Selbstwahrnehmung von Politiker*innen: Kann ich was für Geld machen?
Was haben Olaf Scholz, Kamala Harris und Benjamin Netanjahu gemeinsam? Das kann hier nicht verraten werden, das müssen sie schon selbst nachlesen.
D ie Teenagerin, die zu meiner Hausgemeinschaft gehört, ist in ständiger Geldnot. Also heißt es zum Wochenende hin fast immer: „Kann ich was für Geld machen?“ Einmal war die Lage so verzweifelt, dass sie sogar Unkraut gejätet und die Terrasse von Grünspan befreit hat. Seitdem kommt der Zusatz: „Nicht draußen.“ Die Tätigkeit sollte also möglichst sauber, bequem und im Idealfall in halb liegender Position zu erledigen sein.
Zum Glück unterrichte ich einen Integrationskurs, und da gibt es immer jede Menge Material für Memory und andere Spiele auszuschneiden, zu bekleben und zu laminieren; bei 25 Teilnehmer*innen jeweils in vierfacher Ausführung. Wir sind gerade im Teil „Leben in Deutschland“. Nach 100 Stunden müssen im Test 300 Fragen beantworten werden können. Darunter: „Was bedeutet die Abkürzung SPD?“
Nach der Sommerpressekonferenz von Olaf Scholz diese Woche kann man eigentlich nur zu dem Schluss kommen: SPD steht für Supertollste Partei Deutschlands. Denn der Bundeskanzler hat seine Sache so großartig gemacht, dass er auf jeden Fall 2025 noch einmal als Kanzlerkandidat antreten möchte. Natürlich spielt auch hier der Fachkräftemangel eine nicht zu unterschätzende Rolle. Boris Pistorius muss erst mal seinen Wehrdienst ableisten. Malu Dreyer ist im Ruhestand. Und Angela Merkel will nur noch Dinge tun, die ihr Spaß machen.
Präsidenzlose Maffenvernichtungswaffen
Erfolg in der SPD verhält sich umgekehrt proportional zu den Wahlergebnissen. Deshalb ist Olaf Scholz ein sehr erfolgreicher Bundeskanzler. Bei der Bundestagswahl 2021 erhielt seine Partei 25,7 Prozent, bei den Europawahlen im Juni 13,9 Prozent, und in den aktuellen Umfragen steht die Scholz-Partei in der Wählergunst bei 14 bis 16 Prozent. Aber Umfragen sagen ja bekanntlich nichts darüber aus, ob einer der Beste ist.
US-Präsident Joe Biden ist beispielsweise auch der Beste, das hat er selbst noch einmal in seiner Rede an die Nation diese Woche betont. Denn was sagen Versprecher wie „President Putin“ statt „President Zelensky“ schon über die geistige Verfasstheit oder die Altersschwäche eines*einer viel beschäftigten Politiker*in aus? Die herausragende deutsche Außenministerin Annalena Baerbock ist beispielsweise 40 Jahre jünger als Biden und würde dennoch jeden Verhaspelungswettbewerb gewinnen, sogar gegen Biden. Dabei entstehen so wunderbare Wortschöpfungen wie „Maffenvernichtungswaffen“, „präsidenzlos“, „360-Grad-Wende“ oder „bacon of hope“ (statt „beacon of hope“ – Speck der Hoffnung statt Hoffnungsschimmer). Danke, Annalena! Es hat uns alle bereichert.
Gleichen Unterhaltungswert kann man in dieser Hinsicht von Kamala Harris leider nicht erwarten. Sie stellt die Frage „Was kann ich für Geld machen?“ völlig fehlerfrei an ihre potenziellen Spender. Eine Wahlkampagne kostet schließlich viele, viele Millionen. Obwohl, die Sängerin und Songwriterin Charli XCX wirbt beispielsweise völlig kostenfrei für die neue Präsidentschaftskandidatin der Demokraten. „Kamala is brat“, verkündete sie in den sozialen Medien. „Brat“, Göre, steht hier für cool, denn auch Charlis neues Album heißt „brat“ und ist grün. Deswegen also überall Harris mit Grünfilter. Harris’ Coolnessfaktor konnte die Teenagerin auch aus der Tiktok-Welt bestätigen. Mir persönlich gefällt besonders, dass Harris mit 59 Jahren als „junge“ Alternative zu Donald Trump bezeichnet wird.
Allerdings gibt es auch alterslose Politiker*innen. Mit der Frage „Kann ich was für Geld machen?“ hat sich diese Woche der israelische Ministerpräsident Benjamin „Bibi“ Netanjahu an den US-Kongress gewandt. Das wirklich Erschreckende: Bibi trägt dieselbe Frisur wie vor 30 Jahren. Und immer gleich geföhnt! „Comb-Over“ nennen es die Amerikaner, wenn verbliebenes Haar gnadenlos mit Seitenscheitel über schüttere Kopfregionen gekämmt wird. Die Teenagerin könnte da fix Flexibilität ins Haar bringen, so sie es „für Geld machen kann“. Allein mit etwas Farbe und Lockenstab könnte das Ganze ziemlich „brat“ aussehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist