Selbstjustiz in Berlin: Kreuzberg sieht rot

Die lebensgefährliche Attacke am Görlitzer Bahnhof hat eine Vorgeschichte. Ein Barbesitzer rief 70-mal die Polizei gegen Dealer zur Hilfe.

Razzia von Bezirksamtsmitarbeitern und Polizei im Görli. Bild: dpa

BERLIN taz | Im Polizeipräsidium brennt die Luft. Aus allen Abteilungen seines Hauses rief Polizeipräsident Klaus Kandt am Montag Experten zusammen. Einziges Thema auf der Agenda: Strategien zur Bekämpfung der mit dem Drogenhandel einhergehenden Gewalt in Kreuzberg. Ein Fall möglicher Selbstjustiz eines Kneipenwirts gegen Dealer und umgekehrt hat die Sicherheitsbehörden aufgeschreckt. In den Wochen vor der Tat hatte der Wirt nach Informationen der taz ganze 70 Male die Polizei gerufen, weil sein Laden von Dealern bedrängt wurde.

Zwei 16- und 17-jährige Flüchtlinge aus Guinea waren in der Nacht zu Samstag in der Skalitzer Straße niedergestochen worden. Beide Männer befinden sich inzwischen außer Lebensgefahr. Der Polizei seien beide schon länger als Dealer bekannt, heißt es. Gegen den 25 Jahre alten Wirt einer Shisha-Bar in der Skalitzer Straße und dessen 23 Jahre alten Freund wird wegen versuchten Totschlags ermittelt. Beide wurden am Wochenende dem Haftrichter vorgeführt. Nur gegen den Wirt, einen türkischen Berliner, wurde Haftbefehl erlassen. Er wurde aber von der Haft verschont. Begründet worden sein soll das mit seinem festen Wohnsitz und der Vorgeschichte der Tat. Gesucht werden noch dringend Zeugen.

Nach Informationen der taz stellen sich die Ereignisse für die Behörden bislang so dar: Der Wirt habe in den letzten Wochen an die 70 Male die Polizei gerufen, weil sich Drogenhändler vor seinem Laden breitgemacht hatten. Dieser befindet sich in einem Souterrain. Die Dealer hätten Drogenbunker an der Hauswand angelegt, Gäste und Passanten angepöbelt. Szenen, die jeder, der in Kreuzberg zu Hause ist, kennt.

Der Wirt sei auch persönlich bedroht worden, weil er so häufig die Polizei rief, so die Erkenntnisse. Die Polizei sei auch jedes Mal gekommen, aber dann hätten die Dealer, die ihr eigenes Warnsystem hätten, stets schon das Weite gesucht. Auch an dem Abend, an dem es später zu der Tat kam, wurde die Polizei vor Ort gerufen, weil eine Gruppe von Dealern vor dem Haus randaliert habe und Flaschen warf. „Das ist unser Land“, sollen sie laut gerufen haben. Die Beamten hätten dem Wirt geraten, nicht allein in dem Laden zu bleiben. Deshalb habe dieser einen Freund hinzugerufen.

Später in der Nacht seien einige der Dealer wiedergekommen. Das Bedrohungsszenario hätte sich wiederholt. Der Wirt soll bei seiner Vernehmung erklärt haben, hinter einem der Dealer hergerannt und ausgerastet zu sein. Sein Freund soll einen anderen verfolgt haben.

Geklärt ist offenbar nur, dass der Wirt einen der Flüchtlinge mit einem messerähnlichen Gegenstand schwer verletzte. Wie, wo und von wem der zweite lebensgefährlich verletzt wurde, ist Bestandteil der weiteren Ermittlungen.

Noch während die Verletzten vor Ort versorgt wurden, kam es vor dem Lokal zu einem Auflauf von Afrikanern. Diese hätten sich aggressiv gebärdet, so die Polizei. Am Morgen gegen 9 Uhr drangen etwa zehn Randalierer in die Shisha-Bar ein und zerstörten Einrichtung und Fenster. Gegen 13.45 Uhr wurde die Polizei erneut zu dem Ort gerufen, weil Personen im Lokal Polstermöbel in Brand gesetzt hatten. Mehrere Personen wurden wegen schweren Landfriedensbruchs festgenommen. Nach Informationen der taz sind sie im Unterschied zu den Verletzten nicht als Dealer bekannt, kommen aber wie diese aus Westafrika.

Selbstjustiz in dieser Form – Einwanderer aus der Türkei gehen gegen Flüchtlinge aus Afrika vor und umgekehrt –, bedeutet eine neue Eskalationsstufe der Gewalt in Kreuzberg. Diese hat als Begleiterscheinung des Drogenhandels in den letzten Jahren deutlich so zugenommen, dass die Polizei dafür eigens eine Ermittlungsgruppe eingesetzt hatte. Die aber ist Ende Oktober aufgelöst worden.

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