Scientology in Hamburg: Am Rande der Bedeutungslosigkeit
Scientology hat in Hamburg rapide an Mitgliedern verloren. Als Gegenmaßnahme instrumentalisiert die Sekte das Gedenken an Nazi-Opfer.
Dafür instrumentalisiert sie ausgerechnet den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, an dem 1945 die Überlebenden des KZ Auschwitz befreit wurden. Die Scientology-Organisation „Kommission für die Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte“ (KVPM) hat für den Nachmittag des 27. Januar eine Kundgebung am Hauptbahnhof angemeldet. Tenor der Versammlung: „Am internationalen Holocaust-Gedenktag erinnern wir: Psychiatrie, Wegbereiter und Architekt des Massenmords“.
Seit Jahren initiiert die KVPM, die eine Ortsgruppe in Hamburg besitzt, Kampagnen gegen die Psychiatrie und Pharmakologie und ordnet ihr eine Mitverantwortung für die Massenmorde in der Zeit des Nationalsozialismus zu. „Die Kampagne gegen die Psychiatrie soll den Boden für scientologische Alternativen und einen möglichen Einstieg in die extremistische Organisation bereiten“, befürchtet der Sprecher des Hamburger Verfassungsschutzes, Marco Haase.
Scientology lehnt professionelle psychologische Behandlungen vehement ab. Sie setzt ihnen die eigene Technik des „Auditing“ entgegen, die viele Aussteiger*innen als Gehirnwäsche beschreiben, mit dem Ziel, psychisch instabile Menschen an die Sekte zu binden und ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Das aber gelingt der von L. Ron Hubbard gegründeten Sekte immer seltener.
Hatte die selbsternannte „Church“ in den 90er-Jahren noch über 1.000 Anhänger*innen in Hamburg, von denen viele auf dem Immobilienmarkt aktiv waren, so ist ihre Zahl inzwischen auf 300 abgerutscht. Da die Scientology-Zentrale in Clearwater (Florida) genau darauf achtet, wie erfolgreich ihre lokalen Dependancen bei der Rekrutierung neuer Mitglieder sind, steht die Hamburger Filiale stark unter Druck. Kenner der Sekte sprechen deshalb von einem „letzten Zucken der Hamburger Scientologen“. Zuletzt versuchten die 2019 recht erfolglos durch eine weitere Tarnorganisation mit der Kampagne „Sag Nein zu Drogen – Sag Ja zum Leben“ in Hamburg Mitglieder zu rekrutieren.
Seit 1997 wird Scientology vom Verfassungsschutz beobachtet, da ihre totalitäre Ideologie, die Weltherrschaft anstrebt, mit den Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist. Zwischen 1992 und 2010 besaß die Innenbehörde gar eine „Arbeitsgruppe Scientology“, die die Aktivitäten der Sekte genau beobachtete und Aussteiger*innen beriet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe