Schulbildung in Berlin: Fit machen fürs Malochen
Ein Chancenjahr vor der Schule und ein Pflichtjahr an deren Ende soll mehr Gerechtigkeit in die Bildung bringen. Gymnasien aber werden exklusiver.
Mit ihrem neuen Schulgesetz will Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) „Übergänge gestalten“. Deshalb habe sie insbesondere die frühkindliche Bildung, den Wechsel auf die weiterführenden Schulen und die Befähigung für die Arbeitswelt in den Blick genommen, sagte sie bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs am Montag. „Unser vorrangiges Ziel ist es, dass Berliner Kinder und Jugendliche erfolgreich ihre Bildungswege durchlaufen“, sagte Günther-Wünsch. Die Senatorin will daher ein Kita-Chancenjahr und ein 11. Pflichtschuljahr einführen und den Zugang zu Gymnasien neu regeln.
„Es geht mir um Bildungsgerechtigkeit“, betonte sie. Und um die herzustellen, sei es wichtig, schon vor der Schule anzufangen und vor allem die Kinder mit wenig oder gar keinen Deutschkenntnissen zu erreichen. Mit dem Kitajahr 2025/26 sollen also alle Kinder ab dem 3. Lebensjahr einen „Willkommensgutschein“ zugeschickt bekommen. Ziel sei es, die Eltern so früh wie möglich einzubeziehen.
Wenn die Kinder trotzdem nicht in den Kitas landen und später Sprachdefizite aufweisen, sollen sie dann ein verpflichtendes Kita-Chancenjahr absolvieren. Das bedeutet, dass sie ein Jahr lang eine Kita besuchen oder Angebote zur Sprachförderung von mindestens 35 Stunden pro Woche wahrnehmen, bevor sie eingeschult werden.
Die Senatorin hat damit die rund 3.600 Kinder im Blick, die bisher gar keine Kita besuchen. Unter diesen seien die Sprachdefizite besonders groß, und ein Großteil würde nicht in der bisher bereits verpflichtenden Förderung ankommen. „Wir sind sehr gewillt, diesen Weg gemeinsam mit den Eltern zu gehen“, sagte Günther-Wünsch. Wenn alles Anstupsen aber nicht fruchte, werde sie auch mit Ordnungsgeldern arbeiten.
Orientierung am Ende der Schulzeit
Um am Ende der Schule keine Jugendlichen zu verlieren, soll das 11. Pflichtschuljahr kommen. Vorgesehen ist es als Orientierungsjahr, um diejenigen, die noch keine berufliche Perspektive und keinen Ausbildungsplatz haben, auf einen solchen vorzubereiten. Das betrifft laut Senat rund 3.000 Schüler*innen. Das Jahr soll sehr praxisorientiert sein, die Senatorin sei dazu mit Industrie-, Handels- und Handwerkskammer und den Innungen im Gespräch, sagte sie. „Wir verlängern die Schulpflicht damit um ein weiteres Jahr – aber nicht über das 18. Lebensjahr hinaus“, sagte sie.
Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatte das Pflichtschuljahr im Februar begrüßt. Allerdings müsse es sich deutlich von schulischen Bildungsgängen wie IBA oder einer reinen Berufsorientierung unterscheiden, und dürfe sich nicht in der Orientierung erschöpfen, hieß es von der Gewerkschaft.
An den Gymnasien schließlich will die Senatorin das Probejahr abschaffen. Sie begründet diesen Schritt damit, dass zu viele Kinder ohne Gymnasialempfehlung das Jahr nicht geschafft hätten. Nun können nur noch diejenigen ans Gymnasium wechseln, die in der 5. und 6. Jahrgangsstufe auf einen entsprechenden Notendurchschnitt von 2,3 kommen – beziehungsweise in der Förderprognose unter 14 Punkten liegen. Wer trotzdem ein Gymnasium besuchen möchte, muss seine*ihre Eignung im Rahmen von Probeunterricht nachweisen. Dies soll die Schulen entlasten.
Mit dem im Koalitionsvertrag angekündigten flächendeckendem Religionsunterricht wird es in der aktuellen Legislaturperiode nichts, räumte die Senatorin ein. „Drei Jahre reichen nicht aus, um ein reguläres Unterrichtsfach einzuführen“, sagte sie. Denn das müsse im Rahmenlehrplan verankert und es müssten Lehrer*innen dafür eingestellt werden. Allerdings sollen Träger Religionsunterricht anbieten können, wenn sie das wollten und eine Nachfrage da sei. Das stünde dann nicht mehr zur Disposition der Schule.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr