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Sebastian Kurz unter KorruptionsverdachtDie ÖVP betoniert sich ein

In Österreich hat sich die ÖVP hinter Kanzler Kurz gestellt. Nun liegt der Ball bei den Grünen. Dienstag könnte es zum Koalitionsbruch kommen.

Demonstration gegen Sebastian Kurz vor der Zentrale der ÖVP in Wien am 7. Oktober Foto: Lisi Niesner/reuters

Wien taz | „Mach's wie Laschet – tritt zurück!“ Diese Botschaft schickte ein Demonstrant am Donnerstagabend mit seinem Papp-Transparent an Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz. Gemeinsam mit rund zweitausend weiteren Demonstranten stand er vor der Parteizentrale der ÖVP in Wien. Dort wehten die roten Fahnen der Jungsozialisten und der Kommunistischen Partei (KPÖ), die seit ihrem Wahlerfolg in Graz Aufwind verspürt. Sprechchöre forderten: „Kurz muss weg!“

Seit den Razzien der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft im Bundeskanzleramt, Finanzministerium sowie bei hohen ÖVP-Funktionären am Mittwoch weht wieder ein Hauch von Ibiza durch die Republik. Kanzler Kurz wird verdächtigt, seinen kometenhaften Aufstieg durch gefälschte Umfragen und schmutzige Deals mit dem Boulevard befördert zu haben – und das mit Steuergeld. Hohe Haftstrafen drohen.

Gleichzeitig berieten am Donnerstag in der Politischen Akademie der ÖVP die ÖVP-Landeshauptleute und Parteichefs der Bundesländer. Das Ergebnis taten Tirols Landeshauptmann Günther Platter und Fraktionschef August Wöginger kurz nach 22 Uhr vor der wartenden Presse kund: Die Partei stehe geschlossen hinter ihrem Chef. Ohne Sebastian Kurz werde es kein Weiterregieren geben. Es liege nun am grünen Koalitionspartner, die Stabilität im Land zu gewährleisten.

Damit spielte man den Ball zurück zu den Grünen, deren Parteichef Werner Kogler Zweifel an der Handlungsfähigkeit des Kanzlers geäußert hatte. Sie würden gerne weiterregieren, aber nicht mit Kurz, so Kogler. Deutlich hatte es auch der Abgeordnete Michel Reimon ausgesprochen: „Kurz ist nicht mehr amtsfähig, mit diesen Ermittlungen als Dauerbelastung kann er nicht Kanzler sein“.

Reimons Wunsch: „Diese Koalition hat ein Programm umzusetzen, eine Pandemie und den Klimawandel zu bekämpfen. Die Mindestanforderung an die VP ist, dass sie einen amtsfähigen Kanzler stellt, der das leisten kann. Das sollte für eine staatstragende konservative Partei selbstverständlich sein.“

Spannend wird's am Dienstag

Die Grünen haben am kommenden Dienstag die Gelegenheit, bei einer Sondersitzung des Nationalrats dem von der Opposition eingebrachten Misstrauensantrag gegen Kurz eine Mehrheit zu verschaffen. Sollte das passieren, würden ihre Minister geschlossen zurücktreten, hat die ÖVP signalisiert. Will man dann Neuwahlen vermeiden, so sind mehrere Szenarien möglich, wie der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk am Freitag im Ö1-Morgenjournal erläuterte.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen könnte die Chefin der SPÖ, die als zweitstärkste Partei aus der Wahl 2019 hervorgegangen war, oder auch eine andere Person mit der Regierungsbildung beauftragen. Spekuliert wird über eine Koalition aus SPÖ, Grünen und den liberalen Neos, die von der rechten FPÖ toleriert würde.

Dass eine solch breite Koalition funktionieren kann, wenn man ein notorisches Stehaufmännchen als Regierungschef ablösen will, hat zuletzt die Erfahrung in Israel gezeigt. Allerdings kann sich in Österreich niemand wirklich eine Zusammenarbeit mit dem Corona-Leugner Herbert Kickl von der FPÖ vorstellen. Möglich wäre daher auch eine Expertenregierung wie unter der Verfassungsrichterin Brigitte Bierlein nach dem Ibiza-Skandal 2019.

Kurz hat alle möglichen Partner verschlissen

Der Bundespräsident könnte aber auch den Nationalrat auflösen. An diesem Szenario, das baldige Neuwahlen nach sich ziehen würde, ist derzeit keine Partei interessiert. Die Wahlkampfkassen sind leer und für eine dritte Wahlen innerhalb von vier Jahren hätte auch die Bevölkerung kein Verständnis.

Der Politologe Thomas Hofer schließt nicht aus, dass die ÖVP mit einem als Opfer von bösen Oppositionsintrigen in Szene gesetzten Sebastian Kurz erneut die relative Mehrheit erringen könnte. Allerdings: Mit wem sollte er regieren? Alle möglichen Partner – SPÖ, FPÖ und Grüne – hat er bereits verschlissen. Ein Vertrauensverhältnis zwischen den Partnern, auf dem eine Koalition aufbauen muss, ist derzeit kaum vorstellbar.

Die Korruptionsermittler arbeiten indes weiter und haben neue Dokumente veröffentlicht, aus denen hervorgeht, wie die Kurz-Berater auf die unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS Druck ausübten, ihre Prognosen den Vorstellungen der ÖVP anzupassen. Die ÖVP drohte derweil mit Kürzung der öffentlichen Subventionen, die die Institute in Österreich erhalten. Der neue Chef des IHS, der deutsche Wirtschaftsweise Lars Feld, hat seinen Posten derweil noch nicht angetreten, weil ein Teil der Finanzierungszusage noch aussteht.

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2 Kommentare

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  • klingt irgendwie nach dem politischen Sumpf der Österreich schon immer nachgesagt wurde... ein richtiges Durchlüften täte dem Land ganz gut.

  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    Die Österreichen sind diese politischen Erdbeben gewöhnt... die lächeln das weg.

    Das Problem ist allerdings, dass ihnen die Optionen ausgehen - es gibt eigentlich kaum noch eine "unbelastete" Partei, die man als "Neuanfang" wählen könnte. Am ehesten vielleicht die Grünen, aber dafür ist man außerhalb Wiens nicht bereit.

    Und das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum die Grünen Kurz jetzt nicht vor's Schienbein treten.

    Und das ist alles nur das politische Österreich... Die österreichische Wirtschaft ist spätestens seit dem Club 45 kaum noch kontrollierbar.

    Wer Deutschland für einen failed state hält, der hat sich noch nicht mit Österreich beschäftigt.