Schwarz-Grün gegen Offenlegung: NSU-Akten bleiben verschlossen
Eine Petition fordert, die hessischen NSU-Unterlagen öffentlich zu machen. Doch die schwarz-grüne Landesregierung bleibt stur.
Für die Sitzungen des Petitionsausschuss gilt Vertraulichkeit, weil dort in der Regel persönliche Schicksale verhandelt werden. SPD, Linke und AfD haben nach taz-Informationen der Offenlegung zugestimmt, bei Enthaltung der FDP.
Damit ist die Petition Change.org/NSU-Akten, die bereits von mehr als 120.000 BürgerInnen unterschrieben wurde, im ersten Anlauf gescheitert. Enttäuscht zeigte sich Miki Lazar, einer der Initiatoren der Kampagne. Die Argumentation von CDU und Grünen, der Persönlichkeitsschutz für V-Leute und Beamte erfordere die Geheimhaltung der Akten, nennt Lazar „scheinheilig.“
Immerhin habe die Unterschriftenaktion erreicht, dass der Landtag nicht ohne öffentliche Debatte zur Tagesordnung übergehen könne, sagte Lazar. Ein Sprecher des Landtags bestätigte der taz, dass eine Landtagsdebatte zu diesem Thema auf der Tagesordnung der nächsten Plenarwoche steht.
Ursprüngliche Sperrfrist bis 2134
Bei den Akten geht es vor allem um ein 300 Seiten umfassendes Dossier, das der damalige hessische Innenminister Boris Rhein, CDU, 2012 in Auftrag gegeben hatte.
Die hessischen Behörden standen damals unter Druck. Nach der Selbstenttarnung des rechtsterroristischen NSU konnte der Mord an Halit Yozgat, der 2006 in seinem Kasseler Internet-Cafe erschossen worden war, den Rechtsterroristen zugeordnet werden. Unaufgeklärt blieb die Rolle des damaligen Verfassungsschutzmitarbeiters Andreas Temme, der ungefähr zur Tatzeit am Tatort gewesen war, sich aber bei der Polizei nicht einmal als Zeuge gemeldet hatte.
Nach und nach gelangten weitere Hinweise auf Versäumnisse und Vertuschung der Behörden an die Öffentlichkeit. Der damalige Innenminister Rhein wollte Klarheit, wenigstens intern. Er gab deshalb das Dossier in Auftrag.
Unter seinem Nachfolger, dem bis heute amtierenden Innenminister Peter Beuth, ebenfalls CDU, wurde der Bericht schließlich 2014 als Verschlusssache gesperrt, bis zum Jahr 2134. Die Geheimhaltungsfrist ist inzwischen aber auf 30 Jahre herabgesetzt.
Heftige Kritik an den Grünen
Dem Journalisten und Buchautor Martin Steinhagen ist das Dossier nach eigenen Angaben zugespielt worden. Nach seiner Bewertung enthält es zahlreiche Hinweise auf Defizite, Aktenschwund und versagende Frühwarnsysteme bei Verfassungsschutz und Polizei. Steinhagens Fazit: „Im Kern macht der Geheimbericht zweierlei deutlich: zum einen, wie viele Informationen dem hessischen Dienst vorlagen – über Terrorkonzepte, Bewaffnung, Untergrundbestrebungen -, und zum anderen, wie gefährlich fahrlässig damit umgegangen worden ist.“
Seit dem rechtsextremistisch motivierten Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und den rassistischen Mordanschlägen von Hanau fordern Opferfamilien und antifaschistische Aktionsbündnisse mit Nachdruck die Offenlegung der Akten. Vor allem von den Grünen, die in Hessen zusammen mit der CDU regieren, erwarten sie Unterstützung.
Der Intendant des Kasseler Staatstheaters, Thomas Bockelmann, der den Fall unter dem Titel „Der NSU-Prozess – Die Protokolle“ auf die Bühne brachte, hatte zuletzt an die Grünen appelliert. „Die Partei steht für den Kampf gegen Rechts, für Zivilcourage und gegen Ausgrenzung. Ihr Umgang mit der Petition befremdet mich. Was wäre, wenn die hessischen Grünen in der Opposition wären? Sie würden keine Sekunde zögern, für die Öffnung zu stimmen. Ihr Verhalten ist beschämend“, sagte Bockelmann der Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen HNA.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen