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Schwangerschaftsabbrüche§218 – Symbol gegen Selbstbestimmung

Eine Reform zur Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen scheiterte bisher im Bundestag. Ärz­t*in­nen und Ex­per­t*in­nen hoffen auf einen neuen Anlauf.

„Der §218, der den Schwangerschaftsabbruch regelt, sollte aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden“ Foto: Luna Afra Evans

Berlin taz | Kaum ein gesellschaftliches Thema ist so emotional aufgeladen, wie die Diskussion um die Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen. Stärkstes Symbol ist der §218. Auf der einen Seite stehen die, die den Paragraphen reformieren oder abschaffen wollen. Auf der anderen Seite argumentieren die, die ihn beibehalten oder verschärfen wollen.

Ein Schwangerschaftsabbruch ist ein medizinischer Eingriff, der vom Strafgesetzbuch geregelt wird. Ein Abbruch bleibt nur dann straffrei, wenn er bis zur 12. Schwangerschaftswoche erfolgt. Außerdem muss mindestens drei Tage vorher eine Beratung bei einer staatlich anerkannten Beratungsstelle besucht werden.

Aber: Ein Schwangerschaftsabbruch bleibt rechtswidrig, auch wenn er straffrei ist. Für Ärz­t*in­nen hat das eine stigmatisierende und abschreckende Wirkung, sagt Alicia Baier. Baier ist Ärztin in der Gynäkologie und Vorstandsmitglied bei „Doctors for Choice“. Dort engagieren sich Ärzt*innen, die selbst Schwangerschaftsabbrüche durchführen. „Jeder Fehler oder jede Unachtsamkeit im ganzen Prozess kann zu einer Haftstrafe führen“, sagt Baier. Das ist auch ein Grund, warum immer weniger Ärz­t*in­nen Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Dies führt laut Baier zu langen Wartezeiten und Fahrtwegen für die betroffenen Frauen.

Kostenübernahme auch bei Geringverdienerinneren

„Das aktuelle Gesetz bedeutet, dass Menschen, die einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen, viele Hürden haben“, erklärt Gesa Bochen, Fachleitung für Familienplanung bei pro familia Niedersachsen. Ein Beispiel sei der Antrag auf Kostenübernahme, für die es eine scharfe Einkommensgrenze gebe. „Wenn man 1500 netto verdient, dann muss man den Abbruch selbst zahlen“, erklärt Baier. Ein Abbruch kostet je nach Methode zwischen 300 und 600 Euro.

Panterjugend zur Bundestagswahl 2025

Dieser Text ist Teil des Projekts taz Panterjugend: 26 junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren, Nachwuchs-journalist:innen, -illustrator:innen und -fotograf:innen, kommen im Januar 2025 zu digitalen Seminaren zusammen und im Februar zu einer Projektwoche in die taz nach Berlin. Gemeinsam entwickeln sie zur Bundestagswahl Sonderseiten für die taz – ein Projekt der taz Panter Stiftung.

Die einzelnen Schritte bis zum Abbruch seien zeitlich und emotional anstrengend, erklärt Bochen. „Durch die Verpflichtung zur Beratung entsteht auch häufig das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, warum ein Schwangerschaftsabbruch in Erwägung gezogen wird“, fasst Bochen die Situation zusammen. Die Pflichtberatung und die Wartefrist haben auch Auswirkungen auf die Methode der Abtreibung. So kann beispielsweise nur bis zur neunten Woche ein medikamentöser Abbruch durchgeführt werden. Dieser zeitliche Druck würde laut Bochen zu einer zusätzlichen Belastung führen.

Für Bochen soll die Beratung ein freiwilliges Angebot sein. Von dem Pflichtgespräch hält sie nichts. „Die Mehrheit der Personen, die in die Beratung kommen haben ihre Entscheidung für den Schwangerschaftsabbruch bereits getroffen“, sagt Bochen. Deshalb würden einige die Beratung nur noch für den Schein in Anspruch nehmen.

Alexandra Linder, Vorsitzende vom Bundesverband Lebensrecht weist auf den Druck auf die Schwangeren aus deren Umfeld hin. Der Bundesverband ist der Dachverband von 15 Lebensrechtsorganisationen in Deutschland. Seit Jahrzehnten hat die Einrichtung eigene Beratungsstellen. „Wir treten für das Recht jedes Menschen auf Leben ein“, sagt Linder. Aus ihrer Sicht gibt es zu viele Abtreibungen in Deutschland und viel zu wenig Hilfe und Unterstützung von staatlicher Seite und auch auf Beratungsebene.

