Sensation im DFB-Pokal: Auferstanden von den Toten
Zweitligist Holstein Kiel schmeißt den FC Bayern München aus dem Pokal. Der Fußball hat gezeigt, weshalb er so unwiderstehlich sein kann.
D er Fußball war tot. Die Kicker spielten in leeren Stadien. Der Deutsche Fußball-Bund betrieb eine Marketingabteilung namens Nationalmannschaft, für die sich das ganze Land schämte. Der Klubfußball hatte jede Spannung verloren, weil der FC Bayern München sowieso jeden Wettbewerb gewann, in dem er antrat. Das emotionale Grundgesetz des Fußballs, nachdem der Sport deshalb so spannend ist, weil man vor dem Abpfiff nicht wissen kann, wer am Ende gewinnt, war in den nationalen Wettbewerben längst außer Kraft gesetzt worden. Bis zu jenem Elfmeter von Fin Bartels im Shootout der zweiten Runde im DFB-Pokal, mit dem er den Achtelfinaleinzug eines zweitklassigen Klubs mit dem Namen Holstein Kiel sichergestellt hat. Der Fußball lebt wieder. Es ist ein Wunder.
Die Auferstehung des deutschen Fußballs sorgte schnell dafür, dass auf Twitter der Hashtag #ksvfcb im ganzen Fußballland über Stunden ganz besonders häufig verwendet wurde. Was ist schon das Impeachment eines US-Präsidenten im Vergleich zu einer Niederlage des FC Bayern gegen den Zweitligisten Holstein Kiel? Der Klub, den sie die Störche nennen, hat schier Unmögliches möglich gemacht.
Das Drehbuch des Spiels war nicht minder mirakulös als das Ergebnis selbst. Ein Abseitstor der Bayern durch Serge Gnabry hatte das 0:1 bedeutet. Niemand konnte es zurücknehmen, weil es in frühen Runden des Pokals noch keine Videoschiedsrichterei gibt. War das wieder einmal der berühmte Bayerndusel, der den Münchnern die Titel beschert hat, als das Team noch nicht so entrückt war wie in den vergangenen neun Jahren, in denen der deutsche Meister stets FC Bayern hieß?
Und dann dieser Jubel des Torschützen! Es war kein Jubel. Es sah so aus, als wäre ihm selbst das Heben der Arme zu mühselig für diesen Kick in einem elenden Zweitligastadion. Selbst Bayernfans dürfte das peinlich gewesen sein. Und vielleicht hat ja das 1:1 durch Fin Bartels, nach einem Konter, selbst denen gefallen, die in Bayernunterwäsche schlafen.
Die Krönung des Spiels
Als in der zweiten Hälfte ein eisiger Wind riesige Schneeflocken durch das Stadion trieb, war die Kulisse für einen großen Pokalabend endgültig perfekt. Ein Freistoß von Leroy Sané war es, der die Bayern wieder in Führung brachte. Dem wieder arg arroganten Torjubel folgte ein ebenso arroganter Spielvortrag der Münchner auf dem Platz. Als dann genau in dem Moment, in dem das Spiel eigentlich schon vorbei war, in der 5. Minute der Nachspielzeit, noch einmal ein Ball in den Münchner Strafraum flog, den ein gewisser Hauke Wahl mit Teilen seines Kopfes, seines Halses und seiner Schulter irgendwie ins Tor bugsiert hat, da war zu spüren, wie es sich anfühlt, wenn der Fußball lebt.
Die Verlängerung, in der alle Beteiligten trotz aufsteigender Müdigkeit in den Muskeln, trotz tiefer werdendem Platz, trotz Schnee und Wind so zu spielen versuchten, dass es nach Fußball aussah, war auch ohne Tore derart faszinierend, dass es kaum zu begreifen war. Dann kam das Elfmeterschießen, bei dem zehn Spieler trafen und zeigten, wie einfach es doch sein kann, einen Elfmeter zu verwandeln. Es war dies ein weiteres Juwel in der Krone dieses Spiels. Als dann Bayerns Marc Roca am Kieler Keeper Ioannis Gelios scheiterte und Fin Bartels daraufhin traf, war der Fußball endgültig wieder auferstanden.
Er wird sich bald wieder ins Grab legen. Der FC Bayern wird vielleicht einmal nicht Pokalsieger oder Meister, die Stammgäste in der Champions League werden sich weiter entfernen vom Plebs des deutschen Fußballs und eine deutsche Meisterschaft wird dann erst wieder spannend, wenn sich der FC Bayern, Limo Leipzig und Borussia Dortmund in eine planetare Superliga verabschiedet haben. Bis dahin bleibt den Fans des Sports dieser eine Abend von Kiel.
Es war ein Tag, so wunderschön…
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag