Schulbehörde vertrödelt Inklusion: Personal zu spät bewilligt
An Hamburgs Inklusionsschulen fehlen FSJler zur Begleitung der Kinder. Grund dafür ist auch die zu späte Bewilligung durch die Schulbehörde.
Tätig sind die beiden Frauen an Hamburger „Schwerpunktschulen“ für Inklusion. Dort fehlen die jungen Menschen, die sonst ihr „Freiwilliges Soziales Jahr“ (FSJ) in der Schule absolvieren. Denn Hamburg setzt bei der „Schulbegleitung“ von behinderten Kindern mit auf diese Kräfte, die neben etwas Schulung und Seminaren ein „Taschengeld“ von 350 bis 450 Euro bekommen.
„Das ist auch ein Bildungsjahr für sie“, sagt die Pädagogin, die ebenso wie die Rektorin anonym bleiben möchte. Normal kämen die Bewerber fürs FSJ schon im Mai zum „Probetag“, um zu gucken, ob es etwas für sie ist, Kinder etwa mit Autismus oder Förderbedarf in der körperlichen und motorischen Entwicklung durch den Tag zu begleiten.
Doch diesmal habe die Schulbehörde die Bewilligungen zu spät verschickt, teils erst im August, als die meisten Schulabgänger längst andere Pläne hatten. Auf einem Treffen sollen fast alle Schulen geklagt haben, dass sie keine FSJler finden. Als Ersatz dürften sie zwar auf sogenannte „sozial erfahrene Kräfte“ zurückgreifen, etwa Studierende, doch auch die seien nicht zu finden, der Markt leergefegt. An den Engpässen, sagt ein Vater, litten auch die übrigen Kinder.
Bedarf an FSJlern in Hamburg ist groß
Hamburgs Bedarf an FSJlern ist groß, im Vorjahr wurden über 1.000 bewilligt. Angestellt werden FSJler bei sozialen Trägern. Oliver Scherfke von der Diakonie St. Pauli zum Beispiel betreut rund 80 Freiwillige. Doch in diesem Jahr seien alle Schulen maßlos unzufrieden, weil es keine Auswahl an Bewerbern gebe und die Bewilligungen so „spät wie nie“ kamen, sagt er.
Man habe gerade einen geburtenschwachen Jahrgang, auch hätten die jungen Leute wegen der Pandemie „nachvollziehbar auch andere Pläne“. Die von der Behörde gezahlte Pauschale für einen FSJler von 970 Euro reiche nicht aus, so Scherfke. „Davon sind unsere Kosten für Verwaltung, Betreuung und Begleitung nicht gedeckt.“
Die Schulbehörde erklärt, ihr sei nicht bekannt, ob es weniger FSJler gibt. Und sie bestreitet, dass Kinder wegen fehlender Schulbegleitung zu Hause bleiben. Sei keine vor Ort, gelte das Recht auf Schulbildung weiter. Die Schule passe die Situation „individualisiert und tagesaktuell an“, so eine Sprecherin.
Behörde soll vorauschauender planen
Doch dies sei in der Praxis schwieriger, weil obendrein an der Schule auch Sonderpädagogen und Erzieher fehlen, wendet jene Sonderpädagogin ein. „Wir können ein Kind ja nicht nur in die Ecke stellen und hoffen, dass es nicht wegläuft.“
Die Schulbehörde verweist darauf, dass sie das Verfahren vereinfacht habe und mehr Geld eingeplant sei. Bis Ende September seien 1.130 Schulbegleitungen für behinderte Kinder bewilligt. Die Behörde räumt aber ein, dass bei Beginn der Sommerferien ein Viertel der Anträge noch nicht bewilligt war. Ersatzweise könnten nun die Schulen für 212 Schüler befristet eine Ersatzkraft einstellen.
Nur hört man von den Schulen, dass sie auch die nicht finden. Auf die Frage, wie viele Schulbegleiter tatsächlich an den Schulen sind, weicht die Behörde aus. Das werde „nicht zentral erfasst“.
Kerrin Stumpf vom Elternverein „Leben mit Behinderung“, sagt: „Wir haben große Sorge.“ Denn es gebe nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern auch einen Hilfskräftemangel. Deshalb wäre es gut, wenn die Behörde vorausschauend plane und „eher mal zwei FSJler zu viel bewilligt, damit es am Ende passt“.
Oliver Scherfke mahnt indes, dass die Schulbegleitung nicht „komplett durch den Freiwilligendienst geleistet werden kann“. Die Behörde verlasse sich zu sehr darauf. Es stehe hier offenbar „die Kostenfrage im Vordergrund und nicht die Förderung von sozialem Engagement“. Auch Pit Katzer von der Initiative „Gute Inklusion“ sieht ein strukturelles Problem. „FSJler werden auch für Kinder mit 'Förderbedarf geistige Entwicklung’ eingesetzt. Aber hier ist eine gewisse Qualifikation nötig.“
Schulausschuss tagt am Freitag
Die Schulbehörde lässt die Schulbegleitung derzeit extern von der Uni Oldenburg evaluieren, die bis 2023 Optimierungsvorschläge erarbeiten soll. „Das dauert zu lange. Es brennt jetzt“, sagt ein Schulleiter, dem Kräfte fehlen. Fragt man nach, wünschen sich Praktiker die alten „I-Klassen“ zurück, die einen festen Stamm an Erziehern für die behinderten Kinder hatten. Aber das Modell galt als zu teuer, als Hamburg 2010 das Recht auf inklusive Beschulung einführte.
Zum Stand der Inklusion gibt es am Freitag eine öffentliche Anhörung im Schulausschuss auf Antrag der Linksfraktion und der CDU. Anlass ist der „3. Fortschrittsbericht“ des Senats. Die „Initiative Gute Inklusion“ nennt ihn „schönfärberisch“, erwähne dieser doch nicht einmal, dass heute weniger behinderte Kinder inklusiv beschult werden als vor zehn Jahren.
Sabine Boeddingshaus von der Linken sieht hier Gesprächsbedarf. Auch sie höre von Eltern, dass ihre Kinder wegen fehlender Schulbegleitung zu Hause bleiben. „Das darf nicht sein. Die Leidtragenden sind die Kinder.“
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