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Endlich im Wald. Der Lehrer wird bald vergessen Foto: Veit Mette

Schulunterricht im WaldStets gut durchgelüftet

Mia, Finn und Co. strolchen herum. An der Bielefelder Laborschule zählen Bäume zum Programm – und das ganz ohne Naturkunde­unterricht. Ein Waldbesuch.

Von Ulrike Fokken aus Bielefeld

M it einem Baumstumpf, mehr Keule als Natur, knüppelt Leon auf die losen Bretter einer Europalette im Wald. Finn will auch mal, übernimmt die Keule, schwingt sie über die Schulter, kracht das schwere Holz auf die Palette, wieder und wieder, bis die wackeligen Bretter bersten und zu Boden fallen. „Wir machen damit auch Wut weg“, ruft Leon seiner Lehrerin Lisa Ahlert zu, eine Erkenntnis aus dem Spiel mit Keule und Holz. Leon hatte die Idee, die alte Palette auf Ästen zwischen zwei Sandhügel zu legen, wie eine Brücke, und dann die losen Bretter herauszuhauen. Aus Sicherheit, damit niemand einstürzt, wenn er und die anderen Kinder darüberlaufen, erklärt er mit roten Wangen vom Laufen und vom Draußensein.

Am Morgen noch, zu Schulbeginn, hatte Leon ein Gefühl. Er konnte es nicht benennen, aber es hielt ihn davon ab, in die Laborschule Bielefeld zu gehen und sich wie die anderen Kinder seiner Gruppe auf grüne Meditationskissen auf den Boden zu setzen und gemeinsam den Tag mit einer Rederunde zu beginnen. Mit sanften Worten haben Lisa Ahlert und Naturpädagoge Jess Rehr ihn schließlich überzeugt, doch erst einmal hereinzukommen in die Gruppe. „So dick“ sei Leons Akte, sagt Rehr und zeigt mit Daumen und Zeigefinger einen Stapel Papiere an.

Im Kreis der Kinder schweigt Leon. Emma erzählt vom Laternenumzug am Abend, Eylül hat eine umfangreiche Sache von vielen Dingen zu erzählen, Finn findet es gut, dass er in den Ferien einen Skikurs macht. Und dann geht es los.

Anoraks und Stiefel an, Rucksack auf, Frühstücksdosen nicht vergessen. „Wo ist die Sonne?“, fragt Jess Rehr vor dem Schulgebäude, und alle Kinder gucken in einen undurchdringlichen Winterhimmel. „Da!“, rufen Mia, Azra, Finn, Lina, Bohdan mit nach Osten gereckten Zeigefingern. „Und wie wird das Wetter?“, will Rehr von den Fünf-, Sechs-, Siebenjährigen wissen. „Es regnet ein bisschen“, weiß Mia und drückt ihr Kuscheltier fester.

Stundenlang im Wald – während der Schulzeit

Jede Woche gehen die Kinder während der Schulzeit stundenlang in den Wald, manchmal an mehreren Tagen, immer ohne Plan und ohne Aufgabe. Einige strolchen durch die Büsche, andere rennen durch die Senken, der eine findet eine Feder, die andere entdeckt eine Schnecke, eine sitzt nur mal ganz ruhig auf dem Boden. „Ich habe keine Ahnung, was passiert“, sagt Jess Rehr, mit einem Doktor in Erziehungswissenschaften und einem Master in Abenteuer- und Erlebnispädagogik. Der Wald selbst, die Natur inspiriere die Kinder, zu machen, was sie wollen, und ihrer Neugierde zu folgen. Und deswegen etwas zu lernen.

Aber nicht unbedingt über die Buchen und Rotkehlchen. Wobei Azra im November begeistert von den Kaulquappen und deren Entwicklung zu Fröschen im Sommer erzählt, was sie in einem Tümpel beobachtet hat. Doch in den Wald-und-Wiesen-Zeiten geht es nicht darum, dass die Schüler ihre Biologiekenntnisse vertiefen. Sie sind draußen, um später in der Schule besser zu lernen, was in Mathe oder Deutsch auf dem Lehrplan steht.

Kinder machen eine Naturerfahrung und können danach besser lesen und schreiben

Ulrich Gebhard, Erziehungswissenschaftler

„Eine paradoxe These: Kinder machen eine Naturerfahrung, und danach können alle besser lesen und schreiben“, sagt Ulrich Gebhard, Professor am Institut für Erziehungswissenschaften an der Universität Bielefeld. „Es geht nicht darum, mit Tannenzapfen zu rechnen“, sagt er bei einem Treffen mit seiner Forschungsgruppe im Besprechungszimmer des Oberstufenkollegs. Das gehört zusammen mit der Laborschule zur Universität Bielefeld. „Wir gehen raus und das Lernen ereignet sich“, erklärt Gebhard, der seit Jahrzehnten die Bedeutung der Natur für die psychische und soziale Entwicklung von Kindern erforscht. „Kinder brauchen Natur“, fasst er die Erkenntnisse in seinem wissenschaftlichen Klassiker „Kind und Natur“ zusammen.

Im Wald, am Flussufer, im Unterholz eines wilden Gartens finden Kinder eine vertraute, wenngleich ständig sich wandelnde Umgebung, erfahren also ein Gefühl von Sicherheit und anregendem Wechsel, lässt sich Gebhards Forschung erklären. Natur kann erfreuen und verstören, bietet also die Irritationen und damit die besten Voraussetzungen für sinnliche Erfahrungen, die das Lernen neuer Dinge ermöglichen.

Händchenhalten ist nicht angesagt Foto: Veit Mette

Gebhard und seine „paradoxe These“ findet die Universität Bielefeld so wichtig, dass sie eine Professur für ihn zur Erforschung eingerichtet hat. Mit Jess Rehr und der naturpädagogischen Beauftragten der Laborschule, Ulrike Quartier, dem Leiter des Oberstufenkollegs, Ian Voß, und weiteren Pädagogen und Lehrenden der beiden Versuchsschulen will Gebhard die These wissenschaftlich belegen: Kinder lernen besser, wenn sie regelmäßig im Wald und in der Natur machen können, was ihnen in den Sinn kommt.

Das klingt wie magisches Denken, ein wenig wie die Versprechen der Homöopathie. Etwas, das nicht da ist, hilft. Allerdings haben Wis­sen­schaft­le­r:in­nen in Japan, den USA, Österreich und anderen westlichen Ländern die gesundheitlichen Auswirkungen der Natur auf den Menschen bewiesen. Der Pegel der Stresshormone sinkt, Aufenthalte in der Natur senken das Risiko von Dia­betes, Herz-Kreislauf-Krankheiten und psychischen Schäden. Insbesondere der Wald wirkt auf Körper und Seele, was die Gesundheitsbranche zunächst in Japan und seit einigen Jahren auch hierzulande zum Waldbaden inspirierte.

Draußen lernen als pädagogisches Konzept

Vorbild Finnland Den Unterricht über Bienen und Blütenpflanzen im Frühjahr nach draußen zu verlegen leuchtet ein. Aber Mathematik im Wald? Finnland zeigt, wie Kinder und Jugendliche in der Natur und von der Natur lernen, anstatt nur im Klassenzimmer zu sitzen. Ein Teil des Unterrichts findet nach dem dortigen Bildungsplan fächerübergreifend draußen statt.

Ein Thema, viele Fächer Die Schüler:innen beschäftigen sich dabei mit einem Thema und lernen gleichzeitig in Mathematik, Biologie, Kunst, Sozialkunde oder anderen Fächern. Sie vermessen also zum Beispiel einen Baum, berechnen dessen Höhe und Durchmesser, beobachten Springschwänze und andere Bodenlebewesen rund um den Baum und beschäftigen sich mit dem Baum in der Kunst. Damit lernen sie den Baum als Wirtschaftsfaktor, als menschlichen Bezugspunkt und als Teil eines Ökosystems kennen.

Draußen ist nicht nur Wald Auch in der Schweiz, Norwegen, Schottland und Dänemark findet ein beachtlicher Teil des Unterrichts draußen statt. In Deutschland forschen Wissenschaftler noch, wie sich der Draußenunterricht auf die Entwicklung der Kinder auswirkt. „Draußen“ kann dabei auch einen Gemüsemarkt oder eine stillgelegte Industrieanlage bedeuten. „Draußenunterricht ist sinnvoll, denn Gestaltungsmöglichkeiten und Handlungsfolgenabschätzung im lokalen und globalen Maßstab sind im Klassenzimmer sprichwörtlich begrenzt“, schreiben der Pädagoge Jakob von Au und der Erziehungswissenschaftler Ulrich Gebhard.

Draußen ist Trend Knapp 90 Schulen verlagern hierzulande einen Teil des Unterrichts nach draußen, wie eine Deutschlandkarte auf www.draussenunterricht.de zeigt. Entscheidend sei dabei, dass die Lehrer:innen den Lehrplan in Wald und Wiese umsetzen – und die Schüler:innen nicht einfach nur toben und spielen.

Draußen lehren Auch Lehrerinnen und Lehrer müssen erst einmal selbst lernen, wie sie im Wald lehren. Mit Wissenschaftlern der TU München hat Jakob von Au eine „Praxishandreichung zum Draußenunterricht“ geschrieben, die hier kostenlos heruntergeladen werden kann: https://www.researchgate.net/publication/344688787_Praxishinweise_fur_den_Draussenunterricht_-_Eine_Handreichung (taz)

Die internationalen Studien zeigen auch, dass Menschen in der Natur die Umgebung finden, die sie besonders aufnahmefähig macht. Beim Stromern unter Bäumen entspannt der für Konzentration und Planung zuständige Teil des Gehirns, und die Aufmerksamkeit belebt sich. Aber warum sollten Kinder die Regeln der wörtlichen Rede besser verstehen oder Punkt-vor-Strich-Rechnungen begreifen, nur weil sie in einen Teil der Schulstunden im Wald ihr Ding gemacht haben?

Wie Kinder sich freischwimmen

„Ich habe viele Kinder erlebt, die sich draußen freigeschwommen haben“, sagt Ulrich Bosse, der von 1982 bis 2017 an der Laborschule als Lehrer und lange Jahre auch als Leiter der Primarstufe tätig war und nun mit Gebhards Forschungsgruppe arbeitet. Ängstliche Kinder konnten Vertrauen entwickeln, hibbelige Kinder waren nach der Naturzeit ruhiger, erzählt er. „Draußen gab es nie eine Stigmatisierung der anderen“, erzählt Bosse.

Spaß haben Foto: Veit Mette

Einzelgänger habe es immer gegeben, aber keine Ausgrenzung. Neben den sozialen und psychischen Wirkungen der Natur wecke die Naturerfahrung das Interesse der Kinder an der Umwelt. „Die Kinder kommen mit Fragen aus der Natur in die Schule“, erzählt Bosse. Die Naturerfahrungen unterstützen manche Kinder beim Lernen in der Schule und helfen ihnen auch, ein Abschlusszeugnis zu erreichen.

Bosse will wissenschaftlich belegen, was er und Oberstufenleiter Ian Voß bei den Kindern und Jugendlichen bis hin zum Abitur beobachten. „Wenn es uns gelingt, müsste es eigentlich Strukturveränderungen geben“, sagt Bosse. Andere Schulen könnten das Konzept von Freiheit und Selbstbestimmung in der Natur übernehmen, wenn Gebhard und die Lehrenden von Laborschule und Oberstufenkolleg wissenschaftlich nachvollziehbar belegen, was sich unlogisch anhört.

Ihre These klingt paradox und gefährdet das Schulsystem. Denn die These kratzt gleichermaßen an der Autorität von Lehrerinnen und Lehrern und dem System Schule. Und wenn Natur das Lernen beflügelt und Kinder nur in der Natur die für ihr geistiges Wachstum notwendige Umgebung finden, wäre diese Natur ein anerkannter Bildungsraum. Dann müsste sie in Deutschland in anderen Dimensionen erhalten und wiederhergestellt werden. Denn ohne Wald und wilden Fluss keine Bildung, ohne Naturerfahrung keine Lernfortschritte.

Aus Erfahrung lernen

Aus Erfahrungen lernen, nicht aus Belehrung, war von Beginn an das Ziel der Lehrerinnen und Lehrer an der Laborschule Bielefeld. 1974 eröffnete das Land Nordrhein-Westfalen die Versuchsschule aus Laborschule von der Vorschule bis zur zehnten Klasse und dem nebenan gebauten Oberstufenkolleg.

In dem schulischen Labor sollten die Leh­re­r:in­nen neue Wege in der Schulbildung ausprobieren und pädagogische Konzepte auch für andere Schulen entwickeln. Keine Klassen und keine Klassenräume zwängen die Kinder in ein schulisches Korsett. Sie lernen in Altersgruppen, sind von fünf bis acht Jahren in einer Gruppe, von acht bis zehn Jahren in der nächsten Stufe und lernen bis in die zehnte Klasse oder bis zum Abitur miteinander und voneinander in selbst gewählten Lerngruppen. Die Kinder forschen, probieren, scheitern, erkennen in ihrem Tempo die Themen, die auch an der Laborschule und im weiterführenden Oberstufenkolleg der Lehrplan vorgibt.

Merken, was man kann Foto: Veit Mette

Die Lehrer geben keine Noten, sondern bewerten, wie sich die Kinder verhalten und ob sie das Lernziel erreichen. Doch ob die Schülerinnen und Schüler dabei am Tisch sitzen oder darunter, spielt keine Rolle. Die Schulgebäude bestehen aus offenen Ebenen und Galerien, über Brücken und Treppen verbunden. Orangefarbene Heizkörper, Wände aus Glasbausteinen und die durch das Gebäude laufenden Fallrohre verraten noch heute den reformerischen Geist der 1970er Jahre. Der Raum der Schule sollte offen, klar, hell sein, damit sich freie Geister entfalten können.

„Die Kinder haben die Illusion, unbeaufsichtigt zu sein“, sagt Jess Rehr in brauner Fleecejacke, grünem Anorak und olivgrüner Baggyhose unter den Buchen in einem Wald nahe der Laborschule. Rehr unterstützt die Schulgruppen, die Lehrer und Pädagoginnen bei ihren Streifzügen in der Natur und bildet mit Ulrike Quartier die Lehrenden an Laborschule und Oberstufenkolleg in der Naturpädagogik fort. Gemeinsam arbeiten sie daran, dass Naturerfahrungen in jeder Altersstufe den Lehrplan ergänzen. „Erwachsene brauchen eigentlich nur die Gelassenheit, die Zeit in der Natur ohne Thema oder Vorbereitung auszuhalten und sie wertschätzen zu können“, sagt Ulrike Quartier, die die naturpädagogischen Konzepte an der Laborschule entwickelt hat. Für Oberstufenkolleg und Laborschule baut sie seit 2017 im Auftrag des Düsseldorfer Jugendhilfevereins Phöinix die Naturerfahrung an beiden Versuchsschulen auf, damit auch Kinder und Jugendliche aus naturfernen Elternhäusern raus in den Wald und den Wind kommen.

Mittlerweile hat Quartier einen 6.000 Quadratmeter, ehemals vollkommen verwilderten Schulgarten im Wald mit den Schülerinnen und Schülern natürlich aufgebaut. Zwergmäuse bauen dort ihre Nester zwischen Schilfhalmen, Rehe ruhen sich aus, Füchse laufen durch die wilden Karden. Für die angehenden Abiturient:innen, die an der Versuchsschule Kol­le­gia­t:in­nen heißen, entwirft Quartier Jahr für Jahr Projektwochen im Schulgarten. Die Jugendlichen bauen dann ein Gewächshaus. Oder lernen Spuren und Zeichen der Tiere und damit die Bewohner des Naturgartens kennen.

Erlebt man Quartier oder Rehr im Wald, könnte man vom bloßen Zuschauen den Eindruck bekommen, sie machten nichts. Sie lenken nicht, erweitern aber die Aufmerksamkeit der Kinder, wenn die sich für eine Feder, den Ruf eines Vogels, die Raupe auf einem Blatt interessieren. Rehr hat von einer Kuppe im Wald aus Leon, Finn, Emma, Eylül, Bohdan und die anderen Kinder im Blick, auch wenn er nicht weiß, was einige von ihnen fast außer Hörweite und von Sträuchern verdeckt gerade treiben.

Das Spiel mit der Keule beobachtet Rehr erst aus der Ferne, geht dann hinüber und weist Finn, Leon und die anderen nur einmal kurz und bestimmt auf die Nägel hin, die aus den Brettern ragen. „Ihr achtet auf die hier, ja?“, sagt Rehr, zeigt auf jeden einzelnen der Nägel mit dem Finger und tritt wieder in den Hintergrund.

Mit natürlicher Intelligenz unterwegs

„Es geht darum, dass die Kinder sich mit natürlicher Intelligenz in der Welt bewegen“, sagt Rehr. Das beginnt schon auf dem Weg von der Schule zum Wald. Die Kinder, irgendwo zwischen fünf und sieben Jahre alt, gehen nicht Hand in Hand entlang der zweispurigen Schnellstraße, über eine Brücke, durch das Uni-Gelände und einen Park. Alle rennen oder bummeln, bleiben stehen, ­gehen zu dritt oder allein, manche mit gesenktem Kopf und in Gedanken versunken.

Sie bewegen sich in ihrem Rhythmus, warten alle paar hundert Meter an einer Bank, das nächste Mal an kindsgroßen Findlingen, dann an einem trockengelegten Springbrunnen, zählen durch, rennen oder trödeln weiter, bis sie den Waldrand erreichen und in den hohen Hallen des Buchenwaldes ihre Jacken von sich werfen, gerade so, als wären sie zu Hause angekommen.

Für die Naturbildungs-Forschungsgruppe hat Ulrich Bosse die Eltern von 180 Kindern der Laborschule nach ihren Erfahrungen mit der Naturzeit ihrer Töchter und Söhne befragt. Die Eltern beschreiben ihre Kinder als ausgeglichen, weniger hibbelig, entspannt, müde an den Tagen, an denen sie während der Unterrichtszeit draußen waren, sagt Bosse. 89 Prozent der befragten Eltern sehen die Draußenzeit als „eher oder sehr unterstützend“ für das schulische Lernen an. Auch wenn die Kinder zwei bis sechs Stunden in der Woche ungelenkt während der Unterrichtszeit in der Natur seien, stimmen 88 Prozent der befragten Eltern den Naturerfahrungszeiten der Kinder zu.

Er sei überrascht über die hohe Zustimmung zur selbst bestimmten Wald-und-Wiesen-Zeit, sagt Bosse. Einen Teil erklärt er damit, dass die Eltern schon mit der Anmeldung ihrer Kinder an der Laborschule dem reformpädagogischen Ideen zugestimmt haben. Sie würden also eine andere Schule als die Regelschule bevorzugen.

Die Laborschule sucht die Eltern nach einem Sozialschlüssel aus, damit Kinder aus akademischen und nichtakademischen Familien zusammen lernen. Doch alle Eltern wollen, dass ihre Kinder ordentlich lernen und einen Schulabschluss machen. Und den machen die Schülerinnen und Schüler auch an Laborschule und Oberstufenkolleg nach den Richtlinien des Landes Nordrhein-Westfalen.

Die Kinder sind konzentrierter, wenn sie einmal richtig gelüftet sind

Lisa Ahlert, Lehrerin

„Die Kinder sind konzentrierter, wenn sie einmal richtig gelüftet sind“, sagt Lisa Ahlert, die Lehrerin von Leon, Finn, Emma, Mia und den anderen Kindern im Wald. Sie sitzt auf dem Waldboden und erklärt Azra, dass sie die wollfadendicke Nacktschnecke nicht mitnehmen kann. „Aber sie erfriert“, jammert Azra, die die „Babynacktschnecke“ unbedingt vor dem Winter retten will und nicht verstehen möchte, dass die Schnecke nicht gerettet werden muss. Auf einem Stück Borke hat Azra ein Schneckenhotel gebaut, mit Blättern und einem Unterstand aus Holz. Naturerfahrungen erzeugen auch Krisen, die die Kinder lösen müssen. Azra setzt die zarte Schnecke schließlich zwischen Blätter unter einen Strauch.

