Schwerer Anschlag in Afghanistan: Dutzende Tote in Kabul
Eine Ambulanz voller Sprengstoff, ein Knall, der stadtweit zu hören ist – es ist der zweite schwere Anschlag in Kabul in einer Woche und der dritte im Januar.
In der Straße im zentralen Regierungs- und Geschäftsviertels Schar-e Nau liegen auch die Gesandtschaft der Europäischen Union, mehrere Botschaften, darunter die von Schweden, Indien und Indonesien, sowie das ehemalige afghanische Innenministerium, das für einige Funktionen weiter genutzt wird. Die Straße wird von beiden Seiten mit mindestens zwei Sicherheitsposten geschützt; Fußgänger dürfen nur selten tief hinein. Aber nahe dem südlichen Ende, an dem die Explosion geschah, liegt der große, immer verkehrsverstopfte Sedarat-Platz mit vielen Geschäften.
Dort liegt auch das große Jamhuriat-Krankenhaus. Ein Doktor der Klinik veröffentlichte auf seiner Facebookseite einen Hilferuf: „Wir brauchen Blut. Ärzte und Zivilisten verletzt.“
Etwas weiter entfernt – auf der anderen Seite des Sedarat-Platzes – liegt hinter hohen Sprengschutzwänden das heute nur noch selten genutzte Hauptbüro der staatlichen deutschen Entwicklungshilfsorganisation GIZ. Die GIZ hatte im Sommer wegen der steigenden Unsicherheit in Afghanistan und seiner Hauptstadt fast alle Büros in der Stadt geschlossen und war in ein Lager am Stadtrand umgezogen. Ob GIZ-Mitarbeiter oder Mitarbeiter von Botschaften beim jüngsten Anschlag zu Schaden kamen, blieb zunächst unklar.
Bild der Verwüstung
Die Explosion sei in der ganzen Stadt zu spüren gewesen, hieß es im Sender Tolo News. Bilder vom Anschlagsort zeigten von der Wucht der Detonation nackt hinterlassene Häuserfassaden mit herausgesprengten Fenstern, Türen und Ladenschildern. Auf dem mit Glassplittern und Trümmern übersäten Pflaster waren Leichen zu sehen, bedeckt und unbedeckt. Ein normalerweise gefasster Polizeisprecher schrie ins Telefon, als die Deutsche Presse-Agentur ihn kontaktierte.
Der Leiter der italienischen Hilfsorganisation Emergency, die eine Klinik für Kriegsverletzungen betreibt, schrieb auf Twitter: „Es ist ein Massaker.“ Kurz darauf konnte Emergency, das die beste Traumaversorgung in der Stadt anbietet, keine weiteren Patienten mehr aufnehmen. Bilder zeigten, wie Ärzte und Krankenschwestern die Patienten im Garten versorgten.
Ein Sprecher des Innenministeriums sagte, der Selbstmordattentäter habe einen Krankenwagen gefahren. Er sei durch den ersten Sicherheitsposten in der schwer bewachten Straße gekommen, aber an der zweiten Sperre erkannt worden. Daraufhin habe er den mit Sprengstoff vollgepackten Wagen in die Luft gejagt.
Die Taliban reklamierten die Tat mit einer Botschaft im Kurznachrichtendienst Twitter für sich. Sie behaupteten, mindestens 80 Polizisten getötet und verletzt zu haben.
Die Sicherheitslage in der afghanischen Hauptstadt hat sich seit Ende der Nato-Kampfmission im Dezember 2014 stark verschlechtert. 2017 gab es dort mehr als 20 schwere Anschläge der Taliban und der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Mehr als 500 Menschen kamen bei den Attentaten ums Leben. Bei dem ersten Anschlag im neuen Jahr auf einen Sicherheitsposten waren Anfang Januar mindestens 20 Menschen getötet und 30 verletzt worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg