Seehofers „Masterplan Migration“: Hauptsache weniger Flüchtlinge
Der lange geheime „Masterplan“ von Innenminister Seehofer liegt nun vor. Ein Punkt: das Erschweren von Klagen gegen negative Asylbescheide.
Das aber ist falsch: „Im Kern ist es dasselbe Papier“, sagte eine Sprecherin des BMI der taz. Seehofer habe als CSU-Chef eine Version vorab veröffentlicht. In der Tat steht auf dem Titelblatt: „Horst Seehofer, Vorsitzender der Christlich-Sozialen Union“. Doch das 23-seitige Papier mit seinen 63 Maßnahmen ist im Ministerium – und somit von durch Steuermittel finanzierte Beamte – erarbeitet worden. Das hatte die Bundesregierung bereits in der vergangenen Woche auf Anfrage der Grünen mitgeteilt. „Das Innenministerium als Außenstelle für den CSU-Wahlkampf zu missbrauchen, ist nicht akzeptabel“, kritisierte die Grüne Britta Haßelmann.
Die am Montag bekannt gewordene Fassung enthält jedenfalls wenig Neues. Seit langem hat Seehofer keine Gelegenheit ausgelassen, zu beschwören, wie desolat die bisherige Migrations- und Asylpolitik gewesen sei. Sein Entwurf aber läuft darauf hinaus, genau dieselben Maßnahmen, die nichts an der angeblich so dramatischen Lage geändert haben, weiterzuführen. Auf 23 Seiten werden sämtliche Linien der jüngsten Migrations- und Migrationsbekämpfungspolitik der Großen Koalition und der EU katalogartig aufgelistet – nur, dass sie jetzt eben noch „konsequenter“ und „entschlossener“ durchgezogen werden sollen. Ein paar Neuerungen gibt es aber doch.
So soll es gegen Flüchtlinge mehr Härte auf allen Ebenen geben. Über das, was die CSU schon lange angekündigt hat – etwa die weitere Reduzierung von Geldleistungen oder die Einrichtung der umstrittenen sogenannten Anker-Zentren – geht das Papier an einigen Punkten hinaus: Neben dem aktuellen Streitpunkt, der Rückweisung bereits in anderen EU-Staaten registrierter Schutzsuchender, plant Seehofer, künftig auch Sechsjährigen Fingerabdrücke abnehmen lassen; Flüchtlinge, die sich nicht ausweisen können, sollen künftig im noch weiter beschleunigten Verfahren abgewickelt werden. Die Dauer der eingeschränkten Bezüge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz soll auf 36 Monate verlängert werden.
Zuletzt hatten fast die Hälfte (44 Prozent) aller Klagen gegen Asylbescheide Erfolg, hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) also fehlerhaft entschieden. Mit dem Masterplan sollen nun die Klagemöglichkeiten von abgelehnten Asylbewerbern stark eingeschränkt werden. Euphemistisch ist die Rede von einer „Optimierung“: Unter anderem sollen klagende Schutzsuchende an Gerichtskosten beteiligt werden, vor allem aber soll trotz laufender Verfahren noch leichter als bisher abgeschoben werden können.
„Konsequente Desintegration“
In einer Art Präambel macht Seehofer klar, was das Ganze soll: Die Zahl der Ankommenden „nachhaltig und auf Dauer reduzieren“. Ein positives Bekenntnis zur Migration insgesamt sucht man vergebens. Nur an wenigen Stellen ist von der gesteuerten Zuwanderung „gut ausgebildeter und qualifizierter Fachkräfte“ die Rede. „Seehofer will Deutschland von einem Aufnahmeland zu einem Ausreiseland umbauen“, sagte der Pro Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt der taz. „Er setzt auf konsequente Desintegration.“
Ansonsten sieht der Masterplan wie gesagt mehr von Altbekanntem vor: Mehr Geld für Hilfe in Herkunftsländern, mehr Geld und Befugnisse für die EU-Grenzschutzagentur Frontex, Lager in Afrika und in Transitländern, vereinheitlichte Asylverfahren in der EU, eine effektivere Durchsetzung der Dublin-Verordnung, mehr Befugnisse und Ressourcen für die Polizei an den Grenzen, mehr Qualitätsmanagement im BAMF, biometrische Erfassung von Flüchtlingen, mehr Datenspeicherung, geringere Leistungen für Asylsuchende, schnellere Verfahren, weniger Widerspruchsrechte, und, natürlich: mehr Abschiebehaft, Abschiebungen und „freiwillige Rückkehrer“.
Mehr Geld geben soll es auch für internationale Polizeieinsätze zur Verbesserung des Grenzschutzes oder den Europäischen Nothilfefonds für Afrika, mit dem die EU „Fluchtursachen bekämpfen“ und den Grenzschutz verbessern will. Das Papier nennt dazu aber fast keine konkreten Beträge. Nur an einer Stelle ist die Rede davon, dass das BMI selbst zusätzlich rund 7,5 Millionen Euro für Polizeimissionen ausgeben will. An anderer Stelle werden 880 Millionen zusätzlich für das Entwicklungsministerium gefordert, die aber selbstredend nicht aus Seehofers eigenem Etat kommen sollen.
Entwicklungshilfe soll stärker an Abschiebekooperation gekoppelt werden – auch dies ist kein neuer Ansatz. Das Papier enthalte „keinen einzigen Vorschlag zur Verbesserung von Integrationsmöglichkeiten oder gar Aufenthaltsverfestigung von Geflüchteten“, kritisierte Luise Amtsberg, flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Statt wie angekündigt „Maßnahmen zur Ordnung, Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung“ zu enthalten, sei es „ein von Angst durchtränktes Papier, dass nur populistisch von Abschottung und Repression handelt“, sagte Amtsberg der taz.
„Eskalation in der Asylpolitik“
Aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der Linken geht derweil hervor, dass Seehofer am 20. Juni, kurz bevor der Asylstreit in der Union völlig aus dem Ruder lief, eine deutlich höhere Prognose zu den Flüchtlingszahlen genannt, als die Zahlen seines eigenen Ministeriums hergaben. Seehofer hatte da behauptet, trotz des Rückgangs der Asylzahlen sei damit zu rechnen, dass der im Koalitionsvertrag vereinbarte „Korridor für die jährliche Zuwanderung nach Deutschland in Höhe von 180.000 bis 220.000 Personen (…) in diesem Jahr erreicht oder sogar überschritten werden“ könnte. Die dem Bundesinnenministerium vorliegenden konkreten Zahlen, die die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke daraufhin abgefragt hatte, ergeben aber nur eine Prognose von etwa 150.000 ZuwanderInnen – weit weniger also, als Seehofer behauptet hat.
Seehofer betreibe angesichts zurückgehender Asylzahlen „mit Fake News eine Eskalation in der Asylpolitik“, sagte Jelpke dazu. Der SPD-Vorstand verabschiedete am Montag einstimmig den am Wochenende bekannt gewordenen Fünf-Punkte-Plan der Partei zur Migrationspolitik. Darin bekräftigen die Sozialdemokraten, dass Geflüchtete, die schon in anderen EU-Staaten registriert wurden, schneller zurückgeschickt werden sollten. Die SPD wendet sich aber gegen geschlossene Lager für Flüchtlinge und fordert mehr Möglichkeiten zur legalen Einwanderung.
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