich Patriarch Irinej dabei mit dem Coronavirus angesteckt hatte. Seine eigene Bestattung ist nun für Sonntag angesetzt.
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