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Schulstart in der CoronakriseDie große Rückkehr

Die Sommerferien gehen zu Ende – und der Ruf nach Digitalisierung ist so laut wie nie. Doch das Wichtigste bleiben pädagogische Kompetenzen.

Maske ja oder nein? An vielen Schulen ist ein Streit darüber entbrannt Foto: Karsten Thielker

Alles schaut mit gemischten Gefühlen auf das neue Schuljahr. Schule ist selten nur eine Angelegenheit des Lehrens und Lernens, doch nun müssen Schulpflicht und das Recht auf Bildung zum allgemeinen Infektionsgeschehen, zu Hygieneregeln und Erkenntnissen der Virologie ins Verhältnis gesetzt werden. Anders geht es nicht, aber die Situation erhöht Verunsicherung und verdeutlicht, dass das Ausmaß der Abhängigkeit der Kinder, Jugendlichen und ihrer Familien von einem funktionierenden Bildungssystem und engagierten Pädagoginnen und Pädagogen größer geworden ist.

Schülerinnen und Schüler wissen noch weniger als bei einem regulären Schulstart, was sie in der Schule zu erwarten haben. Die derzeit diskutierte Maskenpflicht auch im Unterricht ist ein kleines Beispiel für eine Vielzahl an Unklarheiten, mit denen Kinder und Jugendliche umgehen müssen. Eltern fragen sich, ob geregelte Arbeitszeiten möglich sein werden, und fürchten sich vor einer nächsten Phase des „Homeschooling“. Viele machen sich Sorgen, ob ihre Kinder den Lernstoff aufholen und erforderliches Wissen aneignen können.

Doch auch das Personal an Schulen ist mit zahlreichen Unklarheiten konfrontiert. Schulleiterinnen und -leiter wissen nicht, wie schnell und mit welchen Mitteln sie eine nächste Vorgabe der Behörden umzusetzen haben, und sie können gespannt sein, wie vollständig das Kollegium am ersten Schultag erscheint.

Schülerinnen und Schüler, Mütter und Väter, Lehrkräfte und Schulleitungen teilen die Erfahrung, dass ihr Alltag derzeit vom Infektionsgeschehen und von darauf bezogenen politischen Entscheidungen abhängig ist. Dies hängt wiederum mit Versäumnissen der letzten Jahre zusammen, wofür der Grad der Digitalisierung an Schulen und die Kompetenzen, Lehren und Lernen vor Ort mit Lehren und Lernen auf Distanz zu verbinden für alle sichtbare Beispiele sind.

Marode Sanitäranlagen

Seit dem Lockdown im März und der deutschlandweiten Schulschließung sind der Stand der Technik in Schulen, marode sanitäre Anlagen, digitale Kompetenzen der Lehrkräfte und Möglichkeiten eines guten Fernunterrichts gesellschaftlich relevante Themen. Das ist gut so, sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Schülerinnen und Schüler vor allem auf pädagogische Kompetenzen ihrer Lehrkräfte angewiesen sind.

Sie profitieren von einer guten Organisation des Schulalltags und von einer aufeinander bezogenen Verknüpfung von Unterricht vor Ort und Lernen zu Hause. Insofern ist zu hoffen, dass Schulen, Schulträger und Ministerien in den zurückliegenden Wochen ihre Erfahrungen kritisch ausgewertet haben und bereit waren, aus Fehlern zu lernen und diese zu korrigieren.

Lernfortschritte und Bildung hängen von sozialer Interaktion ab

Kinder und Jugendliche benötigen verlässliche Informationen darüber, wie künftig die Arbeitsaufträge an die Lerngruppe übermittelt, wie Aufgaben kommuniziert und Lernfortschritte kontrolliert und kommentiert werden. Was seit der Pandemie besonders eklatant vor Augen geführt wird, ist die Notwendigkeit einer guten Pädagogik, gelebt und umgesetzt von qualifizierten Lehrkräften und weiteren Pädagoginnen und Pädagogen im System Schule.

So deutlich wie selten zuvor hat sich gezeigt, dass Lernfortschritte, Bildung und Erziehung von sozialer Interaktion abhängen. Die Pädagogik lebt vom Zeigen, Erklären, vom Fragen und Üben, vom Kontakt und Gespräch und insbesondere von der kritischen Rückmeldung zu Lernfortschritten. Dies auch im Fernunterricht umzusetzen, ist eine der großen Herausforderungen im neuen Schuljahr.

Recht auf Bildung

Das Recht auf Bildung lässt sich folglich ohne gute soziale Kontakte kaum umsetzen. In ihrer fünften Ad-hoc-Stellungnahme benennen dies auch die Expertinnen und Experten, die im Auftrag der Leopoldina Bedingungen für ein „krisenresistentes Bildungssystem“ erarbeitet haben. Sie stellen neben der Bedeutung einer gezielten und koordinierten Digitalisierung heraus, wie wichtig der persönliche Kontakt für Kinder und Jugendliche ist, und fordern, dass der Besuch der Bildungs- und Betreuungseinrichtungen möglichst durchgehend realisiert werden sollte.

Insbesondere die Beschränkung von sozialen Kontakten auf Haushalt und Familie wurde im „Coronafrühjahr“ als markanter Einschnitt in vertraute Gewohnheiten erlebt. In zwei Befragungen mit insgesamt mehr als 30.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zum Alltag von Kindern, Jugendlichen und Familien seit dem Lockdown problematisierten viele den Mangel an Kontakt zu den pädagogischen Einrichtungen wie Kita, Schule, Universität und zu Menschen außerhalb des engsten Familienkreises.

Gleichwohl gab es daneben auch Stimmen, die den verordneten Rückzug in die häusliche Umgebung zunächst als wohltuend, ja entlastend erlebten. Selbstbestimmte Zeiteinteilung, den Tag später beginnen können und vor allem die Tatsache, von bestimmten Zusammentreffen etwa in der Schulklasse befreit zu sein, gehörte für manche junge Menschen zu den positiven Seiten der Krise.

Für einige brachte der Rückzug ins Häusliche eine Auszeit von Ausgrenzung, Missachtung, von täglichen Kränkungen in der Schule, von Diskriminierung und dem Gefühl der Hilflosigkeit auf dem Schulweg. Das heißt, bei der Rückkehr in die Schule unter Bedingungen der Pandemie sollten die von Mobbing betroffenen Schülerinnen und Schüler nicht aus den Augen verloren werden.

Persönliche Themen

Am Ende des Fragebogens hatten Teilnehmerinnen und Teilnehmer der beiden Befragungen die Möglichkeit, kritische Aspekte der Untersuchung, persönliche Themen, die unter den Nägeln brennen, aber nach denen meist nicht gefragt wird, oder politische Botschaften mitzuteilen. Die Einschränkungen des sozialen Miteinanders auf Familie oder Wohngemeinschaft und darauf bezogene Herausforderungen, Ärgernisse und Sorgen ebenso wie Entlastungsmomente bildeten das umfangsreichste Themenfeld.

So nutzten viele Mütter in der Elternbefragung diese Gelegenheit beispielsweise, um für das elementare Bedürfnis auch junger Kindern zu sensibilisieren, mit Gleichaltrigen spielen, lachen, raufen, gemeinsam lernen zu können. Sie machten damit auf ihre eigenen, quasi natürlichen Grenzen, Kindern andere Kinder zu ersetzen, aufmerksam. Andere artikulierten vor allem ihre Ängste vor negativen Folgen für die Entwicklung sozialer Kompetenzen ihrer Kinder.

Sie beschrieben jugendliche Töchter und Söhne, denen das regelmäßige Gespräch mit der Lehrerin fehlte, die aufgeregt auf den ersten Anruf der Klassenlehrerin warteten. In diesen Alltagsbeschreibungen aus dem Familien- und Erziehungserleben im Lockdown stecken zudem viele Hinweise darauf, dass sich Mütter und Väter selbst alleingelassen, also ohne gute Kontakte nach außen und insbesondere zur Schule ihrer Kinder, fühlten.

Jugendliche und junge Erwachsene beschäftigen sich im offenen Teil der Erhebung ebenfalls mit den Beschränkungen persönlichen Austauschs. Fehlende persönliche Kontakte jenseits der Kommunikation über soziale Medien wurden für ihr Befinden im Hier und Heute relevant gemacht und der Mangel von vielen beklagt. „Ich will mein altes Leben zurück“, forderte eine Jugendliche in der Befragung. Sie beschrieb ihr Leben vor der Pandemie insbesondere als Zeit unkomplizierter persönlicher Begegnungen.

Eine andere Person warb dafür, dass man als Jugendlicher einfach den physischen Kontakt zu den Freunden brauche, man müsse gemeinsam „abhängen“ oder etwas erleben können, um im emotionalen Gleichgewicht zu sein. Vor allem die Äußerungen von Jugendlichen haben in den letzten Monaten vor Augen geführt, dass das reale Treffen von Gleichaltrigen nicht durch soziale Medien zu ersetzen ist.

Konzepte müssen her

Was ist nun aus diesen Erfahrungen mit der Eingrenzung auf wenige soziale Kontakte für die nächsten Monate zu schlussfolgern? Jede einzelne pädagogische Einrichtung braucht ein Konzept, das verlässlich regelt, wie sie künftig und insbesondere bei einem weiteren – vielleicht auch nur lokalen – Herunterfahren des öffentlichen Lebens mit Kindern, Jugendlichen und ihren Familien in Kontakt bleibt.

Dazu sind technische Voraussetzungen an Kitas, Schulen, Jugendämtern, Beratungsstellen und zu Hause nötig – ohne Digitalisierung wird es nicht gehen. Aber unverzichtbar sind Konzepte, wie der wochenlange Abbruch von sozialen Kontakten verhindert werden kann. Kinder und Jugendliche sind darauf angewiesen, dass sie jetzt, zu Beginn des neuen Schuljahres darüber informiert werden, wie im Krisenfall Kontakt zu ihnen aufgenommen und gehalten wird.

„Kein Kind zurücklassen“ bekommt in diesem Schuljahr eine erweiterte Bedeutung: Das Recht auf Bildung eines jeden Kindes und Jugendlichen lässt sich nur durch einen verlässlichen Kontakt zur Schule und den dort tätigen Pädagoginnen und Pädagogen realisieren.

Kinder und Jugendliche müssen sich endlich darauf verlassen können, dass sie gesehen, gehört, informiert und auch einbezogen werden.

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