Schutz für Getreidetransporte: Vom Roten zum Schwarzen Meer
Militärischer Schutz für Handelsschiffe ist undenkbar? Nur wenn man sich von der Idee, dass konzertiertes Handeln dem Frieden dient, verabschiedet.
V or fast fünfzehn Jahren wagte Europa einen beispiellosen Schritt. Um „Schutz für vom UN-Welternährungsprogramm (WFP) gecharterte Schiffe“ zu gewährleisten, „Schutz für Handelsschiffe im Operationsgebiet“ sowie „Beobachtung von Küstengebieten, von denen Gefahren für den Schiffsverkehr ausgehen“, gründete die EU Ende 2008 ihre Marinemission Eunavfor Atalanta.
Zusammen mit ähnlichen Marinemissionen etwa der Nato und asiatischen Ländern und abgesichert durch eine Reihe von UN-Resolutionen taten sich Marinekräfte aus aller Welt zusammen, um die damals größte Bedrohung des maritimen Welthandels einzudämmen: Piraterie aus Somalia, die die wichtigste Welthandelsroute zwischen Europa und Asien unsicher machte. Auch Deutschland nahm jahrelang teil. An der internationalen Koalition Combined Maritime Forces unter US-Kommando, von der Atalanta einen Bestandteil bildet, waren zeitweise sogar Russland und die Ukraine beteiligt.
Heute gibt es wieder eine massive Bedrohung des maritimen Welthandels: Russland, das durch Beschuss ukrainischer Häfen und Angriffsdrohungen im Schwarzen Meer eine der wichtigsten Routen des globalen Getreidehandels unpassierbar macht. Wieder sind Lebensmittelschiffe des WFP betroffen, wieder bräuchten Handelsschiffe militärischen Geleitschutz, um sicher ihre Fracht zu laden und ihre Ziele anzusteuern. Die Türkei hat einen entsprechenden Vorstoß gemacht, eine breitere Debatte ist überfällig.
Die EU-Mission Atalanta gibt es bis heute, die Combined Maritime Forces ebenfalls. Im Dezember 2022 wurde Atalanta für weitere zwei Jahre verlängert, vorige Woche ging das Kommando von Spanien auf Italien über. Ihr Einsatzgebiet reicht vom Suezkanal im Norden bis Madagaskar im Süden und schließt große Teile des westlichen Indischen Ozeans mit ein. Zuletzt half sie unter anderem bei Evakuierungen aus Sudan.
Das Überleben der Welt
WFP-Schiffe mit Getreide aus der Ukraine, die in Dschibuti oder Kenia Hungerhilfe für Afrika abladen, stehen damit unter internationalem Schutz. Es gibt sie, die internationale Sicherheitsarchitektur für den maritimen Welthandel. Man müsste sie nur ausweiten: von Afrika auf Europa, vom Roten ins Schwarze Meer, vom Schutz vor Somalias Piraten zum Schutz vor Russlands Kriegsmarine.
Undenkbar? Nur wenn man sich von der Idee, konzertiertes multilaterales Handeln könne zum Frieden beitragen, komplett verabschiedet. Von dieser Idee hängt in Zeiten des russischen Krieges gegen die Ukraine nicht nur das Überleben der Ukraine ab – sondern durch den russischen Krieg gegen den globalen Lebensmittelhandel das Überleben der Welt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
Die Linke im Bundestagswahlkampf
Kleine Partei, großer Anspruch
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?