Schule für Flüchtlingskinder: Ferien sind zum Lernen da

In Ferienschulen werden Kinder mit geringen Deutschkenntnissen zwei Wochen lang besonders gefördert. Der Bedarf ist groß.

Kinder drücken die Schulbank: Für manche Flüchtlingskinder war das auch in den Ferien angesagt Foto: AP

Der elf­jäh­ri­ge Emir schlen­dert durch den Klas­sen­raum und schaut dabei ab­we­send an die Decke. Er soll ein Verb pan­to­mi­misch dar­stel­len; seine 16 Mit­schü­ler müs­sen er­ra­ten, worum es sich han­delt. „In Ge­dan­ken“ rufen ei­ni­ge auf­ge­regt, si­cher, das ge­such­te Wort er­kannt zu haben. „In Ge­dan­ken was?“, hakt Leh­re­rin Alina Klauß nach. „In Ge­dan­ken sein“, ant­wor­tet ein Junge.

Ja, es sind Fe­ri­en – und trotz­dem neh­men die 17 Kin­der im Grund­schul­al­ter am Deutsch­un­ter­richt die­ser so­ge­nann­ten Fe­ri­en­schu­le teil. Und sie wir­ken auch noch hoch mo­ti­viert: Alle sind als Flücht­lin­ge erst vor ei­ni­gen Mo­na­ten nach Ber­lin ge­kom­men und spre­chen meist nur sehr wenig Deutsch. So auch Emir, der mit sei­nen El­tern und vier Ge­schwis­tern vor sie­ben Mo­na­ten aus Bos­ni­en ge­flo­hen ist.

Schu­le von 10 bis 16 Uhr

Ver­an­stal­tet wird die För­de­rung vom Zeh­len­dor­fer Ver­ein Mit­tel­hof, zwei Wo­chen lang täg­lich von 10 bis 16 Uhr. Der Mit­tel­hof wurde be­reits 1947 von den US-Ame­ri­ka­nern, in deren Zone Zeh­len­dorf lag, als ers­ter Nach­bar­schafts­ver­ein Ber­lins ge­grün­det. Er ent­wi­ckel­te sich durch zahl­rei­che Pro­jek­te über die Jahre hin­weg zu einer fes­ten Größe im Be­zirks­le­ben.

Das Pro­jekt „Ber­li­ner Fe­rien­schule“ wird fi­nan­ziert von der Deut­schen Kin­der- und Ju­gend­stif­tung (DKJS). Es war für Flücht­lings­kin­der ge­dacht, die eine so­ge­nann­te Will­kom­mens­klas­se be­sucht haben oder bald be­su­chen wer­den. Ziel soll­te sein, dass die Schü­ler durch den Un­ter­richt und ge­mein­sa­me Aus­flü­ge in die Um­ge­bung ihr Deutsch ver­bes­sern und ne­ben­bei den Be­zirk, in dem sie woh­nen, ken­nen­ler­nen.

Der Be­darf an mehr För­de­rung scheint groß zu sein. Nach­dem ihr Ver­ein die Ferien­schule in den um­lie­gen­den Flücht­lings­hei­men und Schu­len be­wor­ben habe, habe man sich vor der gro­ßen Nach­fra­ge kaum ret­ten kön­nen, er­zählt Leh­re­rin Alina Klauß.

Selbst als be­schlos­sen wurde, nur Kin­der von einer ein­zi­gen Grund­schu­le zu neh­men, gab es noch 40 An­mel­dun­gen. Daher habe man sich mit den Leh­re­rIn­nen der Schu­le zu­sam­men­ge­tan, um zu er­fah­ren, wer den größ­ten Be­darf an die­sem Pro­gramm habe, um ent­spre­chend aus­zu­wäh­len.

Texte mit Lü­cken

Jeder Tag in der Fe­ri­en­schu­le des Mit­tel­hofs fängt mit einem ge­mein­sa­men Früh­stück an. An­schlie­ßend be­ginnt die Deutsch­stun­de. Nach­dem Emir mit sei­ner Dar­stel­lung von „in Ge­dan­ken sein“ fer­tig ist, lesen die Kin­der einen Text zu einer Bil­der­ge­schich­te. Er hat ei­ni­ge Lü­cken, sie müs­sen das pas­sen­de Wort hin­zu­fü­gen.

„Weißt du, was ‚Blu­men­strauß‘ be­deu­tet?“, fragt Marta Wier­ze­js­ka, die eben­falls hier un­ter­rich­tet. Emir schüt­telt den Kopf. Wier­ze­js­ka zeigt auf die Bil­der­ge­schich­te: Was das Mäd­chen dort in der Hand habe, sei ein Blu­men­strauß – „ganz viele Blu­men zu­sam­men“.

Po­li­zis­ten sind nicht grün

Wer fer­tig mit der Auf­ga­be ist, darf die Bil­der aus­ma­len. „Du kannst den Po­li­zis­ten nicht grün malen, die sind blau!“, kor­ri­giert der sie­ben­jäh­ri­ge El­me­din sei­nen Tisch­nach­barn. Der er­wi­dert, es gebe grüne Po­li­zis­ten – er selbst habe schon viele ge­se­hen.

Man könne schnell Fort­schrit­te er­ken­nen, freut sich Leh­re­rin Klauß. So sei der Wort­schatz schon nach kur­zer Zeit so be­rei­chert, dass die Kin­der nicht stän­dig das Verb „ma­chen“ ver­wen­den müs­sen.

Und nicht nur der Wort­schatz der Fe­ri­en­schü­ler soll sich ver­bes­sern. Ein wei­te­res Ziel sei es, dass sich die Fe­ri­en­schü­le­rIn­nen in ihrer Nach­bar­schaft wohl­füh­len und selbst­stän­dig fort­be­we­gen, er­klärt Maria ­Ispas, Pro­gramm­mit­ar­bei­te­rin der DKJS. Dafür brauch­ten sie das nö­ti­ge Selbst­be­wusst­sein. Und dabei helfe es, wenn sie sich sou­ve­rän aus­drü­cken kön­nen.

In die­sem Sinne sei es laut Klauß ein Er­folg, dass der zehn­jäh­ri­ge Ha­koon und seine zwei Freun­de aus der Flücht­lings­un­ter­kunft nach we­ni­gen Tagen in der Fe­ri­en­schu­le ihre Be­treu­er frag­ten, ob sie mor­gens auch selbst­stän­dig mit dem Bus kom­men könn­ten. Ei­gent­lich hatte der Ver­ein einen Ab­hol­dienst or­ga­ni­siert.

Der Kon­takt der Kin­der zu Gleich­alt­ri­gen aus ihrem Kiez soll zudem durch eine Ko­ope­ra­ti­on mit dem ver­eins­ei­ge­nen Pro­jekt Ber­lin Ta­lent Clash ver­bes­sert wer­den.

Die ge­flüch­te­ten Kin­der, die min­des­tens zehn Jahre alt sind, kön­nen in der zwei­ten Woche der Fe­ri­en­schu­le mit ein­hei­mi­schen Kin­dern an Kur­sen wie Break­dance oder Mu­sik­ma­chen in einer Band teil­neh­men. Und da Ber­lin Ta­lent Clash das ganze Jahr über wö­chent­lich statt­fin­det, hofft Alina Klauß dar­auf, dass die Fe­ri­en­schü­ler lang­fris­tig eine neue Frei­zeit­ak­ti­vi­tät für sich ent­de­cken.

Bar­rie­ren ab­bau­en

Ist es an­ders, ge­flüch­te­te Kin­der statt ein­hei­mi­sche zu un­ter­rich­ten? Nein, ist sie sich si­cher. Wenn jene sich mit Wor­ten nicht hel­fen kön­nen, gehen die Kin­der kör­per­be­ton­ter und rup­pi­ger mit­ein­an­der um – aber das sei nichts Un­ge­wöhn­li­ches. Sol­che Span­nun­gen zei­gen laut Alina Klauß le­dig­lich, wie not­wen­dig es ist, dass die Kin­der schnell ihre Sprach­bar­rie­ren ab­bau­en. An­dern­falls nehme der Frust rasch zu.

Na­tür­lich er­leich­te­re es den Um­gang, dass kei­ner ihrer Fe­ri­en­schü­ler er­kenn­bar trau­ma­ti­siert sei. Da schei­nen die drei Leh­re­rIn­nen der Fe­ri­en­schu­le Glück ge­habt zu haben. Bei an­de­ren Trä­gern, die die Fe­ri­en­schu­le in Ber­lin eben­falls an­ge­bo­ten haben, gab es deut­lich schwie­ri­ge­re Fälle, be­rich­tet ­Ispas von der DKJS. So sei es vor­ge­kom­men, dass Kin­der beim Ge­räusch von Mee­res­rau­schen aus­ras­te­ten.

Zwar gibt es Fort­bil­dun­gen für Be­treue­rIn­nen zum bes­se­ren Um­gang mit trau­ma­ti­sier­ten Flücht­lings­kin­dern, doch die Kurse sind häu­fig be­reits jah­re­lang im Vor­aus aus­ge­bucht, ob­wohl sie nicht ver­pflich­tend sind.

Die drei Leh­re­rIn­nen der Fe­ri­en­schu­le des Mit­tel­hofs haben sich auf den Kurs vor­be­rei­tet, ­indem sie mit den Leh­re­rIn­nen der Will­kom­mens­klas­sen spra­chen. Ent­spre­chend dem Ent­wick­lungs­stand der Kin­der wur­den dann in stun­den­lan­ger Ar­beit extra Ar­beits­blät­ter er­stellt. Auch nach der Fe­ri­en­schu­le blei­be man im Kon­takt mit den Leh­re­rIn­nen.

Fort­set­zung im Herbst

Am kom­men­den Mon­tag geht die re­gu­lä­re Schu­le wie­der los, und auch die Will­kom­mens­klas­sen für Flücht­lings­kin­der be­gin­nen. Wenn ihren 17 Kin­dern durch das Pro­jekt der Start in das neue Schul­jahr er­leich­tert werde, habe sie ihr Ziel er­reicht, fasst Klauß ihre Be­mü­hun­gen zu­sam­men. Viele an­de­re kön­nen in den Herbst­fe­ri­en Ende Ok­to­ber wie­der die Schul­bank drü­cken: Dann bie­ten er­neut zahl­rei­che Trä­ger in Ber­lin den auch von der Se­nats­ver­wal­tung für Bil­dung ko­or­di­nier­ten Ex­traunterricht an.

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