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Schwester über ermordete Journalistin„Daphne könnte heute noch leben“

Corinne Vella, Schwester der 2017 ermordeten Journalistin Daphne Caruana Galizia, erhebt schwere Vorwürfe gegen die maltesische Regierung.

Proteste in Malta: Die Eltern der getöteten Journalistin Daphne Galizia führen die Demo an Foto: ap
Christian Jakob
Interview von Christian Jakob

taz: Frau Vella, Maltas Premier Joseph Muscat hat wegen der Ermittlungen im Fall des Mordes an Ihrer Schwester seinen Rücktritt angekündigt. Ihrer Familie reicht das nicht. Weshalb?

Corinne Vella: Muscat seinen Rücktritt als Premierminister zwar angekündigt, aber gleich wieder verschoben. Er hat dies getan, um sich selbst und seinen Kabinettschef Keith Schembri weiterhin vor den Mordermittlungen zu schützen. Es gibt keine andere Erklärung dafür.

Deshalb ist es unerträglich, dass er weiter im Amt bleibt. Seine Rolle bei der Untersuchung der Ermordung meiner Schwester war vollkommen rechtswidrig. Bis zu seinem Rücktritt wird Daphnes Familie alle Rechtsmittel ausschöpfen, um sicherzustellen, dass Muscat als möglicher Verdächtiger nicht weiter an den Ermittlungs- und Strafverfahren beteiligt ist – außer als möglicher Verdächtiger.

Seit Langem gab es Indizien, dass Kabinettschef Keith Schembri in den Mord an ihrer Schwester verwickelt ist. Doch der Premier Muscat hält bis jetzt an ihm fest. Was glauben Sie, warum?

Muscat hat nicht nur an Schembri festgehalten, sondern offensichtlich auch alles getan, um ihn zu schützen. Die Ermittlungen haben sich sehr lange hingezogen, die Vermutung liegt nahe, dass es da direkte Einflussnahme gab.

Wie soll der Regierungschef Einfluss auf die Ermittlungen genommen haben?

Als es Briefings zu den Mordermittlungen gab, hat Muscat Schembri daran teilnehmen lassen, obwohl dieser ein Verdächtiger ist. Medien haben berichtet, dass Schembri Zugang zu internen Informationen über die Ermittlungen hatte. Und es gibt Berichte, dass Schembri versucht hat, einen inhaftierten Zeugen zu beeinflussen, indem er ihm über ihren gemeinsamen Arzt Nachrichten zukommen ließ.

Muscat wusste das. Es ist eine absolut verrückte Situation, dass der Premier Macht über das Verfahren hat und gleichzeitig mit einem der Hauptverdächtigen verbunden ist. Als Daphne 2015 Schembris und Mizzis Briefkastenfirmen in Panama aufdeckte, hätte Muscat die beiden zum Rücktritt zwingen müssen. Doch er ließ sie in ihren Ämtern und verteidigte Schembri sogar mit den Worten, dieser sei „ein Mann von Integrität“. Er schützte ihn vor und nach dem Mord an meiner Schwester.

Ihre Schwester Daphne hat Indizien für einen Korruptionsskandal gesammelt, in den Schembri, der Energieminister Konrad Mizzi und Muscat verwickelt sein sollen und der im Zentrum der Ermittlungen steht. Was ist dabei geschehen?

Schon vor der Wahl 2013 haben sich Schembri, Mizzi und Muscat für den Bau eines Gaskraftwerks auf Malta eingesetzt, an dem übrigens Siemens als Konstrukteur und Miteigentümer beteiligt ist. Muscat wurde damals mit zwei Versprechen gewählt: billigere Stromrechnungen und saubere Luft. Er wollte, dass das Gaskraftwerk gebaut wird – und davon wohl nicht nur in Form von Wählerstimmen profitieren.

Bild: reuters
Im Interview: Corinne Vella

Schwester der 2017 getöteten Journalistin Daphne Caruana Galizia. Sie kämpft zusammen mit deren Söhnen seither für die Aufklärung des Mordes.

In der Nacht auf Montag, als Muscat eine Rede hielt, bezog er sich auf das damalige Wahlversprechen. Er sagte: „Wir haben euch billigere Stromrechnungen verschafft.“ Damit hat er sich ohne jede Scham auf das Unternehmen bezogen, das an dem Mord an Daphne beteiligt war.

Denn wie aus Recherchen von Daphne und einem Netzwerk weiterer Journalisten hervorgeht, flossen an Mizzis und Schembris Briefkastenfirmen offensichtlich Millionenzahlungen von dem Miteigentümer an dem Kraftwerk – dem Mann, der nun wegen Mordes an Daphne angeklagt ist.

Dabei handelt es sich um den maltesischen Unternehmer Yorgan Fenech. Der wurde vor zehn Tagen verhaftet und hat daraufhin Keith Schembri schwer belastet. Was genau hat er ausgesagt?

Es gab offenbar eine eidesstattliche Erklärung. Aber über den Inhalt wissen wir nichts Genaues, weil es keinen offiziellen Kanal gibt, über den der Staat seine Bürger über den Stand der Ermittlungen informiert. Gibt es Beweise? Wir wissen es nicht. Muscat sitzt in seinem Büro und spricht nur, wenn es ihm passt. Wir sind auf das angewiesen, was die Medien herausfinden.

In der vergangenen Woche ist über diese Medien viel Neues über den Mord bekannt geworden. Was sind für Sie die wichtigsten offenen Fragen?

Was braucht es noch, damit Muscat geht und ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet wird? Wann wird Schembri wegen Korruption angeklagt? Seine Panama-Geschäfte haben Maltas Finanzermittler schon vor Jahren dokumentiert. Wäre Schembri damals angeklagt worden, würde Daphne heute noch leben.

Und was ist das Wichtigste, was die Ermittler herausfinden müssen?

Es ist sehr wichtig, dass sie die Ermittlungen bis zum Ende führen, egal gegen wen es dabei geht, und dass es dann echte Konsequenzen gibt. Die Ermittlungen deuten auf eine Beteiligung des Premierministers hin und das ist sehr verstörend.

Wie ist es möglich gewesen, die Ermittlungen so lange zu blockieren?

Das weiß ich nicht. Aber es ist klar, dass es diese Behinderungen gab. Ich kann nur spekulieren, auf welche Weise das geschah, man kann sicher Beweise verstecken, Ermittler absetzen oder sie mit anderen Aufgaben lahmlegen.

Der Polizeichef etwa ist der fünfte seit dem Amtsantritt von Muscat 2014, der ist nicht unabhängig, er ist vielmehr als großer Bewunderer Muscats bekannt. Sein Vorgänger war angeblich „aus persönlichen Gründen“ zurückgetreten, und zwar just, als die Finanzermittlungsbehörde FIAT der Polizei ihre Ermittlungsergebnisse zu Schembri an die Polizei geschickt hatte.

Nach Recherchen von Daphne Galizia hat auch Muscats Frau Michelle eine Briefkastenfirma. Welche Rolle spielt das?

Daphne hatte beschrieben, dass Muscat über ein Konto bei der Pilatus-Bank auf Malta Bestechungsgeld in Höhe von gut einer Million Dollar an die Briefkastenfirma seiner Frau Michelle in Panama überwiesen hatte. Das Geld kam von der aserbaidschanischen Herrscherfamilie – als Gegenleistung für Regierungsaufträge. Muscat hat dies als „größte Lüge der Geschichte“ zurückgewiesen …

… der maltesische Untersuchungsrichter Aaron Bugeja hat diese Vorwürfe untersucht und konnte keine Belege finden.

Ich kann zu dem Bericht nichts sagen, weil ich keinen Zugang dazu habe.

Die Söhne von Daphne Galizia haben am Dienstag bei Gericht beantragt, die Ermittlungen auf Muscat auszuweiten. Warum?

Solange Muscat im Amt ist, kann die Polizei nicht wirksam gegen Schembri vorgehen. Diese Situation ist völlig inakzeptabel. Wir sind die Familie des Opfers. Warum sollten die Söhne und der Ehemann von Daphne zum Schutz ihrer Rechte vor Gericht gehen müssen? Das ist die Pflicht des maltesischen Staates.

Aber Muscat besteht darauf, als Chef der Exekutive des Staates zu bleiben. Alles, was er gesagt hat, ist, dass er „in den Tagen nach“ der Wahl eines neuen Parteivorsitzenden am 12. Januar als Premierminister zurücktreten wird. Er sagt nicht, an welchem Tag. Er geht keine feste Verpflichtung ein.

Ich fürchte, dass er im Amt bleiben wird, wenn sein Nachfolger als Parteichef jemand ist, mit dem er keinen Deal abschließen kann, um sich zu schützen. Er sollte aus dem Amt entlassen werden.

Hat Sie das, was in den letzten Tagen bekannt geworden ist, überrascht?

Nein. Wir wussten alle, dass der Mord an Daphne mit ihrer Arbeit zu tun hat.

Wie hat sich ihr Alltag verändert, seit Fenech verhaftet wurde?

Wir gehen jeden Abend zu den Demonstrationen, die ganze Familie. Meine Eltern sind 81 Jahre alt und sie sind auch da. Bei der großen Demonstration am Sonntag führten sie den Marsch mit an. Und seit Daphne getötet wurde, müssen wir uns gegen die Propaganda aus dem Büro des Premierministers und seiner Anhänger verteidigen.

Das EU-Parlament hat eine Mission nach Malta entsandt, um die Rechtsstaatlichkeit zu prüfen. Diese will am Mittwoch auch die Familie treffen. Ist das eine angemessene Reaktion der EU?

Ich bin zufrieden damit, dass es diese Mission gibt. Bemerkenswert aber war, dass die Fraktion der Sozialdemokraten im EU-Parlament, zu denen auch Muscats Partei gehört, erst einmal eine ausführliche Debatte in der Sache haben wollte statt der Eilmission. Das ist in etwa so, als wenn das Haus brennt und man sagt: „Moment, ich will erst mal den Boden fegen, bevor wir die Feuerwehr rufen.“

Bräuchte es Neuwahlen oder gibt es jemand in der Regierungspartei PL, dem sie zutrauen, Muscats Plaz einzunehmen und die Aufklärung zu Ende zu bringen?

Muscat muss aus dem Amt und seine Partei sollte ihn daraus entfernen. Das wird schwierig. Muscat hat seine Parteifreunde immer zur Gefolgschaft und zu öffentlichen Solidaritätsbekundungen gezwungen. Wer auch immer ihm nachfolgt, darf mit den ganzen Skandalen absolut nichts zu tun haben.

Gibt es denn so jemand?

Mir fällt keiner ein, aber es ist auch nicht meine Aufgabe, einen Nachfolger zu suchen. Wir wollen Gerechtigkeit für Daphne, was immer dazu nötig ist. Die Stabilität des Landes hängt daran. Solange es keine Gerechtigkeit gibt, wird es keine Stabilität geben. Die Situation jetzt ist jenseits von absurd. Sie ist ein Sicherheitsrisiko für ganz Europa.

Warum?

Malta ist ein EU-Staat. Wussten Sie, dass Muscat vorhatte, dem Ratspräsidenten Donald Tusk im Amt nachzufolgen. Jemand mit einer solchen Vergangenheit. Was wäre das für ein Signal an die Welt, ein Mann mit kriminellen Verbindungen als Ratspräsident?

Wie, denken Sie, konnten die Mörder glauben, ein derartiges Komplott auf einer so winzigen Insel dauerhaft geheim halten zu können?

Sie versuchen das rational zu erklären. Das ist nicht möglich. Nur die Täter wissen, was sie sich dabei gedacht haben. Aber es ging sicher nicht nur darum, Daphne zu töten. Die Autobombe war auch ein politisches Signal an andere: „Wir stehen über dem Gesetz. Wenn du tust, was Daphne getan hat, geht es dir genauso“, das war die Botschaft.

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