Schwarz-rote Migrationspolitik: Verschärfte Grenzkontrollen stoßen auf Kritk
Nach Dobrindts Ankündigung sind inzwischen stärkere Grenzkontrollen angelaufen. Die Kritik daran reißt nicht ab – auch aus den Nachbarländern.

Auch an den sächsischen, niedersächsischen und nordrhein-westfälischen Außengrenzen sind laut Bundespolizei zusätzliche Beamte im Einsatz. In Rheinland-Pfalz und im Saarland sollen die Kontrollen in Kürze anlaufen. Aus der demokratischen Opposition und dem Ausland kam Kritik an den strengeren Regeln.
Das Präsidium der Bundespolizei erklärte, „Maßnahmen zur temporären Kräfteintensivierung“ würden stetig geprüft und umgesetzt. Zu konkreten Einsatzstärken werde man sich nicht äußern.
Dobrindt hatte angekündigt, schärfer kontrollieren zu lassen. Wenige Stunden nach seinem Amtsantritt kündigte er an, künftig sollten auch Asylsuchende an der Grenze zurückgewiesen werden können. Dies soll allerdings nicht für Schwangere, Kinder und andere Angehörige vulnerabler Gruppen gelten.
Linke: Rechtsbruch mit Ansage
„Merz und Dobrindt haben angekündigt, europäisches Recht brechen zu wollen, und genau so wird es jetzt umgesetzt“, sagte die Linken-Abgeordnete Clara Bünger. Sie habe am Mittwoch an der deutsch-polnischen Grenze in Frankfurt Oder mit mehreren Personen gesprochen, die Asyl beantragen wollten und dennoch von der Bundespolizei zurückgewiesen wurden, berichtete sie. „Das ist Rechtsbruch mit Ansage“, sagte die fluchtpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag.
Deutschland schotte sich immer stärker ab – auf Kosten der Schutzsuchenden, die von immer mehr EU-Staaten wie „Feinde“ behandelt und in einen rechtlosen Zustand gedrängt würden, beklagte Bünger. „Die Intensivierung von Kontrollen und Zurückweisung zwingt Asylsuchende dazu, auf gefährlichere Fluchtrouten auszuweichen – mit potenziell tödlichen Folgen.“
Auch die Grünen-Politikerin Irene Mihalic hält die Maßnahmen nicht für rechtskonform. „Pauschale Zurückweisungen von Asylgesuchen an den Grenzen sind schlicht europarechtswidrig und stellen die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarländern grundsätzlich in Frage“, sagte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion im Bundestag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Grünen-Chefin Franziska Brantner kritisierte eine fehlende Zusammenarbeit mit den Nachbarländern. „In Zeiten, in denen wir mehr Europa brauchen, wir erinnern gerade diese Woche daran, aus welchen kriegerischen Zuständen wir in Europa kommen und wir zum Glück Frieden haben, ist es nicht akzeptabel, nicht besonders gut, wenn man nicht mit den Partnern gemeinsam handelt“, sagte sie im RTL/ntv-„Frühstart“.
Brandtner bemängelte zudem, dass die Beamten anderswo abgezogen würden. „Das sind die Hauptbahnhöfe, das ist der Flughafen, das sind Kriminalitätsschwerpunkte in diesem Land. Dort werden die fehlen. Also ein Weniger an Sicherheit an anderen Orten für ein Signal an der Grenze.“
Schweiz: Systematische Zurückweisungen verstoßen gegen Recht
Auch aus Polen, Österreich und der Schweiz kam Kritik. „Systematische Zurückweisungen an der Grenze verstoßen aus Sicht der Schweiz gegen geltendes Recht“, schrieb das Schweizer Justizministerium anschließend auf der Plattform X. Die Schweizer Behörden „prüfen gegebenenfalls Maßnahmen“.
Auch die Regierung in Österreich pocht auf die Einhaltung des geltenden EU-Rechts. „Wir gehen davon aus, dass sich deutsche Behörden bei allen Maßnahmen, die gesetzt werden, an die europäische Rechtsordnung hält“, betonte das Innenministerium in Wien. Generell begrüße Österreich aber die Bestrebungen Deutschlands im Kampf gegen die Schleppermafia und illegale Migration, hieß es. In der Vergangenheit hatte das Ministerium erklärt, dass Menschen, die einen Asylantrag stellen, nach geltendem EU-Recht nicht formlos an der Grenze abgewiesen werden dürfen.
Polens Regierungschef Donald Tusk hatte die Migrationspolitik der neuen Bundesregierung beim Antrittsbesuch von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) scharf kritisiert. „Deutschland wird in sein Gebiet lassen, wen es will. Polen wird nur in sein Gebiet lassen, wen es akzeptiert“, sagte Tusk am Mittwoch in Warschau. Es solle weder der Eindruck entstehen noch die Fakten geschaffen werden, dass irgendwer einschließlich Deutschlands bestimmte Gruppen von Migranten nach Polen schicke.
Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) hat versichert, dass Deutschland eine Verschärfung der Migrationspolitik nicht gegen den Willen des Nachbarlands Polen durchsetzen wird. „Das werden wir natürlich miteinander besprechen“, sagte Wadephul am Donnerstag im Deutschlandfunk. Deutschland werde hier wie von Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) angekündigt „Schritt für Schritt“ vorgehen. Schritte würden dabei „bewusst und auch bedacht“ gemacht und „immer in Abstimmung mit europäischen Freunden und Kollegen“.
CDU-Politiker schwärmt vom „ersten Schritt in der Migrationswende“
Die rechtliche Lage bei Zurückweisungen an der Grenze ist derzeit nicht eindeutig. Einige Experten lesen geltendes EU-Recht so, dass Zurückweisungen grundsätzlich nicht erlaubt sind. Dies hängt auch damit zusammen, dass Grenzkontrollen praktisch nicht exakt auf der Grenzlinie erfolgen, sondern oft etwas dahinter.
Die rechtsgestrickte Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) sieht hier indes Klarheit. Deutschland habe mit sämtlichen Anrainerstaaten sogenannte Rückübernahme-Vereinbarungen vertraglich geregelt, sagte der stellvertretende Vorsitzende Heiko Teggatz der Welt. Inhalt dieser Verträge sei auch, ab welchem Zeitpunkt eine Person als eingereist gilt. „Dieses ist erst dann der Fall, wenn die Einreisekontrolle abgeschlossen ist. Auf welchem Hoheitsgebiet die Kontrollstelle liegt, spielt dabei keine Rolle.“
Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Alexander Throm, verteidigte die Maßnahmen hingegen. Die Kontrollen würden schrittweise hochgefahren, es werde kein Nachbarstaat überfordert, sagte er im ARD-„Morgenmagazin“. Die Abstimmungsgespräche mit den Nachbarländern seien „am Laufen“, sagte Throm. „Es ist ein erster Schritt in der Migrationswende, ein wichtiger Schritt, aber mit Sicherheit nicht der alleinige, den wir jetzt angehen werden.“
CSU-Chef Markus Söder bezeichnete die neuen Regeln als Beginn einer „Asylwende“. „Seit gestern ist die Asylwende in Deutschland eingeleitet worden. Jetzt gilt wieder der alte Zustand, wie vor 2015“, sagte Bayerns Ministerpräsident in einem auf X geteilten Video.
SPD-Politiker verteidigt neue Flüchtlingspolitik
Die SPD steht nach Angaben des Parlamentarischen Geschäftsführers der Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, hinter der verschärften Asylpolitik. Die geplante Verstärkung der Bundespolizei durch Bereitschaftspolizei an den Grenzen sei „eine richtige Entscheidung“, sagte Wiese dem „Berlin Playbook Podcast“ des Nachrichtenportals Politico vom Donnerstag. „Wir haben da eine gute Grundlage im Koalitionsvertrag“, sagte Wiese, der die Arbeitsgruppe Innen und Migration für die SPD bei den Koalitionsverhandlungen leitete.
Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Sonja Eichwede rechnet nicht damit, dass die Bundespolizei im großen Stil Asylsuchende an Deutschlands Grenzen zurückweisen wird. Dobrindt habe nun zwar den Ermessensspielraum für die Beamten ausgeweitet, sagte die Innen- und Rechtsexpertin am Donnerstag im Deutschlandfunk. Die Zurückweisung bei Asylgesuchen bleibe jedoch „europarechtswidrig“ und könne nur „in Absprache mit den europäischen Partnern erfolgen“. Sie erwarte, dass sich „diesbezüglich erstmal nichts ändert – sonst wird es Gerichtsverfahren geben“.
Kurz vor dem Start der neuen Bundesregierung hatten sich zahlreiche Verbände und Organisationen – darunter der DGB, ProAsyl, der Paritätische Gesamtverband, der Deutsche Caritasverband, Brot für die Welt oder Misereor – eindringlich gegen weitere Verschärfungen der Asylpolitik gewendet. In ihrem Appell warnten sie Union und SPD davor, Asylbewerber an den Grenzen zurückzuweisen und Schutzsuchende in Krisenländer wie Syrien oder Afghanistan abzuschieben. Beides haben Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedrich Merz und sein Naziopa
Kann Merz als Bundeskanzler dazu weiter schweigen?
Neuer Innenminister will Pushbacks
Dobrindt lässt Asylsuchende zurückweisen
Dobrindt lässt Migranten zurückweisen
Die Ignoranz der Lehre vom 8. Mai
Kanzlerwahl von Friedrich Merz
Wer hat ihn verraten?
Sauerländer Friedrich Merz
Der Mann aus Arnsberg
Ende des Zweiten Weltkriegs in Russland
Im Zeichen roher Gewalt