Jeder Fehler oder jede Unachtsamkeit im ganzen Prozess kann zu einer Haftstrafe führen

Alicia Baier, Ärztin

Dabei ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in den vergangenen rund 25 Jahren gesunken. Laut Statistischem Bundesamt wurden 2023 in Deutschland 106.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. 2001 waren es noch knapp 135.000 Schwangerschaftsabbrüche.

Legalisierung vs keine Legalisierung

Linder vom Bundesverband Lebensrecht hofft darauf, dass es in der kommenden Legislatur keinen Antrag auf Legalisierung von Abtreibungen geben wird. Ein entsprechender Antrag in der vergangenen Legislatur scheiterte an CDU und FDP im Rechtsausschuss. So war es der scheidenden und verbleibenden rot-grünen Regierung nicht mehr möglich, eine Reform anzustoßen.

Wenig überraschend setzen die Ärztin in der Gynäkologie Baier und profamilia-Vertreterin Bochen einen weiteren Vorstoß, sobald das neue Parlament steht. Beide fordern eine vollständige Legalisierung. „Der §218, der den Schwangerschaftsabbruch regelt, sollte aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden“, so Bochen. Und es braucht mehr Unterstützung für betroffene Frauen. Zum Beispiel ein Recht auf ein freiwilliges Beratungsangebot, dass die Beratungspflicht ersetzen sollte.

Die „Doctors for Choice“ fordern ebenfalls eine vollständige Legalisierung. „Die Entkriminalisierung alleine reicht nicht, sondern wir brauchen dringend weitere politische Maßnahmen“, so Baier. Darunter fallen auch eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse oder die verpflichtende Lehre von Schwangerschaftsabbrüchen im Medizinstudium.

Nach der Bundestagswahl wird vermutlich die CDU stärkste Kraft im Bundestag sein. Aber unter einer CDU-Regierung wird es wohl nicht zu einer Verbesserung der Situation für ungewollt Schwangere kommen. „Wir werden auch von der nächsten Regierung die politische Verantwortung einfordern, die Situation für ungewollt Schwangere zu verbessern“, sagt Baier. Gesa Bochen setzt auf das Engagement von Politik, Fachleuten und Ak­ti­vis­t:in­nen für reproduktive und sexuelle Rechte. „Die Hoffnung bleibt, dass die Leute nicht müde werden, dranbleiben und solidarisch miteinander sind.“

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5 Kommentare

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  • 1. Niemand darf zum Dienst an der Waffe verpflichtet werden. Was für Kriegsdienstverweigerer gilt, muss auch für Ärzte gelten, die keine Abtreibungen durchführen wollen. Schon deshalb muss eine Pflichschulung im Studium unterbleiben. Sonst sind wir ganz schnell wieder bei Berufsverbot für Mediziner.

    • @Christoph Strebel:

      Der operative Schwangerschaftsabbruch muss natürlich gelehrt und gelernt werden.



      Erstens ist er in Notfällen nötig, um das Leben der Mutter zu retten (bei Sepsis, toter Fötus, etc.).



      Zweitens gehören die operativen Techniken zu den gynäkologischen Basics, schließlich ist die Curettage der Gebärmutterschleimhaut auch bei anderen Indikationen (Myom, Fehlgeburt etc.) nötig. Gynäkologen/innen müssen sie beherrschen.



      Drittens: Hat man eventuell seinen Beruf verfehlt, wenn man das Selbstbestimmungsrecht einer Frau als Gynäkologe nicht achten kann und einen religiöse Überzeugungen die medizinische Studienlage leugnen lassen. Wo soll das aufhören? Gynäkologen, die die Basics der Verhütung mit Hormonen oder Spirale nicht lernen wollen, weil für sie aus religiöser Überzeugung höchstens die NFP in Frage kommt?

  • "Aber: Ein Schwangerschaftsabbruch bleibt rechtswidrig, auch wenn er straffrei ist."

    Diese Aussage ist schlichtweg falsch.



    Laut Paragraph 218a StGB ist der Tatbestand unter bestimmten Bedingungen nicht erfüllt. Ohne Tatbestand keine Rechtswidrigkeit.

    • @DiMa:

      ""Aber: Ein Schwangerschaftsabbruch bleibt rechtswidrig, auch wenn er straffrei ist."



      Diese Aussage ist schlichtweg falsch."



      Hört sich aber in der öffentlich Debatte viel besser an. Zerstören Sie doch nicht das Narrativ durch Fakten.

  • Sie hätten die ELSA Studie noch anführen sollen.



    www.tagesschau.de/...he-studie-100.html