Schweizer Autor Peter Bichsel ist tot: Sich selbst überraschend
Sozialist und Realist: Der Schweizer Schriftsteller und Kinderbuchautor Peter Bichsel ist fast 90-jährig gestorben. Nachruf auf einen kritischen Geist.

Viele lasen Peter Bichsel schon, bevor sie seinen Namen kannten. Denn seine „Kindergeschichten“ fanden sich in vielen Schulbüchern. So etwa die Geschichte vom alten Mann, der etwas ändern wollte. „Zu dem Tisch sage ich Tisch, zu dem Bild sage ich Bild, das Bett heißt Bett, und den Stuhl nennt man Stuhl. Warum denn eigentlich?'“
Dieser Mann benennt also radikal alles um, bis es heißt: „Er war jetzt kein Mann mehr, sondern ein Fuß, und der Fuß war ein Morgen und der Morgen ein Mann.“ Als Kinder lachten wir und erzählten uns, wie vom Autor gewünscht, die Geschichte weiter. Dabei war es eine traurige Geschichte von einem Kommunikationsverlust.
Peter Bichsel war Sozialist und Realist, insofern sah er mit Hoffnung in eine düstere Zukunft. Den „Totaldemokraten“ in seiner Schweiz, die er als Kolumnist über Jahrzehnte begleitete, war er Vorbild und Ärgernis zugleich. Da er freundlich und humorvoll wirkte, wurde seine analytische Kraft oft unterschätzt.
Immer in Anglerweste
Man traf bei seinen Auftritten in den letzten Jahren auf einen älteren Herrn in Anglerweste, der noch immer erst auf der Bühne entschied, was genau er las („Es muss für mich ja auch noch ein wenig überraschend sein.“). Zu seiner Zigarette trank er gern Rotwein und erzählte gern viel – doch nur wenig aus seinem Leben.
Am 24. März hätte er seinen 90. Geburtstag feiern können, daher ist gerade seine frühe Kurzprosa unter dem Titel „Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen“ erneut erschienen, und man versteht sofort, warum seine Kolleg:innen diesem genauen Beobachter 1965 den Preis der Gruppe 47 zuerkannten.
Viele Bücher und Auszeichnungen folgten, dennoch fiel Bichsel nie durch große Eitelkeit auf. Er sterbe gern, ließ er in einem seiner letzten Interviews wissen. Am Samstag nun ist er in einem Pflegeheim in Zuchwil von uns gegangen.
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