Schwächen des Bildungssystems: Sei dankbar, Migrant!
Ich habe mich lange mit der Benachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund im Bildungswesen beschäftigt. Viele sind zum Scheitern verurteilt.
I ch habe ein Buch geschrieben – „Generation haram“. Ein Buch darüber, wie Kinder mit Migrationshintergrund und Arbeiterkinder im Bildungssystem zum Scheitern verurteilt sind. Gewisse Schultypen sind für sie nicht vorgesehen, sie werden anders bewertet, schaffen den Bildungsaufstieg seltener und flüchten sich deshalb in veraltete Rollenbilder und bestätigen Stereotype.
Schule erwartet, dass die Mama zu Hause bei den Schulaufgaben hilft. Eltern mit Migrationshintergrund und wenig Geld haben aber oft zu schlechte Deutschkenntnisse dafür und können sich keine Nachhilfe leisten. Dazu kommt die individuelle Komponente, wenn etwa Lehrer und Mitschülerinnen Kinder aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder Hautfarbe anders behandeln.
Das habe ich als Schülerin mit Migrationshintergrund, als Schulprojektleiterin, als Journalistin und als Lehrerin beobachtet. Seit ich Anfang 20 bin, arbeite ich mit Jugendlichen, ich habe Lehramt studiert, drei Jahre lang mit über 500 Schülerinnen gearbeitet und vergangenes Jahr schließlich ein Jahr lang Deutsch und Psychologie und Philosophie unterrichtet und jetzt dieses Buch geschrieben. Anstatt mir zuzuhören, spricht mir ein Teil der Mehrheitsgesellschaft als Reaktion auf das Buch meine Expertise ab.
Wir reden mit
„Die Erkurtsche Weinereimasche. Ich war 40 Jahre AHS-Lehrer (nicht bloß ein Jahr). Meine letzte Klasse als KV zeichnete sich durch 12 versch. Sprachen aus; dennoch haben die meisten, die aus einfachen Familien kamen, maturiert. Warum? Weil die Eltern Bildung für wichtig erachten“, ist nur einer der unzähligen Foren- und FB-Kommentare zu meinem Buch.
Ich bin jetzt 29, entschuldigen Sie bitte vielmals, Herr Oberstudienrat, dass ich nicht schon nach der Volksschule angefangen habe zu arbeiten. Mehr Erfahrung hätte ich in meinem Alter unmöglich sammeln können.
Aber darum geht es Ihnen gar nicht. Migrant*innen werden noch immer höchstens als Islam-Expert*innen akzeptiert, aber auch da nur, wenn sie einseitig über den radikalen Islam berichten. Eine Migrantin, die erklärt, was in der Bildungspolitik falsch läuft und den Fokus weg von den Migrantenkindern und Muslimen lenkt – die darf nicht den Diskurs bestimmen, die will man nicht mitreden lassen.
Der Soziologe Aladin El-Mafaalani beschreibt das in seinem Buch „Das Integrationsparadox“ sehr gut: Migrantinnen und Migranten wollen plötzlich auch ihren Platz am Tisch. Es reicht ihnen nicht, Bauarbeiter und Putzkraft zu sein, sie wollen jetzt mitreden. Ich merke, dass die Mehrheitsgesellschaft ganz verwundert ist, dass ich Teilhabe einfordere. Die häufigste Reaktion ist: Du sei in erster Linie einmal dankbar. Einige wenige von uns haben einen Platz am Tisch ergattert, dazu zähle ich mich auch. Wir werden jetzt ins Haubenrestaurant gelassen, bekommen aber den Platz beim WC.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen