Schwarzwald-Tatort „Goldbach“: Unterm Schnee die Ödnis
In Freiburg ermitteln jetzt Eva Löbau und Hans-Jochen Wagner – und wie! Ein großer „Tatort“ darüber, wie eine kleine Gemeinschaft zerfällt.
Der Baum muss weg. Er liegt quer über einem schmalen Bach hinterm Haus, mitten im verschneitesten Schwarzwaldwinter. Zwei Männer, zwei Frauen ziehen und zerren, sie lachen, sie wissen, sie haben keine Ahnung, was sie da gerade tun. Städter halt, die irgendwann aufs Land gezogen sind, Ärzte, IT-ler, drei Höfe, drei Familien.
Und auf einmal tauchen zwei von der Kripo aus Freiburg an der Auffahrt auf, räumen beiläufig den Schlitten zur Seite. Eines der Kinder liegt tot im Wald, erschossen. Die anderen: spurlos verschwunden.
Man muss es wohl Filmer-Glück nennen, dass ausgerechnet zum geplanten Drehbeginn der Schnee kam. Für diesen ersten neuen Freiburger Tatort sorgte das Wetter für den perfekten Effekt: „Goldbach“ bekommt so etwas Kammerspielhaftes, die Enge der Gegend schnürt einem die Kehle zu. Und der zuckerbäckrige Schnee deckt eben alles zu, was oll und trostlos ist.
Schon allein dieses Setting sorgt dafür, dass dieser Tatort von Regisseur Robert Thalheim nicht wie ein Tatort wirkt. Sondern wie ein feines Spielfilmdrama. Und das ist ein Kompliment.
Schwarzwald-Tatort: „Goldbach“; So., 20.15 Uhr, ARD; R: Robert Thalheim; D: Eva Löbau, Hans-Jochen Wagner, Steffi Kühnert
Und dann kommen Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) dahergestapft. Der Tod des Mädchens stürzt nicht nur ihre Eltern (Godehard Giese und Victoria Mayer) in den Abgrund, sondern die kleine Hofgemeinschaft der drei Familien. Der Sohn der einen kommt wohlbehalten zurück, der der anderen bleibt verschwunden. Und dann hat einer der Väter wegen seiner Biathleterei auch noch einen Schrank voller Waffen.
Wie sich die Aggressionen, die Verdächtigungen so langsam Bahn brechen, wie sich aus den sechs Freunden Gruppen und Untergruppen bilden, ist umwerfend in Szene gesetzt.
Jede dieser Interaktionen hat ein Echo, ein Nachhall wie er auch in der phänomenal passenden Musik von Uwe Bossenz und Anton Feist steckt, die nach düsterer Keyboard-Orgel und vernebeltem Synthesizer klingt.
Ein altes neues Team
Dass dieser Auftakt so rundum gelungen ist, liegt auch daran, dass hier augenscheinlich die richtigen Menschen zusammengearbeitet haben. Man muss es so sagen: Löbau und Wagner sind ein Glücksgriff – und dass sie so beiläufig spielen dürfen, liegt auch an dem Beginn, den ihnen Drehbuchautor Bernd Lange verpassen durfte. Die beiden Kommissare sind, anders als so oft bei neuen Tatort-Duos, eben nicht neu. Dass sie seit Langem ein Team sind, aufeinander eingespielt, frotzelnd, verzeihend, gibt diesem „Tatort“ eine Lässigkeit, wie man sie lange nicht gesehen hat.
Wie sie den Kindern, den Verdächtigen gegenüber treten, wirkt wahrhaftig und echt, wie sie sich mit einem Blick über die Ermittlung verständigen auch. Sie wissen, wo der andere den Schnaps versteckt hat, in welcher Stimmung einer ins Alemannische rutscht, wann ein Augenrollen genügt, um die Alleingänge des anderen zu kommentieren. Gerade, wenn es darum geht, der korrekten Vorsitzenden Harms (Steffi Kühnert – die Rolle, die wohl eigentlich Harald Schmidt zugedacht war; gottlob kam es anders) entgegen zu treten.
Bernd Lange (er schrieb auch das Buch zu „Was bleibt“, oder ganz aktuell, mit Hans Christian Schmid zusammen die ARD-Miniserie „Das Verschwinden“) wie auch Regisseur Robert Thalheim („Eltern“) haben mit ihrem Schaffen immer und immer wieder bewiesen, dass ihnen das Kleine liegt: die Familie, das Dorf. Jener Mikrokosmos, in dem man aufeinander angewiesen ist. Und in dem kleinste Verschiebungen die größten Lawinen auslösen.
Auch innerhalb des „Tatort“-Kosmos dürfte mit diesen beiden neuen Kommissaren einiges ins Rutschen kommen. Der Sog der Freiburger ist enorm.
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