„Das muss alles weg“, ruft Finn und lässt die Keule wieder krachen. Neben ihm stehen Emma, Lina, Bohdan, Noah, Paul und würden auch gern mal mit der Keule auf die Palette knüppeln und mitspielen. Sie haben sich vorher schon in das andere Spiel eingefädelt, das sich Leon vor dem Spiel mit Palette und Holzstamm ausgedacht hatte. Dabei ging es darum, wie er und die anderen Kinder zwischen den Sandhügeln laufen. Erst von Kuppe zu Kuppe springen, dann durch die Schlucht zwischen den Buchen rennen, dann laufen und irgendetwas, was Erwachsene nicht verstehen.

Alle Namen der Kinder sind verändert.

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16 Kommentare

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  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Unfallversicherungen stellen pädagogische Orientierung für gesichertes Spielen in der "natürlichen" Umgebung zur Verfügung, mit dem Verweis auf die bessere Entwicklung von Umsicht und Geschicklickeit und damit bessere Unfallprävention.

  • Ich sage mal etwas dazu, was mich vermutlich unbeliebt macht: Warum wäre es so schlimm, den Kindern gleich mal etwas über den Wald da draußen beizubringen, also etwas über Rotbuchen etc.

    Der Umstand, dass dieses Wissen fehlt wird uns in große Schwierigkeiten bringen un wo sonst, als im Wald kann man das lernen? Die Keule kann man ja auch noch schwingen!

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Axel Donning:

      Je nach Einstellung und Befähigung der Begleitpersonen und deren Verhalten entwicklen Kinder "nebenher" auch Interesse an solchen Dingen, ohne dass aktives "Beibringen" dies erst anstossen muss. Es kommt dabei auch auf die der Kindergruppe eigene Dynamik und das Verhältnis zu den Begleitpersonen an, was da aufkommen kann.

    • @Axel Donning:

      Weil ich als Nicht-Pädagoge auf einem Naturerlebnispfad gearbeitet habe: Dort stellte sich mir Ihre Frage auch. Wie eben gesagt ging ich naiv u. ohne pädagogische Erfahrung an die Arbeit. Gleichwohl mit einem eigenen Naturerleben aus der Kindheit an die Arbeit. Die Debatte im Team ging um die beiden Pole "Die Kinder möglichst frei erfahren u. entdecken lassen" u. am anderen Ende "Sollen wir auch Wissen vermitteln?".



      Letztere Frage ist ja folgerichtig, wenn man sich wünscht, dass bei den Kindern ein Umwelt- u. Naturschutzbewusstsein geweckt wird. Und da spielt es dann eine Rolle, in welchem Alter die Kinder sind - Lernen muss ja alters spezifischen sein.



      Meine erfahrenen Kolleginnen u. Kollegen überzeugten: Im Kita- und Grundschulalter die Kinder "tun lassen". Im besten Fall sind Kinder dieser Altersgruppen so erfahrungshungrig wie wissbegierig. Wenn sie das möglichst frei ausleben dürfen, werden sie in der Natur nicht unbedingt das lernen, was wir Erwachsenen wollen, sondern sich das an Erfahrungen suchen, was sie (erst mal) BRAUCHEN. Deshalb geht das dann vor. Ein Leon muss sich "kraftmäßig" so beschäftigen, wie er es tut. Es tut ihm ja erkennbar auch gut - er hat durchaus einen "sozialen Blick" auf die anderen Kinder. Naturerleben heißt dann, dass die Kinder frei Erfahrungen machen und selbst entscheiden, welches Wissen sie dabei aufnehmen WOLLEN und KÖNNEN.



      Will hier nicht etwa belehrend auftreten. Will vielmehr von eigenen Erfahrungen berichten.



      Deshalb darf Ihr Einwand nicht abgetan werden. Wissensvermittlung muss ja Aufgabe der Schule sein. Ohne Wissen wird es für die Kinder später in der Gesellschaft nicht gehen.



      Ich stelle zur Frage der "Wissensvermittlung" mal den Link zur Laborschule ein.

      de.wikipedia.org/w...orschule_Bielefeld

  • Ist jetzt Kritik auf Rosinenpickerniveau, aber die These als "paradox" und "unlogisch" zu bezeichnen passt einfach nicht, jedenfalls nicht ohne weitere Erklärung was jetzt genau paradox oder unlogisch sein soll. "Verblüffend" und "wenig naheliegend" ist es natürlich, aber es ist kein Widerspruch da, nur weil man eine Verbindung noch nicht erkannt hat.

    • @TV:

      Ach, als Rosinenpickerei sehe ich Ihre Anmerkungen nicht. Vielleicht will der Forscher hier mit seiner Formulierung „uns Leute“ erst mal nur etwas provozierend anregend auf die Bedeutung aufmerksam machen, die hinter seiner Frage stecken könnte, wie ich vermute. Es ist ja wirklich zuerst verblüffend: Wieso könnten Kinder, die sich viel ungezwungen in der Natur aufhalten, plötzlich besser Grammatik begreifen? Die scheint vom Lernen in der Natur mir jedenfalls weit weg zu sein. Es scheint, dass da andere kognitive Fähigkeiten angesprochen werden, als die, die es in der Natur braucht. Um da dennoch einen Zusammenhang vermuten zu können, braucht es systematische Beobachtungen, die einen zuvor überhaupt erst auf diese Spur gebracht haben. Dann braucht es Forschung, um sie zu bestätigen oder zu widerlegen. Die Autorin macht hier, finde ich richtig, einen sehr weiten Horizont auf. Was wäre denn, wenn Naturerfahrung so elementar zum elementaren Lernen von Kindern dazu gehören würde? Wäre sie dann, die Natur, unverzichtbar? Blieben wir – auf Dauer – in unserer zunehmend menschlich gestalteten Umwelt hinter unseren geistigen Möglichkeiten zurück? Alles plötzlich kolossal weite, schwierige Fragen und letztendlich von großer Bedeutung. Soweit mir bekannt, ist da aber vieles noch im Unklaren.

  • Trotz jahrelanger Forschung, kein Wort über den Werdegang ehemaliger Schüler .



    Wäre doch interessant zu wissen, wie der Vergleich zur klassischen Bildung im Berufsleben ausfällt.



    Aber wenn ein Oberstufenkolleg angeschlossen ist, werden sie an einer klassischen Universität scheinbar nicht angenommen.

    • @Stoffel:

      Ich dachte, an einem Oberstufenkolleg macht man erstmal Abi, DAMIT man danach auf die Uni gehen kann. Die Laborschule geht ja nur bis zur 10. Klasse.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    "Erwachsene" brauchen das auch. Kreativität und Problemlösungsfähigkeit steigen nachweislich nach längerem und regelmässigem Aufenthalt draußen in (irgendwo noch auffindbarer ) größtmöglicher Naturnähe. Maßgebliche Entscheider*innen sind allermeist davon weit entfernt.

  • Alles gut und schön, aber wie macht die Laborschule das mit der Aufsicht etc? Haben alle Eltern entsprechende Freistellungen für alle möglichen Situationen unterzeichnet?



    Denn gerade diese Freiheiten sind in den letzten Jahren immer weniger geworden, weil eben doch mal einer einen Holzsplitter (oder sogar ne Keule?) abbekommen kann. Oder ausrutschen kann. Oder oder. Und dann muss man immer mit einer Klage rechnen.

    So sind zB Untersuchungen an Bächen (Gewässergüte, Lebewesen etc) in den letzten Jahren auch für ältere Schüler eingestellt worden, weil theoretisch ein eingeschwemmter multiresistenter Keim vorkommen könnte.

    • @fly:

      Freiheten u. Freistellungen...

