Schwaches EU-Renaturierungsgesetz: Zu wenig, zu spät
„Hauptsache, es gibt eine Einigung“ reicht nicht. Europas Gesetz zur Wiederherstellung der Natur wird die ökologische Krise kaum beenden können.
E s lässt tief blicken, dass schon die bloße Einigung der Europäischen Union für ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur als Erfolg gilt. Hauptsache, Kommission, Rat und Parlament konnten sich überhaupt auf einen Text einigen, egal, wie schwach er ist, möchte man angesichts der Versuche der Konservativen seufzen, das Gesetz ganz zu schleifen.
Das offenbart den Zustand der Institutionen und vor allem den des Parlaments. Der Green Deal für Klimaschutz, für Biodiversität und für Gesundheit, mit dem die EU die Lebensgrundlagen des Kontinents schützen wollte, erscheint mehr und mehr als Echo einer Zeit, in der einmal viel möglich schien. In der Gedanke aufkeimte, dass die ökologische Krise unserer Zeit kein Nischenthema für Grüne ist, sondern eine Bedrohung für alle.
Dieser Gedanke ist zwar in der Welt – durchsetzen und wirksam werden konnte er beim Renaturierungsgesetz offensichtlich nicht. Die wesentlichen Maßnahmen, um die Natur wirklich wieder herzustellen sind hier so schwammig formuliert und mit Ausnahmen versehen, dass die Mitgliedsstaaten sie leicht umgehen können.
Außerdem sind umkämpfte Vorgaben – etwa die Wiedervernässung von Mooren – in die weite Ferne verschoben. Sich irgendetwas vorzunehmen, das die Nachfolger der Nachfolgerinnen der Verantwortlichen irgendwann einmal umsetzen müssen, ist immer einfach. Doch Konflikte und Interessengegensätze verschwinden nicht, nur weil ihre Lösung in die Zukunft verschoben wird.
Die Treibhausgase zählen, nicht die guten Absichten
Und auch die ökologischen Krisen warten nicht, im Gegenteil. Das Klima wird nicht durch Absichtserklärungen oder die Aussicht auf Innovationen beeinflusst. Sondern einzig dadurch, welche Mengen von Treibhausgasen wir in die Atmosphäre entlassen. Und mit Torfmoosen, Insekten und Krill lässt sich nicht diskutieren: „Haltet durch, begnügt euch mal ein paar Jahrzehnte mit ungeeigneten Lebensräumen, wir kriegen unsere Agrar- und Fischereipolitik gerade nicht anders geregelt.“
Bleibt die Erkenntnis: Die EU fällt anscheinend als bisher eher verlässlicher politischer Verbündeter für eine sozial-ökologische Transformation aus. Schon jetzt können sich vernünftige, progressive Kräfte gegen Rechtsextreme und Konservative, die mit ihnen gemeinsame Sache machen, nur noch mit Mühe durchsetzen. Sollten sich die Kräfteverhältnisse im nächsten Jahr weiter verschieben, wird vom Green Deal nicht mehr viel übrig bleiben.
Dann bleibt die Konzentration aufs Kommunale. Vor Ort wird Verkehrspolitik gemacht, werden Bebauungspläne aufgestellt, fragen Schulen oder Ämter mit ihren Kantinen als Großverbraucher Lebensmittel nach. Dort lässt sich konkret Natur schützen und Landnutzung verändern. Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur hatte das nur zum Ziel. Was es dazu anbietet, ist zu wenig und es kommt zu spät.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland