Schulschließungen wegen Coronavirus: Fünf Wochen Zwangsferien
In fasten allen Bundesländern schließen nun auch die Schulen. Vor allem Abiturient:innen passt das gar nicht in den Kram.
Ende April will Raphaela ihr Abitur schreiben. Wie sie sich jetzt, isoliert zu Hause, gut darauf vorbereiten soll, ist ihr ein Rätsel: „Ich bin echt gespannt, ob alles so klappt, wie sich das Kultusministerium vorstellt.“ Ab Montag bleiben sämtliche Schulen in Bayern geschlossen, bis Ende der Woche hat deutschlandweit fast keine Schule mehr geöffnet. Nur in Hessen und Sachsen schließen die Schulen vorerst nicht, allerdings haben beide Länder bis zum 18. April die Schulpflicht ausgesetzt.
Derzeit prüfe man, heißt es aus den Kultusministerien, ob Eltern in dringenden Fällen ihre Kinder in eine Notbetreuung geben können. Bayern und Berlin möchten zudem eine Betreuung für die Kinder von Ärzt:innen, Polizist:innen oder anderen „systemkritischen“ Berufen ermöglichen. Manche Ministerien haben sogar eigene Corona-Hotlines eingerichtet, um die Fragen von Eltern und Lehrer:innen zu beantworten.
Wie viele der Maßnahmen, die in den vergangenen Tagen gegen die Ausbreitung des Coronavirus getroffen wurden, kamen auch die Schulschließungen für die Beteiligten recht unvermittelt. Bislang haben die lokalen Gesundheitsämter nur dann Schulen geschlossen, wenn dort jemand positiv auf das Virus getestet worden ist. Am Donnerstagvormittag gingen die Bundesländer noch davon aus, dass „flächendeckende“ Schulschließungen nicht notwendig seien.
Entscheidung revidiert
In einer Pressemitteilung am späten Nachmittag schlossen die Kultusminister:innen diese hingegen schon nicht mehr aus. In der Nacht auf Freitag dann verkündete das Saarland als erstes Bundesland, sämtliche Schulen und Kitas präventiv zu schließen. Von einer „tiefgreifenden Entscheidung“ spricht Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) in einer Stellungnahme. „Ich bin mir darüber vollkommen bewusst. Auch über die enormen praktischen Probleme, die das für Eltern und Familien nun mit sich bringt.“ Kurz darauf zogen die meisten anderen Bundesländer nach. Am Samstag dann stand fest: Ganz Deutschland hat nun Coronaferien.
Es ist eine drastische Maßnahme, mit der die Länder eine nie da gewesene Wette eingehen: Fast elf Millionen Schüler:innen sollen über Wochen hinweg daheim lernen – und dennoch am Ende des Schuljahrs ihre Abschlüsse machen. Auch die Abiturprüfungen sollen wie geplant stattfinden, notfalls mit mehreren Nachschreibeterminen.
Und die Hochschulen sollen flexibel mit verpassten Bewerbungsfristen umgehen. Darauf haben sich die Kultusminister:innen am Donnerstag geeinigt, als sie gemeinsam in Berlin über den richtigen Umgang mit der Epidemie beratschlagten. Fast mantrahaft wiederholen sie seither: Wegen Corona soll kein Schüler und keine Schülerin einen Nachteil erleiden.
Die angehende Abiturientin Raphaela Hutter ist da skeptisch. Bis zum Abitur fehlt noch einiges an Stoff. „Ich fände es unfair, wenn genauso schwer geprüft wird wie sonst auch.“ Auch wenn sie noch nicht sicher ist, was sie studieren möchte, „vielleicht Theater, vielleicht Psychologie“, weiß Raphaela, dass für manche Studienwünsche der Abischnitt entscheidend ist.
Wenig Erfahrung mit E-Learning
Mit der digitalen Lernplattform „mebis“, mit der nach Angaben des Bayerischen Kultusministeriums 5.200 der 6.182 Schulen im Land arbeiten, hat sich die Schülerin in diesem Schuljahr nur ein einziges Mal auseinandersetzen müssen. Weil ein Lehrer krank war, hat er dort Arbeitsblätter hochgeladen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es auf mebis eine so gute Rückmeldung gibt wie im Kurs“, sagt Raphaela. Außerdem seien noch nicht mal alle Klausuren im letzten Halbjahr geschrieben, die zu ihrem Abischnitt zählen. Was mit denen sei, weiß sie nicht.
Von ihren Lehrern habe sie dazu noch nichts gehört, sagt sie am vergangenen Freitagnachmittag. Erst Freitagmorgen hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Schulschließungen öffentlich gemacht. Den ganzen Tag über ist am Otto-von-Taube-Gymnasium in Taubing für die taz niemand zu sprechen. Die Schulleiterin ist in Konferenzen. Krisenmanagement, wie an allen Schulen im Land, die nun auf digitalen Unterricht umsteigen müssen.
Auch Jana Klomann wartet seit Tagen gespannt auf Informationen. Seit einer Woche lernt die 18-Jährige zu Hause für ihre mündlichen Abiprüfungen in Geschichte und Deutsch. Die schriftlichen hat Jana schon im Januar hinter sich gebracht, so früh geht das nur in Rheinland-Pfalz. Wenn alles glatt läuft, hält sie in weniger als zwei Wochen ihr Abizeugnis in den Händen und kann „endlich chillen“, wie sie sagt – vorausgesetzt, sie kann diese Woche ihre beiden mündlichen Prüfungen machen.
Doch ob ihre Schule, das Sebastian-Münster-Gymnasium (SMG) in Ingelheim, die Prüfungen durchführt, war auch am Freitag – fünf Tage vor dem ersten Prüfungstag – unklar. Für Jana und weitere 131 Abiturient:innen am SMG ist die Unsicherheit nervenaufreibend: „Man möchte es endlich rumhaben.“
Freude auf Prüfungen
Am Samstag dann Erleichterung: Auf der Schulwebsite informiert Schulleiter Michael Frings, die Prüfungen durchführen zu wollen. Doch ob die Abiturient:innen wie geplant am 27. März ihre Abiturzeugnisse erhalten, kann Frings nicht garantieren. Zwar sei an der Schule bisher noch kein Corona-Fall aufgetreten, sagt Frings am Telefon. Wenn aber beispielsweise die zugeteilten Prüfer:innen erkranken und nicht mehr erscheinen können, verändere das die Prüfungssituation schon „erheblich“.
In dem Fall könne der Prüfling mitentscheiden, ob er lieber unbekannte Ersatzprüfer:innen haben – oder die Prüfung verschieben möchte. Dass sich jemand mit Corona infiziert, sei schließlich nicht ausgeschlossen. In den Nachbarorten Bingen, Büdesheim und Bad Kreuznach mussten vergangene Woche deshalb Schulen schließen.
Wie die Situation im April und Mai aussehen wird, wenn auch im Rest des Landes Abiturprüfungen anstehen, ist derzeit völlig offen. Schulleiter Michael Frings wünscht auch den Abiturient:innen, die die Prüfungen noch vor sich haben, dass sie gut durchkommen und anschließend keine Bewerbungsfristen verpassen. Die Stiftung für Hochschulzulassung – die frühere ZVS –, die bis 21. Juli Bewerbungen für ein Studium der Medizin, Psychologie oder eines anderen zulassungsbeschränkten Fachs entgegennimmt, bestätigte gegenüber der taz, dass sie sich um eine Lösung im Sinne der Bewerber:innen bemühen werde.
Sicher ist: Auf ein gewisses Chaos müssen sich die Hochschulen einstellen, wenn im kommenden Wintersemester wieder eine halbe Million „Erstis“ das Studium beginnen.
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