      *Das Spiel mit der Keule beobachtet Rehr erst aus der Ferne, geht dann hinüber und weist Finn, Leon und die anderen nur einmal kurz und bestimmt auf die Nägel hin, die aus den Brettern ragen. „Ihr achtet auf die hier, ja?“, sagt Rehr, zeigt auf jeden einzelnen der Nägel mit dem Finger und tritt wieder in den Hintergrund.*

      Ich habe zwei Jahre mit Kita- und Grundschulkindern auf einem Naturerlebnispfad gearbeitet. Als "Nicht-Pädagoge", allein erfahren in der Erwachsenenbildung. Wenn sie im Rahmen der Aufsichtspflichten für die Kinder anstelle der Eltern mit Kindern in irgendein Stück Natur wollen, geht es nicht anders als wie im zitierten Beispiel beschrieben. Wenn man sich mit den Eltern grundsätzlich einig ist, dass ein freies, auch von der Beobachtung der Erwachsenen befreites, Umherschweifen der Kinder in der Natur für ihre Entwicklung von großer Bedeutung ist, was ich aus eigener Kindheitserfahrung im Sinne des Artikels bestätige, müssen Risiken in Kauf genommen und eingeschätzt werden. Anders geht es nicht!

      Wie gesagt, ich kann die Vorgehensweise der "Aufsichtsperson" beim Geschehen nur Bestätigen. Sich wirklich soweit als möglich heraushalten. Mein ganz unbeaufsichtigtes "Waldläufertum" meiner Kindheit können sie in einem solchen Rahmen nicht realisieren. Obwohl ich sagen kann: Solche Kindheitserfahrungen zählen für mich zu den besten. Sie sind mir bis heute geblieben.



      Ich war immer ein ganz schlechter Sportler. Aber etwas Skifahren habe ich mir in Straßenschuhen auf "Brettern" aufgeschnallt selber bei gebracht und die Bewegungsabläufe und Körperhaltungen, die es braucht, um steile Hänge hinauf und hinunter zu kommen, sitzen mir alten Kerl noch wohltuend in Muskeln und Knochen.



      Kinder, die wortwörtlich lernen, sich Schritt für Schritt in der Natur zu bewegen, sind erstaunlich genau in ihrer Selbsteinschätzung, wie weit sie gehen können oder nicht. Nur nicht durch falsches Wettbewerbsdenken und Leistungsgedanken beeinflussen.

    • @fly:

      Sie wollen also, dass auch ja alles schön zu dem Sicherheitsbedürfniss bzw. in das Regelwerk der Erwachsenen passt?



      So können Kinder nichts nachhaltig lernen. Kinder brauchen Freiräume um möglichst viele Erfahrungen zu machen, und das möglichst oft unbeobachtet.

      Wir sollten endlich damit aufhören unsere Kinder nach unseren eigenen Vorstellungen zu verplanen. Denn das für nur zur Unmündigkeit.

      George Müller



      Berlin

      • @Müller George:

        anschließe mich “Sie kommen durch euch - aber nicht von euch.“ ©️ Khalil Gibran

  • Short cut - muß los - kann das nur bestätigen.



    Bin dank großem Bruderherz so in Wald & Feld btw aufgewachsen!



    Es hat was gegenständliches mit unendlich vielen Variablen!



    Mein Freund & lange Zeit später Mitschüler Harm Paulsen ist ein ähnlich intensives Beispiel! Anders als er - hatte ich das Glück die Penne trotzdem bis Abi zu überstehen!



    Meine Pauker hatten‘s mit so einem unfrisierten vorlauten Geist nicht leicht!



    Aber dafür hab ich mich auch nie verantwortlich gefühlt! Woll!;))



    Masel tov

    • @Lowandorder:

      Sorry - vergaß Näheres zum “guten Geist der Steinzeit“!;)



      de.wikipedia.org/wiki/Harm_Paulsen



      &



      Wenn dir in der Mittelstufe der Bio-Lehrer erzählen will - Kleiber & Baumläufer seien ein&derselbe Vogel!



      Lachst du dich halb schlapp - weil du sie beide vis-a-vis genau kennst!



      (Er muß sich ja nicht gleich mit “mangelhaft“ im Herbst rächen!;(